Eigentor??? AG stellt ordnungsgemäße Messung fest - hatte aber SV-Gutachten eingeholt...erörtert dies aber nicht

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 26.05.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1724 Aufrufe

Leider kann man aus der Entscheidung nicht erkennen, warum das Gericht ein Gutacten eingeholt hat. Aus eigener Neugier vielleicht. Vielleicht auf Antrag der Verteidigung. Offenbar gab es aber für das AG keinerlei Probleme an der Messung. Für das OLG war das komisch. "Wer ein SV-Gutachten einholt, muss auch was dazu schreiben!", so das OLG ganz nachvollziehbar:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Herzberg am Harz vom 12. Januar 2021 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Herzberg am Harz zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Der Betroffene ist vom Amtsgericht Herzberg am Harz wegen einer vorsätzlich begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um vorwerfbare 29 km/h mit Urteil 12. Januar 2021 mit einer Geldbuße von 190,- € und einem Fahrverbot von 1 Monat belegt worden. Darüber hinaus ordnete das Gericht an, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein des Betroffenen in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von 4 Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

 Gegen dieses Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und eine Zurückverweisung und Neuverhandlung der Sache zu erreichen sucht.

 Die Generalstaatsanwaltschaft unterstützt die Rechtsbeschwerde und hat beantragt wie erkannt.

 II.

 Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG statthaft und auch ansonsten zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

 Das Rechtsmittel hat auf die erhobene Sachrüge auch in der Sache Erfolg. Der Senat folgt insoweit dem Antrag und der Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft, die Folgendes ausgeführt hat:

 „[…]

 Die aufgrund der erhobenen Sachrüge erfolgte Nachprüfung des angefochtenen Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht hat dagegen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen aufgedeckt. Die schriftlichen Urteilsgründe enthalten durchgreifende Darstellungsmängel (§ 267 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG).

 Zwar enthält das Urteil zunächst die erforderlichen Feststellungen zum Tatort und zur Tatzeit (UA Seite 3: Bl. 152 d.A.). In den Gründen stellt das Amtsgericht zudem das eingesetzte Messgerät, dessen gültige Eichung, den ordnungsgemäßen und störungsfreien Ablauf der Messung, die gemessene Geschwindigkeit und die tatsächlich vorwerfbare Geschwindigkeit dar (UA Seiten 3-4; Bl. 152-152R d.A.). Die Fahrereigenschaft hat der Betroffene eingeräumt (UA Seite 3; Bl. 152 d.A.).

 Bei der Messung mit dem Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan FM1 handelt es sich um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren, worauf das Amtsgericht auch zutreffend eingeht (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 7. Januar 2021 - 1 OWi 2 SsBs 98/20 - juris, Rn. 17; KG Berlin, Beschluss vom 5. April 2020 - 3 Ws (B) 64/20 - juris, Rn. 16). In Fällen eines solchen standardisierten Messverfahrens sind in den Urteilsgründen nähere Ausführungen zur Messung grundsätzlich erst dann erforderlich, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Verfahrensbestimmungen nicht eingehalten worden sind oder, wenn konkrete Messfehler vom jeweils Betroffenen oder einem anderen Verfahrensbeteiligten behauptet werden.

 Solche Anhaltspunkte haben im vorliegenden Fall offensichtlich bestanden, weil das Amtsgericht ausweislich der Urteilsgründe ein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt hat, ob eine ordnungsgemäße Messung auch im konkreten Fall vorgelegen hat (UA Seite 4; Bl. 152R d.A.).

 In diesen Fällen muss der Tatrichter allerdings die Ausführungen des Sachverständigen in einer zusammengefassten Darstellung unter Mitteilung der zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen wenigstens insoweit in den schriftlichen Urteilsgründen wiedergeben, als dies zum Verständnis von dessen Inhalt und Ereignissen erforderlich ist. Nur dann ermöglicht er dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung, ob der Tatrichter die Zuverlässigkeit der Messung trotz der Auffälligkeiten, die ihn zur Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlasst haben, ohne Rechtsfehler bejaht hat (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26. August 2020 - 1 OWi SsBs 110/20 - juris, Rn. 10 m.w.N.).

 Diesen Anforderungen wird das vorliegende Urteil nicht gerecht. Das Amtsgericht verweist lediglich darauf, dass der Sachverständige nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen sei, dass von einer im vollem Umfang verwertbaren Geschwindigkeitsmessung auszugehen sei. Nähere auf die Ausführungen des Sachverständigen beruhende Darlegungen zu den Messergebnissen, zum Messablauf und dazu, ob insgesamt eine ordnungsgemäße Messung erfolgt ist, werden nicht vorgenommen, obwohl offenkundig Zweifel daran vorgelegen haben, dass hier trotz des verwendeten Messgerätes PoliScan FM1 ausnahmsweise keine Messung im standardisierten Messverfahren erfolgt sein könnte.

 Dabei ist auch nicht deutlich geworden, welche Auffälligkeiten das Amtsgericht überhaupt dazu veranlasst haben, das Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben. Soweit es in den weiteren Urteilsgründen offenkundig auf Einwendungen des Betroffenen eingeht (UA Seite 4, Bl. 152R d.A.). so wird jeweils nur zusammenfassend das Ergebnis des Sachverständigen dargestellt. Allein anhand dieser Darstellungen sind aber die diesen zugrunde liegenden Fragen nicht erkennbar. Will sich das Amtsgericht aber - wie hier - dem Ergebnis eines Sachverständigengutachtens insgesamt anschließen, so müssen in den Urteilsgründen wenigstens die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen des Sachverständigen wiedergegeben werden (OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2009 - 5 Ss 71/09 - juris, Rn. 25; OLG Hamm, Beschluss vom 13. August 2020 - III-3RBs 145/20 - juris, Leitsatz).

 […].“

 Dem tritt der Senat bei.

OLG Braunschweig Beschl. v. 22.3.2021 – 1 Ss (OWi) 50/21, BeckRS 2021, 6845

 

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