Polizeiliche Sicherstellung des Fahrzeugs nach Fahren ohne Fahrerlaubnis

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 28.05.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|8234 Aufrufe

Nicht nur strafrechtlich wird ein Fahrzeugführer nach Straftaten im Verkehr verfolgt. Es kann auch verwaltungsrechtliche "Sanktionen" geben. Hier etwa wurde nach einem Fahren ohne Fahrerlaubnis das Fahrzeug sichergestellt aufgrund drohender weiterer Fahrten. Und das VG fand das gut! So etwas habe ich noch nie gehört. Es erscheint mir aber durchaus nachvollziehbar:

 

1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

 Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

 2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

 Gründe: 

 I.

 Der Antragsteller besitzt keine Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen. Er wurde am 00.01.2020 auf dem R. J. in K. von Beamten des Antragsgegners dabei beobachtet, wie er seinen PKW mit dem Kennzeichen X - XX 000 im öffentlichen Straßenverkehr führte. Ausweislich des Polizeiberichts sei der Antragsteller zunächst mit stark überhöhter Geschwindigkeit davon gefahren, als er den Streifenwagen erblickt habe. Als der Antragsteller schließlich angehalten werden konnte, habe er angegeben, dass er seine auf dem Beifahrersitz befindliche Enkelin zu einem Schnellimbiss habe fahren wollen.

 Am 00.03.2020 fiel das Fahrzeug des Antragstellers einer Polizeistreife des Antragsgegners auf, weil es behindernd in der Feuerwehrzufahrt an der Wohnanschrift des Antragstellers stand. Dem Polizeibericht zufolge seien mehrere Personen um das Fahrzeug versammelt gewesen; der Antragsteller habe das Fahrzeug gereinigt. Die Personen seien sodann auf den ungünstigen Abstellort hingewiesen worden. Bei ihrer Abfahrt hätten die Beamten des Antragsgegners sodann bemerkt, dass der Antragsteller das Fahrzeug weggefahren habe. Er sei daraufhin angehalten und als Beschuldigter belehrt worden und habe angegeben, dass normalerweise nur sein Schwager fahre, da er selbst keinen Führerschein habe.

 Das Fahrzeug wurde sodann von den Beamten sichergestellt. Im Polizeibericht heißt es insoweit, dass das Fahrzeug „als Tatmittel“ sichergestellt worden sei. Im zugehörigen Sicherstellungsprotokoll ist der Antragsteller als Tatverdächtiger - und nicht als polizeirechtlich Verantwortlicher - genannt. Als Sicherstellungsgrund wurde „Gefahrenabwehr (nach wiederholtem Fahren ohne FE)“ angegeben.

 Zwei daraufhin bei der Staatsanwaltschaft Köln geführte Ermittlungsverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit den Az. 000 XX 0000/00 und 000 XX 0000/00 wurden verbunden. Der Antragsteller wurde in der Folge hinsichtlich des Vorfalls vom 00.01.2020 zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. Das Verfahren hinsichtlich des Vorfalls vom 00.03.2020 wurde gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Antragsteller hat insoweit in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Köln am 10.09.2020 angegeben, dass er das Fahrzeug am 00.03.2020 nur ca. 10-20 m auf Privatgelände und nicht im öffentlichen Verkehr bewegt habe.

 Der Antragsteller war in der Vergangenheit wiederholt wegen Verkehrsdelikten verurteilt worden: Erstmals wurde der Antragsteller im Jahre 1992 wegen Gebrauchens eines nicht versicherten Kraftfahrzeugs zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt. Im Jahr 1995 wurde der Antragsteller wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt. Es folgten 1996 zwei weitere Verurteilungen wegen desselben Deliktes, einmal zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen und einmal zu einer Freiheitsstrafe von 6 Wochen. Im Jahr 1998 wurde der Antragsteller erneut wegen eines Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Bei einer Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung im Jahre 1999 wurde ein einmonatiges Fahrverbot als Nebenstrafe verhängt. 2004 folgte eine weitere Verurteilung wegen des Führens eines nicht versicherten Fahrzeugs zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen. Im Jahr 2011 wurde der Antragsteller wegen Kennzeichenmissbrauchs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. 2014 wurde der Antragsteller wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt, seine 2007 erteilte Fahrerlaubnis wurde ihm in der Folge entzogen.

 Mit Schreiben vom 10.03.2020, das mit „Androhung der Sicherstellung gemäß § 43 Nr. 1 PolG NRW sowie Anordnung der sofortigen Vollziehung“ überschrieben war, forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, das Führen von Kraftfahrzeugen ohne erforderliche Fahrerlaubnis zu unterlassen. Der Antragsteller sei in der Vergangenheit wiederholt wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Erscheinung getreten und mehrfach verurteilt worden. Gemäß § 43 Nr. 1 PolG NRW könne die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren, z. B. um die fortgesetzte Begehung von Straftaten mit der Sache als Tatmittel zu verhindern. Sollte der Antragsteller erneut wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Erscheinung treten, werde der Antragsgegner das vom Antragsteller geführte Fahrzeug ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse sicherstellen. Ferner wies der Antragsgegner darauf hin, dass auf Grundlage strafprozessualer Vorschriften eine ersatzlose Einziehung vorgenommen werden könne.

 Bereits mit Verfügung vom 09.03.2020 hatte die Staatsanwaltschaft Köln die Freigabe des PKW an den Antragsteller angeordnet, da der Wagen als Einziehungsgegenstand nicht in Betracht komme.

 Der Antragsgegner hielt in einem Aktenvermerk vom 10.03.2020 fest, dass der Wagen nunmehr dauerhaft zum Zwecke der Gefahrenabwehr sichergestellt werde. Mit dem Antragsteller am 12.03.2020 zugestelltem Schreiben vom 11.03.2020 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dass die Staatsanwaltschaft Köln das Fahrzeug mit Verfügung vom 09.03.2020 freigegeben habe. Er stelle das Kraftfahrzeug „daher mit Wirkung zu gleichem Datum zur Gefahrenabwehr gem. § 41 [sic] Nr. 1 PolG NRW“ sicher. Der Antragsteller habe nunmehr die Möglichkeit, „sich in der Sache zu äußern (§ 28 Verwaltungsverfahrensgesetz)“. Sollte innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung des Schreibens keine Einlassung erfolgt sein, gehe der Antragsgegner davon aus, dass der Antragsteller darauf verzichte, sich in der vorliegenden Sache einzulassen.

 Der jetzige Prozessbevollmächtigte des Antragstellers wandte sich mit Schreiben vom 07.05.2020 an den Antragsgegner. Der Sicherstellung werde ausdrücklich widersprochen. Der Antragsgegner habe dem Antragsteller mit Schreiben vom 10.03.2020 die Sicherstellung im Falle der Wiederholung des Führens von Kraftfahrzeugen ohne Fahrerlaubnis angedroht. Dagegen habe der Antragsteller nicht verstoßen. Dies habe der Antragsgegner ignoriert, als er mit Schreiben vom 11.03.2020 trotz unveränderter Sachlage die Sicherstellung verfügt habe. Der Ablauf spreche für sich. Gründe für eine Sicherstellung nach dem Polizeigesetz seien nicht gegeben und die Maßnahme im Übrigen auch unverhältnismäßig.

 Unter dem 05.06.2020 antwortete der Antragsgegner dem jetzigen Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, dass ihm eine ausführliche und klagefähige Begründung bis zum Ablauf der 28. Kalenderwoche zugehen werde.

 Mit Bescheid vom 03.07.2020, dem jetzigen Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 04.07.2020 zugestellt, stellte der Antragsgegner den PKW (erneut) sicher. Weiter ordnete er die sofortige Vollziehung an. Der Antragsteller sei seit Januar 2020 in zwei Fällen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Erscheinung getreten. Der Anregung des Antragsgegners im Strafverfahren zur Einziehung des Kraftfahrzeugs sei die Staatsanwaltschaft nicht gefolgt. Daraufhin habe der Antragsgegner das Fahrzeug auf Grundlage von § 43 Nr. 1 PolG NRW sichergestellt. Darüber habe der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 11.03.2020 in Kenntnis gesetzt und ihm die Möglichkeit zur Äußerung eingeräumt. Das bisherige Verhalten des Antragstellers lasse keinen anderen Schluss zu, als dass der Antragsteller, wenn er weiterhin Zugriff auf das Fahrzeug haben sollte, mit der Verwirklichung des strafbaren Fahrens ohne Fahrerlaubnis fortfahren werde. Offenkundig hätten frühere Verurteilungen nicht zu einer Einsicht oder Verhaltensänderung beim Antragsteller geführt. Der Antragsgegner bezog sich dabei auf die bereits genannten Verurteilungen des Antragstellers wegen Verkehrsdelikten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei im öffentlichen Interesse geboten. Die aufschiebende Wirkung eines vom Antragsteller eventuell eingelegten Rechtsbehelfs würde den im Allgemeininteresse liegenden Zielen, nämlich dem Interesse der Allgemeinheit, vor der Begehung von Straftaten durch den Antragsteller unter Verwendung der sichergestellten Gegenstände geschützt zu werden, zuwiderlaufen. Diesem öffentlichen Interesse gebühre gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs der Vorrang. Es sei nicht hinnehmbar, dass der Antragsteller bei Herausgabe der sichergestellten Gegenstände mit der Begehung von Straftaten fortfahre, wovon auszugehen sei.

 Am 04.08.2020 hat der Antragsteller Klage erhoben (Verfahren 20 K 4213/20) und einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt.

 Der Antragsteller beantragt,

 die aufschiebende Wirkung der Klage 20 K 4213/20 wiederherzustellen.

 Der Antragsgegner beantragt,

 den Antrag abzulehnen.

 Er hat im Verfahren 20 K 4213/20 ausgeführt, dass aus dem Verhalten des Antragstellers in der Vergangenheit nur der Schluss gezogen werden könne, dass dieser nicht gewillt sei, sich an Regeln zu halten und er wieder Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr führen werde, sobald er Zugriff auf ein Fahrzeug habe. Es sei lediglich glücklichen Umständen zu verdanken, dass bislang niemand bei den Fahrten des Antragstellers ernsthaft zu Schaden gekommen sei. Weiter sei zu berücksichtigen, dass der Antragsteller mindestens in einem Fall eine Minderjährige habe mitfahren lassen. Weiter sei im Hinblick auf das verantwortungslose Verhalten des Antragstellers und seine Weigerung, sich an Vorschriften zu halten, zu befürchten, dass bei einer Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr Unbeteiligte zu Schaden kommen könnten.

 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die Akte des Verfahrens 20 K 4213/20, auf die beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Köln (000 XX 0000/00 und 000 XX 0000/00) sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners Bezug genommen.

 II.

 Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.

 Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt im vorliegenden Fall noch den Anforderungen des § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO. Danach ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO (Anordnung der sofortigen Vollziehung) das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Es handelt sich um ein formales, den Mindestinhalt der Begründung betreffendes Erfordernis, an das keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Die Begründung darf sich allerdings nicht auf eine bloße Wiedergabe des Gesetzestextes beschränken oder lediglich formelhafte, abstrakte und letztlich inhaltsleere Wendungen ohne jeden Bezug zu dem konkreten Fall enthalten. Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 08.03.2018 - 1 B 770/17 - BeckRS 2018, 3173.

 Die Begründung im Bescheid vom 03.07.2020 ist zwar sehr allgemein gehalten, sie deckt sich aber letztlich mit den Gründen der Sicherstellung an sich, mit der auf Grundlage von § 43 Nr. 1 PolG NRW weitere Straftaten des Antragstellers verhindert werden sollen. Dass sich die Gründe des besonderen Vollzugsinteresses mit den Gründen für den Erlass der Verfügung decken, begegnet nach allgemeiner Auffassung keinen Bedenken, wenn der Sofortvollzug - wie hier - für notwendig erachtet wurde, um Gefahren zu bekämpfen, die sich im Zeitraum bis zum Abschluss des Rechtsschutzverfahrens verwirklichen können. Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17.01.1997 - 5 B 2601/96 - NJW 1997, 1596.

 Gem. § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn wie hier die sofortige Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO von der Behörde angeordnet worden ist. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht das öffentliche Vollziehungs- und das private Aussetzungsinteresse gegeneinander abzuwägen und dabei die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Während bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs ein schutzwürdiges Aussetzungsinteresse nicht in Betracht kommt, besteht umgekehrt kein öffentliches Interesse am Vollzug einer offensichtlich rechtswidrigen Verfügung. Lassen sich die Erfolgsaussichten nur abschätzen, ohne eindeutig zu sein, bildet der Grad der Erfolgschance ein wichtiges Element der vom Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung.

 Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse am Vollzug der angefochtenen Verfügung das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn es spricht nach summarischer Prüfung der bisherigen Sach- und Rechtslage Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Sicherstellungsverfügung.

 Der Antragsgegner ist für die Verhütung und vorbeugende Bekämpfung von Straftaten gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 PolG NRW originär zuständig.

 Der Antragsteller wurde vor Erlass der Sicherstellungsverfügung in einer § 28 Abs. 1 VwVfG NRW genügenden Weise angehört. Im Schreiben vom 11.03.2020 wurde dem Antragsteller explizit die Möglichkeit zur Äußerung eingeräumt. Dabei ist unschädlich, dass der Antragsgegner bereits in diesem Bescheid die Sicherstellung des Fahrzeugs angeordnet hat. Abzustellen ist auf den Bescheid vom 03.07.2020, der an die Stelle der Verfügung vom 11.03.2020 getreten ist und vor dessen Erlass der Antragsteller Gelegenheit zur Äußerung hatte.

 Mit seiner Klage im Hauptsacheverfahren begehrt der Antragsteller die Aufhebung der Sicherstellungsverfügung vom 03.07.2020. Bei dieser handelt es sich um einen sog. Zweitbescheid. Ein solcher Zweitbescheid ist dann anzunehmen, wenn er den Willen der Behörde, eine neue, an die Stelle des ursprünglichen (unanfechtbaren) Verwaltungsakts tretende Sachentscheidung zu treffen, unzweideutig zum Ausdruck bringt. Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 04.03.2013 - 15 A 2421/12 - BeckRS 2013, 51215.

 Der Zweitbescheid ist - zumal wie hier bei einem nicht bestandskräftigen Erstbescheid - von einer sog. wiederholenden Verfügung abzugrenzen. Vgl. BeckOK VwVfG/von Alemann/Scheffczyk, 49. Ed. 1.10.2020, VwVfG § 35 Rn. 189.

 Unter einer wiederholenden Verfügung ist die Wiederholung eines (unanfechtbaren) Verwaltungsakts oder der Hinweis auf einen solchen Verwaltungsakt zu verstehen, ohne dass eine erneute Sachentscheidung ergeht. Die Bewertung, ob eine wiederholende Verfügung in diesem Sinne oder eine erneute Sachentscheidung (Zweitbescheid) vorliegt, hängt maßgeblich davon ab, ob sich die tragenden Erwägungen der behördlichen Aussage gegenüber dem Erstbescheid nach der insoweit maßgeblichen Erklärung der Behörde in ihrer nachfolgenden Äußerung geändert haben, insbesondere weil eine entscheidende Akzentverschiebung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht in der neuen Begründung enthalten ist. Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 04.03.2013 - 15 A 2421/12 - BeckRS 2013, 51215.

 Der Antragsgegner hat die Sicherstellung im Bescheid vom 03.07.2020 erstmals umfassend begründet. Erst hier hat er die maßgeblichen Gründe für die Sicherstellung aufgeführt und erstmals unter die im vorherigen Bescheid nur genannte Ermächtigungsgrundlage des § 43 Nr. 1 PolG NRW subsumiert.

 Auch indizieren die äußere Gestaltung, bei der erstmals eine Trennung in Regelung und Begründung vorgenommen wurde, und das erstmalige Beifügen einer Rechtsbehelfsbelehrung:, dass der Antragsgegner hier eine neue Sachentscheidung treffen wollte. Vgl. BVerwG, Urt. v. 10.10.1961 - VI C 123.59 - NJW 1962, 362; Stelkens/Bonk/Sachs, 9. Aufl. 2018, § 51 VwVfG Rn. 59.

 Dafür spricht weiter, dass der Antragsgegner im Schreiben vom 05.06.2020 gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers eine „klagefähige“ Begründung angekündigt hat.

 Der Antragsgegner war an der Sicherstellung nicht dadurch gehindert, dass er diese im Schreiben vom 10.03.2020 für den Fall des erneuten Fahrens ohne Fahrerlaubnis angedroht hatte. Es handelte sich hierbei nicht um die Zusicherung (§ 38 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW), eine Sicherstellung solange zu unterlassen, bis der Antragsteller erneut ohne Erlaubnis das Fahrzeug führt.

 Eine Zusicherung hat zur Voraussetzung, dass sie mit Bindungswillen der Behörde erfolgt. Maßgeblich ist insoweit der erklärte Wille der Behörde, wie er sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nach Treu und Glauben darstellt. Der Wille der Behörde, sich für die Zukunft zu binden und einen entsprechenden Anspruch des Begünstigten auf die zugesagte Maßnahme bzw. auf ein Unterlassen zu begründen, muss dabei eindeutig erkennbar sein. Neben dem Wortlaut der Erklärung sind auch die Begleitumstände, insbesondere der Zweck der Erklärung, zu berücksichtigen. OVG NRW, Beschluss vom 07.08.2009 - 13 A 2363/08 - BeckRS 2009, 38753.

 Hier war dem Schreiben vom 10.03.2020 lediglich die „Androhung“ zu entnehmen, dass der Antragsgegner im Falle eines erneuten unerlaubten Führens eines Kraftfahrzeugs durch den Antragsteller das jeweilige Tatmittel sicherstellen werde.

 Die Voraussetzungen des § 43 Nr. 1 PolG NRW lagen vor. Danach kann die Polizei eine Sache zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr sicherstellen.

 Die Freigabe des Fahrzeugs durch die Staatsanwaltschaft stand dabei einer Sicherstellung auf Grundlage des Polizeirechts nicht entgegen. Vgl. ausführlich VG Köln, Urt. v. 03.05.2018 - 20 K 7407/16 - BeckRS 2018, 13862.

 § 43 Nr. 1 PolG NRW enthält mit dem Erfordernis einer gegenwärtigen Gefahr eine zusätzliche Qualifizierung der Eingriffsvoraussetzungen. Der Begriff der gegenwärtigen Gefahr stellt strengere Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts. Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht. Aber auch bei Anwendung des qualifizierten Gefahrenbegriffs ist hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit der Gefahrenverwirklichung eine differenzierte Betrachtung geboten. Je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, umso geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit gestellt werden können. Vgl. BVerwG, Urt. v. 26.02.1974 - I C 31.72 - BVerwGE 45, 51, 58; OVG NRW, Beschluss vom 30.10.2012 - 5 B 669/12 - BeckRS 2012, 59281; VG Köln, Beschluss vom 06.02.2017 - 20 L 3178/16 - BeckRS 2017, 101849.

 Die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr ist im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Aufgrund der Erkenntnislage zum Zeitpunkt der Sicherstellung war mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller in allernächster Zukunft erneut ein Fahrzeug ohne Fahrerlaubnis im Straßenverkehr führen werde.

 Diese Annahme stützt sich zunächst auf das wiederholte Führen des Kraftfahrzeugs im Jahr 2020 durch den Antragsteller, der keine Fahrerlaubnis besitzt. Der Antragsteller wurde durch den Antragsgegner zweimal im Abstand von gut fünf Wochen im Nahbereich seiner Wohnanschrift beim Führen des sichergestellten PKW angetroffen. Damit hatte sich jeweils eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit wegen eines Verstoßes gegen § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG realisiert. Hinsichtlich des 00.03.2020 lag jedenfalls eine Anscheinsgefahr vor. Das Fahrzeug des Antragstellers blockierte die (Feuerwehr-) Zufahrt der Anschrift R. J. 00, einer Asylbewerberunterkunft, auf deren weitläufigem Gelände grundsätzlich auch mit Verkehr von Besuchern und Lieferanten gerechnet werden muss. Vgl. zu Grundstückszufahrten als öffentliche Verkehrsflächen Haus/Krumm/Quarch/Kerkmann/Blum, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Auflage 2017, § 21 StVG Rn. 12.

 Jedenfalls in Zusammenschau mit dem Umstand, dass der Antragsteller seit nunmehr fast 30 Jahren immer wieder aufgrund von Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr verurteilt wurde, reichte dies zur Annahme einer (auch weiterhin bestehenden) gegenwärtigen Gefahr aus. Vgl. zur Gefahrenprognose für die Sicherstellung eines PKW auch VG Köln, Beschluss vom 06.02.2017 - 20 L 3178/16 - BeckRS 2017, 101849; VG Chemnitz, Beschluss vom 10.08.2016 - 3 L 349/16 - BeckRS 2016, 123285; VG Ansbach, Urt. v. 16.11.2010 - AN 1 K 10.00941 - BeckRS 2010, 34835; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 23.09.1991 - 1 S 1746/91 - NVwZ-RR 1992, 184, 185.

 Die strafrechtliche Vorgeschichte des Antragstellers ist von einer konstanten Begehung von verkehrsbezogenen Straftaten geprägt. Mag zwischen den einzelnen Verurteilungen auch ein zeitlicher Abstand liegen, so ist gleichwohl gerade keine Einsicht oder diesbezügliche Verhaltensänderung beim Antragsteller erkennbar. Insoweit weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass weitere, unentdeckt gebliebene Verstöße des Antragstellers nahe liegen.

 Vorliegend spricht auch Überwiegendes dafür, dass der Antragsgegner das ihm eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat.

 Der Antragsgegner hat das ihm eingeräumte Ermessen erkannt und im Bescheid vom 03.07.2020 insoweit ausgeführt, dass die Sicherstellung geeignet, erforderlich und angemessen sei, den Antragsteller an der weiteren fortgesetzten Begehung der aufgeführten Straftaten zu hindern. Weiter heißt es im Bescheid an anderer Stelle, dass das bisher an den Tag gelegte Verhalten des Antragstellers keinen anderen Schluss zulasse, als dass er bei Zugriff auf das Fahrzeug weiter ohne Fahrerlaubnis fahren werde. Strafgerichtliche Verurteilungen seien offensichtlich nicht geeignet gewesen, eine Verhaltensänderung herbeizuführen.

 Diese knappen Ausführungen hat der Antragsgegner im Klageverfahren 20 K 4213/20 zulässigerweise weiter ergänzt, § 114 S. 2 VwGO. Vgl. zur Ergänzung von Ermessenserwägungen OVG NRW, Beschluss vom 29.01.2018 - 9 B 1540/17 - BeckRS 2018, 960.

 Er hat insoweit ausgeführt, dass weiter zu berücksichtigen sei, dass der Antragsteller mindestens in einem Fall eine Minderjährige habe mitfahren lassen. Weiter sei im Hinblick auf das verantwortungslose Verhalten des Antragstellers und seine Weigerung, sich an Vorschriften zu halten, zu befürchten, dass bei einer Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr Unbeteiligte zu Schaden kommen könnten.

 Ermessensfehler sind insoweit nicht ersichtlich. Die Maßnahme ist insbesondere auch erforderlich, da mildere Mittel zur Verhinderung eines Führens des Fahrzeugs durch den Antragsteller nicht bestehen. So würde eine Sicherstellung nur der Fahrzeugschlüssel nicht hinreichend sicher eine Nutzung des Fahrzeugs verhindern. Zum einen könnte nicht kontrolliert werden, ob tatsächlich alle Fahrzeugschlüssel abgegeben wurden und zum anderen bestünde unter Angabe der Fahrzeugidentifikationsnummer die Möglichkeit, Schlüssel über den Fahrzeughersteller nachmachen zu lassen. Vgl. dazu VG Köln, Beschluss vom 06.02.2017 - 20 L 3178/16 - BeckRS 2017, 101849.

 Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller ohne Fahrerlaubnis das Fahrzeug selbst nicht legal führen darf und der Entzug des Fahrzeugs dadurch weniger schwer wiegt.

VG Köln Beschl. v. 8.3.2021 – 20 L 37/21, BeckRS 2021, 8101 

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2 Kommentare

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Hinweis auf meinen Aufsatz "Zur polizeirechtlichen Sicherstellung von Fahrzeugen" in NZV 2020, 351

Klaus Weber, Regierungsdirektor a.D.

www.hansklausweber.de

 

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Geht in dieselbe Richtung wie einst die Sicherstellung von Bargeldbeträgen unklarer Herkunft. Strafrechtlich kam nichts raus bei den "Fahrten in die Niederlande zwecks Erwerbs eines Pkw für 150.000 € in bar, wobei mir der Name des Verkäufers leider entfallen ist und ich seit Jahren Einkünfte unter dem Existenzminimum habe", dann hat man wg. Gefahrenabwehr das Geld einbehalten. Inzwischen wurde das abgelöst durch die erweiterten strafrechtlichen/prozessualen Einziehungsmöglichkeite

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