AG Rudolstadt: Akteneinsicht bei AAK-Messung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 06.06.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1762 Aufrufe

Eigentlich eigenartig, dass es noch immer Entscheidungen geben muss, in denen es um die Akteneinsicht in Bedienungsanleitungen geht. Ich habe jetzt nicht noch einmal nachgeschaut; früher hatte Draeger aber als einziger Messgeräterhersteller im Verkehrsrecht die Bedienungsanleitung des Evdiential frei verfügbar online. Warum Verwaltungsbehörden hier noch heute beim neuen Alcotest "mauern", ist mir umso weniger klar. Dies gilt umso mehr, als doch die vom BVerfG angemahnte Informationsparität sicher auch die Einsatzmodalitäten eines Messsystems umfasst. Das AG Rudolstadt hat jedenfalls klar entschieden: Es gibt alles, was der Verteidiger verlangt!

 

 

1. Dem Verteidiger des Betroffenen ist Akteneinsicht in folgende Unterlagen zu gewähren:

 - die Lebensakte des verwanden Messgerätes DRÄGER ALCOTEST 9510 DE mit der Seriennummer: ARHM-0051, soweit eine solche vorhanden und geführt wird,

 - den Eichschein des verwanden Messgerätes,

 - den Befähigungsnachweis des Messbeamten POM

 - der Bedienungsanleitung des verwanden Messgerätes DRÄGER ALCOTEST 9510 DE

 2. Die Kosten und Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.

 Gründe: 

 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gem. § 62 OWiG zulässig und begründet.

 Die Unterlagen dienen zur Überprüfung der Ordnungsgemäßheit der Atemalkoholmessung. Ein Anspruch des Verteidigers auf Einsichtnahme der Unterlagen ergibt sich aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens. Selbstverständlich ist auch die Bedienungsanleitung des verwanden Messgerätes dem Verteidiger zugänglich zu machen und dieser kann nicht darauf verwiesen werden, sich die entsprechende Bedienungsanleitung aus dem Internet selbst herauszusuchen.

 Dem Betroffenen eins Bußgeldverfahrens steht ein umfassendes Akteneinsichtsrecht zu, das in der Regel gemäß § 147 StPO i.V.m. 46 Abs. 1 OWiG über seinen Verteidiger ausgeübt wird. Dieses Recht ist, sofern die Ermittlungen förmlich abgeschlossen sind (§§ 169 a, 147 Abs. 2 StPO i.V.m. 46 Abs. 2, 61 OWiG9, zwar nach Ort, Zeitpunkt und Dauer der Einsichtnahme modifizierbar, hinsichtlich seines Umfanges aber weder eingeschränkt, noch beschränkbar (Bundesverfassungsgericht Eintscheid 62, 338).

 Das Einsichtsrecht erstreckt sich aber nicht nur auf sämtliche Unterlagen der Verwaltungsbehörde, die zu den Akten genommen worden sind, auf die der Vorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, sondern auch auf alle sonstigen verfahrensbezogenen Vorgänge, die möglicherweise bedeutsam für das Verfahren sind. Dazu gehört unter anderem auch die zum Zeitpunkt der Messung gültige Version der Bedienungsanleitung (unter anderem: AG Bad Kissingen, Beschluss vom 06.07.2006, 3 OWi 17 Js 7100/06; LG Ellwangen, Beschluss vom 14.12.2009 1 Qs 166/09; AG Herford, Beschluss vom 20.09.2010, AG Ellwangen, am angegebenen Ort; 11 OWi, 624/10, AG Heidelberg, Beschluss vom 31.10.2011, 3 OWi 510 Js 22198/11; AG Lüdinghausen, Beschluss vom 09.02.2012, 19 OWi 10/20; AG Cottbus, 14.09.2012, 83 OWi 1122/12; AG Jena, 03.08.2018, 3 OWi 1194/18, etc.).

 Die Bedienungsanleitung ist notwendig, um den gegebenenfalls als Zeugen zu befragenden Messbeamten sachgerecht zur ordnungsgemäßen Durchführung der Messung befragen zu können. Auch unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit kann die Einsicht in die Bedienungsanleitung des Messgerätes nicht versagt werden. Zum Einen kommt es für die Erfüllung des Akteneinsichtsrechts als Konkretisierung des aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Rechts auf ein faires Verfahren nicht auf die Frage der Zumutbarkeit für die Verwaltungsbehörde an, zum Andren dürfte die Bedienungsanleitung als Computerdatei vorliegen und deshalb problemlos an den Verteidiger übersandt werden können (vergleiche auch Burhoff VRR 7/2011).

 Das Urheberrecht steht der Beifügung einer Kopie der Bedienungsanleitung - ggf. als Computerdatei - nicht entgegen. Die Bedienungsanleitung für ein Messgerät beschreibt lediglich die vorgegebenen technischen Zusammenhänge auf eine handwerklich definierbare Weise und ist deshalb keine eigenständige geistige Schöpfung des Autors (vergleiche: Ellwangen, VRR 2011, 117; AG Ellwangen NZV 2011, 362). Als Bestandteil der Akte ist auch offensichtlich, dass die überlassenen Unterlagen nur auf das vorliegende Verfahren verwandt und insbesondere nicht anderweitig veröffentlicht werden dürfen. So auch das AG Lüdinghausen, Beschluss vom 21.12.2015 zu dem Aktenzeichen: 19 OWi 227/15. Danach kann die Bedienungsanleitung ohne Verletzung des Urheberrechts Verteidigern im Wege der Akteneinsicht zur Verfügung gestellt werden und muss dies auch. Sinn der Akteneinsicht in die Bedienungsanleitung ist bekanntermaßen die von allen Verfahrensbeteiligten vorzunehmende Prüfung der Messung anhand der Bedienungsanleitung. Hierfür ist es vor allem erforderlich, dass die Bedienungsanleitung bei Bedarf stets für den Prüfenden zur Hand ist. So ist es insbesondere für den Verteidiger wichtig, sich in der Sitzung - bei Bedarf auch ohne Onlinezugang - mit einer in Papierform vorhandenen Bedienungsanleitung zu versehen, um Messungen zu überprüfen.

 Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in § 62 Abs. 2 S. 2 OWiG i.V.m. einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO, da dem Antrag vollumfänglich stattzugeben war.

 Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ist möglich.

AG Rudolstadt Beschl. v. 25.3.2021 – 1 OWi 98/21, BeckRS 2021, 9713 

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