Spontanversagen des beA

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 05.08.2021

Ach ja, die Digitalisierung. Sie macht alles so einfach, schnell und leicht - wenn sie denn funktioniert. Wenn nicht, wird es kompliziert, langsam und schwer. Das musste jetzt eine Klägerin erfahren, die sich gegen eine Kündigung gerichtlich zur Wehr gesetzt hatte. Erstinstanzlich hatte ihre Klage beim ArbG Lübeck keinen Erfolg. Für die zweite Instanz nahm sie sich einen anderen Rechtsanwalt, der die Berufung erst 23.45 Uhr des letzten Tages der (bereits gerichtlich verlängerten) Berufungsbegründungsfrist elektronisch zu übermitteln versuchte. Nach erfolgreicher Signatur, so trug er vor, habe die verwendete Software die Safe-ID des LAG Schleswig-Holstein nicht ermitteln können. Erst nach ca. acht Versuchen sei dies gelungen. Die Übermittlung - Sie ahnen es - erfolgte dementsprechend erst nach Mitternacht.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand blieb ohne Erfolg:

Es sei bereits höchstrichterlich geklärt, dass ein auf einen vorübergehenden „Computerdefekt“ oder „Computer-Absturz“ gestützter Wiedereinsetzungsantrag näherer Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung bedürfe. Ein einen Bedienungsfehler ausschließendes, auf einem technischen Defekt beruhendes Spontanversagen eines Faxgeräts sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht, wenn vor und nach dem erfolglosen Versuch der Übermittlung eines Schriftsatzes erfolgreiche Übermittlungen an die jeweiligen Empfänger stattgefunden hätten, ohne dass zwischenzeitlich eine technische Wartung oder Reparatur erfolgt sei. Diese Maßstäbe gölten in gleicher Weise bei einer Übermittlung fristgebundener Schriftsätze über das beA:

Es besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass den Prozessbevollmächtigten kein Verschulden trifft. Die Möglichkeit, dass ein Fehler in der Bedienung des Programms vorliegt, ist mindestens so wahrscheinlich wie das von der Kl. behauptete spontane Auftreten eines Softwarefehlers, der sich nach ca. einer halben Stunde ohne weitere Maßnahmen des Prozessbevollmächtigten der Kl. von selbst behoben hat. Der Vortrag der Kl. gibt ausschließlich die eigenen Wahrnehmungen ihres Prozessbevollmächtigten wieder. Dabei kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Adresse des LAG Schleswig-Holstein von der Software nicht automatisch erkannt worden ist. Unter anderem hierfür ist ja gerade die Möglichkeit der manuellen Adresssuche vorgesehen. Zu dieser manuellen Suche fehlt es jedoch an konkretem Vortrag der Kl., außer dass diese wiederholt vorgenommen worden sei. … Objektive Angaben zu den Eingaben in das Programm fehlen. Ein Screenshot ist nicht vorgelegt, der durch Anzeigen der Bildschirmoberfläche die Eingaben des Prozessbevollmächtigten und die Reaktion der Software belegt. Die Erstellung eines Screenshots hätte jedenfalls, wenn der Prozessbevollmächtigte den Vorgang sieben- bis achtmal wiederholt hat, auch nahegelegen, um die Fehlerhaftigkeit der Software zu dokumentieren. … Aus Sicht des Gerichts ist ein Bedienfehler überwiegend wahrscheinlich. Nach eigenem Vortrag der Kl. hat das beA ihres Prozessbevollmächtigten am selben Tag bereits vor der Versendung dieses Berufungsbegründungsschriftsatzes funktioniert. … Auch nach Auftreten des Fehlers ist die Versendung ordnungsgemäß erfolgt. … Ausführungen dazu, dass irgendwelche Änderungen in den Systemeinstellungen oder sonstige Maßnahmen ergriffen wurden, um den Fehler zu beheben, hat die Kl. nicht vorgetragen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass eine Software sich ohne weiteres Zutun von selbst repariert. Wesentlich näher liegt hier die Annahme eines Fehlers bei der Eingabe. Für ein „Spontanversagen“ gibt es keine plausible Erklärung.

LAG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 8.4.2021 - 1 Sa 358/20, NJW 2021, 2308

 

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9 Kommentare

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Ich glaube dem Kollegen. Da sollten die Richter nicht so überkritisch sein. Bei mir tauchten auch schon ganz gravierende Fehler des beA auf, die selbst der Support durch ausgiebige Fernwartung mit Teamviewer nicht lösen konnte. Es war also kein "Bedienfehler". Dann half, wie immer bei so ziemlich jedem Computerproblem, ein Neustart des Computers. Darauf hätte man zwar auch selbst kommen können. Das dauert aber einige Minuten, die man bei der Frist einberechnen sollte.

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Der Fehler des Anwalts dürfte darin bestanden haben, kein Faxgerät oder einen anderen alternativen Übertragungsweg benutzt zu haben. Diese sollte man vorhalten, um angesichts der überragenden technischen Qualität des beA, welche einen historischen Charakter hat, gegen Systemausfälle gewappnet zu sein.

Auch kann man es als ein anwaltliches Verschulden bezeichnen, wenn angesichts der Qualität des beA Schriftsätze erst ein paar Minuten vor Fristablauf abgeschickt werden sollen.

Dass die Adressensuche nicht besonders gut funktioniert ist allgemein bekannt. Auch fällt das System immer wieder für kürzere oder längere Zeiträume mehr oder weniger komplett aus.

Darauf muss man sich einstellen, sonst unterliegt man der Haftung. Insbesondere ist man verpflichtet, die Störungsdokumentation der Bundesrechtsanwaltskammer regelmäßig;
zu lesen. Man sollte also ein paar Tage vor Fristablauf vorausschauend überprüfen, ob das beA wieder einmal nicht funktioniert oder eben doch.

Es ist allerdings zweifelhaft, ob alle Störungen der Dokumentation erfasst werden.

Um einiges komplizierter wird die ganze Problematik natürlich dann, wenn es keine Möglichkeit mehr gibt, Schriftsätze über Alternativkanäle einzureichen.

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Der Fall handelt in der Arbeitsgerichtsbarkeit Schleswig-Holsteins, wo die Nutzung des beA seit 1.1.2020 schon zwingend vorgeschrieben und Fax nicht mehr zulässig ist, vgl. hier. Genau das macht den Fall ja besonders pikant. Und wenn ich schon dabei bin, so hilf- wie ergebnislos mit dem beA herumzurödeln, habe ich mit Sicherheit keine Muße, daneben auch noch aussagekräftige Screenshots zu fertigen.

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Genau. Bereits die ausführlich begutachteten und teilweise dokumentierten Mängel und Systemfehler des beA lassen die Frage aufkommen, ob denn eine Nutzungspflicht, auch im Sinne aktiver Nutzung, zu rechtfertigen ist. Es könnte sein, dass es sich bei diesem System, welches ziemlich teuer war, nicht um einen sicheren Übertragungsweg handelt. Dann wäre auch zulässig, in regelmäßig auftretenden Notfällen das Fax zu benutzen.

Eine aktive Nutzungspflicht, ohne alternative Möglichkeiten der Kommunikation, setzt doch zwingend voraus, dass es sich um ein funktionierendes System handelt, welches auch Minimalanforderungen mit Blick auf die Sicherheit erfüllt.

Das war zumindest zeitweise nicht der Fall, so dass die Inbetriebnahme des Systems mehrfach, jahrelang, verschoben werden musste. Ob die Sicherheitsmängel mittlerweile behoben sind ?

Man sollte sich auf Überraschungen gefasst machen.

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Es sollte vielleicht noch abschließend erwähnt werden, dass der in dem oben genannten Verfahren vorgetragene Fehler, nämlich Probleme bei der Empfängersuche, schon seit längerer Zeit besteht, mehr oder weniger allgemein bekannt ist, und auch in der Störungs - Dokumentation der Bundesrechtsanwaltskammer aufgelistet ist.

Vor diesem Hintergrund ist es etwas riskant, eine Entscheidung auf das vermutete Vorliegen eines Bedienungsfehlers zu stützen.

Zumal sich der vorgetragene Fehler bzw.
Fehlerkomplex weitgehend mit dem deckt, was die Bundesrechtsanwaltskammer bereits ausführlichst dokumentiert hat.

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Das ist tatsächlich ein Systemfehler. Ich nutze das beA nicht so viel, was im besonderen an dem komplizierten Anmeldeverfahren liegt. Dieses funktioniert oft erst nach dem Löschen von Cache und Cookies und mehrmaligem Herunter- und wiederhochfahren. Insgesamt ist die Maske unübersichtlich und nutzerunfreundlich. Wenn ich das beA dann aber mal nutzen möchte habe ich im Schnitt 30 - 50 Prozent Störungen. Mal längere, mal kürzere. Ich plane daher Datenübermittlungen per beA meisten mit 3 - 5 Tagen im Voraus um Fristversäumnisse zu vermeiden. Aber besser wäre, es würde einfach funktionieren. Hier keinen alternativen Übermittlungsweg zu ermöglichen ist, imo, sicherlich ein Systemfehler. Den Kollegen hier als Lügner zu bezeichnen halte ich für falsch. Schade, dass einige Richter so völlig abgehoben und ohne jede Praxiserfahrung sind. Wenn ich so absolut keine eigene Erfahrungen und keine Ahnung habe, wäre sicherlich ein Gutachten sinnvoll gewesen.     

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"Objektive Angaben zu den Eingaben in das Programm fehlen. Ein Screenshot ist nicht vorgelegt, der durch Anzeigen der Bildschirmoberfläche die Eingaben des Prozessbevollmächtigten und die Reaktion der Software belegt."

:lol:

Während Sie versuchen den Brand zu löschen, filmen Sie sich bitte selbst.

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