Kammergericht: Maskenpflicht in Öffis > Bußgeldahndung ok! Kein Verstoß gegen die Verfassung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 27.08.2021
Rechtsgebiete: Corona|1573 Aufrufe

150 Euro sollte der Betroffene zahlen, weil er in Berlin die S-Bahn im letzten Sommer ohne Maske betreten hatte. Das AG setzte 100 Euro fest. "OK", meint das Kammergericht.

 

3 Ws (B) 198/21

In der Bußgeldsache
gegen pp.

wegen eines Verstoßes gegen die SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 13. August 2021 beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 10. Juni 2021 wird zugelassen.

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 10. Juni 2021 wird verworfen.

Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin hat gegen die Betroffene wegen einer vorsätzlichen Zuwiderhandlung gegen § 4 Abs. 1 SARS-CoV-2 IfSV Bln eine Geldbuße von 150 Euro festgesetzt. Auf ihren Einspruch hat das Amtsgericht Tiergarten die Betroffene wegen des im Bußgeldbescheid bezeichneten vorsätzlichen Verstoßes zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt. Im Einzelnen hat es festgestellt, dass die Betroffene am 2. Juli 2020 um 20.49 Uhr am S- Bahnhof Westkreuz eine in Richtung Potsdam fahrende S-Bahn betreten hat, ohne eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Auch nachdem die Betroffene durch eine Polizeibeamtin aufgefordert worden war, so die Feststellungen weiter, weigerte sie sich, eine Maske anzulegen. Selbst nach der anschließenden Personalienfeststellung, zu der die Betroffene die S-Bahn verlassen musste, hatte die Betroffene kein Einsehen und bestieg die nächste Bahn wiederum ohne Maske.

Gegen diese Verurteilung wendet sich die Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Sie beanstandet die Anwendung des § 4 Abs. 1 SARS-CoV-2 IfSV u.a. deshalb, weil die Vorschrift nicht verfassungsgemäß zustande gekommen und auch materiell unverhältnismäßig, mithin verfassungswidrig sei. Daneben sei die Tat auch nicht, wie es die Vorschrift formuliere, „in geschlossenen Räumen“ begangen worden. Schließlich macht die Betroffene geltend, geglaubt zu haben, nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 SARS-CoV-2 IfSV aus gesundheitlichen Gründen von der Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung befreit gewesen zu sein.

I.

Auf den Antrag der Betroffenen ist die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Über die Verfassungsgemäßheit des § 4 Abs. 1 SARS-CoV-2 IfSV Bln und der dazugehörigen Bußgeldvorschrift § 11 Abs. 3 Nr. 5 SARS-CoV-2 IfSV Bln ist, soweit ersichtlich, noch nicht grundsätzlich entschieden worden. Die Erfordernisse der Entscheidungserheblichkeit, Klärungsbedürftigkeit und Abstraktionsfähigkeit dieser Rechtsfrage liegen vor (vgl. BGH NJW 1971, 389; Seitz in Göhler, OWiG 16. Aufl., § 80 Rn. 3 mwN). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde setzt nicht voraus, dass das Rechtsmittelgericht in der Fortbildung des Rechts von der Rechtsauffassung des Vorderrichters abweicht (vgl. Senat NStZ 2016, 161; OLG Düsseldorf NZV 2003, 51).

II.

Die zugelassene Rechtsbeschwerde bleibt erfolglos.

1. Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Gebot des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung in öffentlichen Verkehrsmitteln nach §§ 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG, § 4 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 11 Abs. 3 Nr. 5 SARS-CoV-2 IfSV Bln in der zur Tatzeit gültigen Fassung vom 23. Juni 2020. Dass es sich auch bei einem S-Bahn-Wagen um einen geschlossenen Raum handelt, ergibt sich zwanglos bereits aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 SARS-CoV-2 IfSV Bln, erst recht aber aus der Normsystematik. Denn § 4 Abs. 1 Nr. 1 SARS-CoV-2 IfSV Bln unterwirft öffentliche Verkehrsmittel ausdrücklich dem Terminus der „geschlossenen Räume“.

2. Im Übrigen hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer der Rechtsmittelführerin bekannten Zuschrift Folgendes ausgeführt:

„Die auf die alleine erhobene Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils ergibt keinen die Betroffene beschwerenden Rechtsfehler.

Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Gebot des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Personenverkehr gemäß §§ 73 Abs. 1a Nr. 24 i.V.m. 32, 28 Abs. 1 S.1 IfSG a.F. und § 4 Abs.1 Nr. 1, 11 Abs.3 Nr. 5 SARS-VO a.F..

a) Dabei ist für die rechtliche Beurteilung die zur Tatzeit geltende Fassung der SARS-VO maßgeblich.

Nach § 12 Abs.1 SARS-VO a.F. sollte diese mit Ablauf des 24. Oktober 2020 außer Kraft treten.

Gemäß § 4 Abs. 3 OWiG ist bei Änderungen des Gesetzes nach der Tatbegehung das mildeste Gesetz anzuwenden ist. Für sogenannte Zeitgesetze – wie das vorliegende - erfährt dies durch § 4 Abs. 4 Satz 1 OWiG eine Einschränkung. Zeitlich begrenzte gesetzliche Regelungen bleiben danach auf während ihrer Geltungsdauer begangene Handlungen anwendbar. Auch bei Zeitgesetzen gilt § 4 Abs. 3 OWiG, wenn die Aufhebung oder Milderung einer Sanktionierung nur auf einer Bewertungsänderung im Sinn einer verbesserten Rechtserkenntnis beruht (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11. Juni 2021 – 2 Rb 35 Ss 94/21 –, juris m.w.N.).

Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, es gilt inzwischen kein milderes Gesetz.

Auch gemäß den seither erlassenen SARS-CoV 2 Infektionsschutzverordnungen des Landes Berlin muss bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs eine Maske getragen werden. § 10 Abs. 2 SARS-VO in der aktuellen Fassung vom 6. Juli 2021 bestimmt sogar, dass von Fahrgästen bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel eine FFP2-Maske in geschlossenen Räumen zu tragen ist.

§ 4 Abs.1 Nr. 1 SARS-VO a.F. stellte auch keine höheren Anforderungen an das Gebot des Mund-Nasen-Schutzes in öffentlichen Verkehrsmitteln als die späteren Fassungen der Verordnung. Vielmehr genügte damals das Tragen einer (einfachen) Mund-Nasen-Bedeckung, während nunmehr das Tragen einer FFP-2 Maske vorgeschrieben ist.

Auch in Bezug auf die unter § 4 Abs. 2 SARS-VO a.F. normierten Ausnahmen gilt – soweit hier relevant - inzwischen kein milderes Gesetz.

Der in § 11 Abs. 2 SARS-VO a.F. festgelegte Bußgeldrahmen blieb ebenfalls unverändert (vgl. § 41 Abs.2 SARS-VO n.F.). Der am 27. Juni 2020 in Kraft getretene Bußgeldkatalog (Allgemeine Anweisung über den Bußgeldkatalog zur Ahndung von Verstößen im Bereich des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in Verbindung mit der SARS-CoV-2- Infektionsschutzverordnung in Berlin) bestimmte zur Tatzeit für das Nichttragen einer Gesichtsmaske einen (milderen) Bußgeldrahmen von 50 bis 500 Euro, während dieser in dem aktuellen Bußgeldkatalog 100 bis 500 Euro beträgt.

b) Das Infektionsschutzgesetz enthielt – entgegen der Rechtsaufassung der Betroffenen - auch in seiner zur Tatzeit geltenden Fassung mit den in §§ 28, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende Ermächtigung für die in § 4 Abs. 1 Nr. 1 SARS-VO a.F. angeordnete Beschränkung und deren Bußgeldbewehrung.

Die Normen des Infektionsschutzgesetzes, mit denen die Regelungskompetenz auf die Landesregierungen delegiert wird, genüg(t)en im Hinblick auf die in Frage stehende Regelung in der SARS-VO (Gebot zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen bei Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs) sowohl hinsichtlich der Vorgaben für die Ausgestaltung der Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten als auch für die Bußgeldbewehrung den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. hierzu auch OLG Karlsruhe a.a.O., m.w.N.).

(1) Die Ermächtigungsgrundlage in § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG in der Fassung vom 27.03.2020 genügt insbesondere für das in § 4 Abs. 1 Nr. 1 SARS-VO a.F. geregelte grundsätzliche Gebot zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen in bestimmten öffentlichen Bereichen unter Berücksichtigung der Wesentlichkeitsdoktrin dem Vorbehalt des Gesetzes in seiner Ausprägung als Parlamentsvorbehalt . Der Gesetzgeber selbst hat in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG a.F. ausdrücklich vorgesehen, dass die zuständige Behörde unter den Voraussetzungen von Halbsatz 1 Personen insbesondere dazu verpflichten kann, von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Personenverkehr stellt einen Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG oder auch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG von nur geringer Intensität dar, der auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 IfSG a.F. gestützt werden kann. Bei Bestehen einer Gefährdungslage mit - wie im Fall der Corona-Pandemie - erheblichen prognostischen Unsicherheiten ist der Rückgriff auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel jedenfalls für eine Übergangszeit hinzunehmen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O., m.w.N.).

Diese Übergangszeit war auch im Hinblick auf die in diesem Verfahren angegriffene Rechtsverordnung noch nicht überschritten.

(2) Anhalte für Zweifel an der formellen Rechtmäßigkeit der auf §§ 28, 32 IfSG a.F. gestützten SARS-VO einschließlich der von § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG a.F. gedeckten Bußgeldvorschrift gibt es nicht.

(3) Der Verordnungsgeber war durch § 28 IfSG a.F. auch ermächtigt, zur Verhinderung der Ausbreitung des SARS-Cov-2-Virus geeignete präventive Maßnahmen gegenüber nicht infizierten Personen anzuordnen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O., m.w.N.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 17. Februar 2021 – 2 RB 69/20 – juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 8. März 2021 – 3 OWi 6 SSRs 395/20 -, juris; OVG Münster, Beschluss vom 18.08.2020 – 13 B 847/20.NE -, beck online; OVG Lüneburg, Beschluss vom 21. Juli 2021 – 13 MN 342/21 –, juris [auch bzgl. Maskenpflicht]).

Aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG folgt, dass der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ umfassend ist und der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen eröffnet, welches durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird (vgl. auch Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 5. Mai 2020 – OVG 11 S 38/20 – und vom 22. Mai 2020 – OVG 11 S 41/20 –; Urteil vom 1. Juni 2021 – 2 U 13/21 –, jeweils juris ).

Bei einer übertragbaren Krankheit i. S. d. § 2 Nr. 3 IfSG (um eine solche handelt es sich bei dem sogenannten Corona-Virus zweifelsfrei) können nach § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG a.F. die notwendigen Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Krankheit durch eine Verordnung der Landesregierung getroffen werden, wobei sich die Fülle der Schutzmaßnahmen, die bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht von vornherein übersehen lässt (vgl. auch Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Mai 2020 – OVG 11 S 38/20 –, juris und dessen Hinweis auf den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468, S. 27 zu dem insoweit vergleichbaren § 34 BSeuchG).

§ 28 Abs. 1 lfSG (i. d. vom 28. März 2020 bis zum 18. November 2020 gültigen Fassung) ermächtigt nach seinem Wortlaut, seinem Sinn und Zweck sowie dem Willen des Gesetzgebers - entgegen der Auffassung der Rechtsmittelführerin - auch zu Maßnahmen gegenüber Nichtstörern, also gesunden Menschen, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O., m.w.N.), wobei eine Differenzierung zwischen „Störern“ und „Nichtstörern“ im Hinblick auf das Corona Virus ohnehin zweifelhaft ist, da bekannt ist, dass Viren auch durch erkrankte, aber vollkommen symptomfreie Personen übertragen werden können, die als „Störer“ gar nicht erkannt werden können (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).

Im Falle neuartiger Krankheitserreger und Erkrankungen kann denknotwendig die Frage der Gefährdung der Bevölkerung nicht aufgrund einer sicheren und umfassend abgeklärten Tatsachenbasis bewertet und beantwortet werden. Sie kann lediglich aufgrund von Prognosen erfolgen, die zwar ihrerseits tatsachenbasiert und nachvollziehbar sein müssen, jedoch bestehende Unsicherheiten enthalten dürfen. Aus diesem Grund kommt dem Gesetzgeber oder der von ihm zum Verordnungserlass ermächtigten Exekutive im Falle von Ungewissheiten im fachwissenschaftlichen Diskurs und damit einhergehender unsicherer Entscheidungsgrundlage auch in tatsächlicher Hinsicht ein Einschätzungsspielraum zu (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O., m.w.N.). Nach dem Maßstab der Vertretbarkeit muss die vom Verordnungsgeber angestellte Prognose sachgerecht und vertretbar sein, was voraussetzt, dass die Prognose aus einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung des erreichbaren Materials herrührt (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O., m.w.N.). Der Verordnungsgeber muss die ihm zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft haben, um die voraussichtlichen Auswirkungen seiner Regelung so zuverlässig wie möglich abschätzen zu können und einen Verstoß gegen Verfassungsrecht zu vermeiden. Wird diesen verfahrensrechtlichen Anforderungen Genüge getan, so erfüllen sie die Voraussetzung inhaltlicher Vertretbarkeit; sie konstituieren insoweit die Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers, die das Gericht bei seiner Prüfung zu beachten hat. Im Rahmen der nachträglichen gerichtlichen Prüfung ist dabei grundsätzlich auf die Verhältnisse abzustellen, die zum Zeitpunkt des Verordnungserlasses vorlagen und deren Beurteilung dem Verordnungsgeber bei der Vorbereitung der Verordnung möglich war.

Es bestehen - im Lichte der allgemein bekannten Risikobewertungen und Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) - keine Anhaltspunkte, dass vorliegend die Einschätzung des Verordnungsgebers (gar evident) fehlerhaft gewesen wäre. Die Begründung für den Erlass der SARS-VO des Landes Berlin kann dabei allgemeinen Quellen entnommen werden (z.B. https://www.berlin.de/corona/massnahmen/verordnung/begruendung). Der Verordnungsgeber hat erkennbar berücksichtigt, dass welt-, deutschland- und berlinweit unverändert eine sehr dynamische und ernstzunehmende Gefährdungslage für die Bevölkerung und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der klinischen Versorgung bestand und besteht.

(4) Jedenfalls der hier in Frage stehende Regelungsgehalt des § 4 Abs. 1 Nr. 1 SARS-VO in der zur Tatzeit geltenden Fassung – der durch Auslegung zu ermitteln ist – ist eindeutig.

Der Regelung ist insgesamt hinreichend bestimmt zu entnehmen, für welche Personen und Umstände eine Ausnahme von der Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (insbesondere bei der Nutzung des öffentlichen Personenverkehrs) besteht.

Entgegen dem Vorbringen in der Rechtsbeschwerde besteht auch kein Zweifel daran, dass es sich bei einem Wagon um einen umschlossenen Raum handelt, zumal öffentliche Verkehrsmittel dort ausdrücklich aufgeführt sind. Bei den dort explizit aufgezählten geschlossenen Räumen liegt nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die Ansteckungsgefahr signifikant höher. In diesen Räumen, insbesondere bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, herrscht ein besonders dynamisches Geschehen (vgl. auch OLG Karlsruhe a.a.O.).

(5) In dieser Auslegung steht das in § 4 Abs. 1 Nr.1 SARS-VO a.F. geregelte grundsätzliche Gebot zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen in bestimmten öffentlichen Bereichen mit Verfassungsrecht in Einklang und genügte insbesondere im hier verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Es bestehen vorliegend - jedenfalls - keine Anhaltspunkte, die die Wahl dieses Mittels zur Zweckerreichung durch den Verordnungsgeber fehlerhaft oder unvertretbar erscheinen lassen.
Das Gebot des Tragens einer sogenannten Alltagsmaske im öffentlichen Raum war (als ein Baustein, um den Infektionsdruck und damit die Ausbreitungsgeschwindigkeit von COVID-19 in der Bevölkerung zu reduzieren und somit Risikogruppen zu schützen) zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und sinnvoll. Es trägt nach wissenschaftlichen Erkenntnissen jedenfalls dazu bei, andere Personen vor feinen Tröpfchen und Partikeln die man z.B. beim Sprechen, Husten oder Niesen ausstößt, zu schützen.
Da der von einer solchen Reduktion der ausgeschiedenen Tröpfchen ausgehende Fremdschutz jedoch nur dann gewährleistet sein kann, wenn sich möglichst viele Personen daran beteiligen und eine Maske tragen, ist es plausibel, dass der Verordnungsgeber es als geboten ansah, das Tragen einer Maske - zumindest an Stellen im öffentlichen Raum mit ständig wechselndem Publikumsverkehr, in dem die Abstandsregelungen nicht immer bzw. sicher eingehalten werden können - verpflichtend vorzusehen. Vor dem Hintergrund dieser den aktuellen Erkenntnis- und Forschungsstand berücksichtigenden und nachvollziehbar begründeten Einschätzung konnte der Verordnungsgeber die Anordnung einer sog. Maskenpflicht für den öffentlichen Personenverkehr und Verkaufsstätten im verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt ohne Rechtsfehler als geeignetes Mittel zur Unterbindung von Infektionsketten ansehen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).

Es war auch erforderlich, da nicht erkennbar ist, dass andere, weniger einschneidende Maßnahmen zur Verfügung standen, um im unvermeidlichen Bereich naher Kontakte die Gefahr einer Infektion zu reduzieren (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).

Die Regelungen zur Verwendung einer Mund-Nasen-Bedeckung waren zudem angemessen. In Abwägung der Schwere des Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit und dem Gewicht der den Eingriff rechtfertigenden Gründe, stehen die Maßnahmen nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck. Den Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit, denen nach der verfassungsrechtlichen Ordnung ein Höchstwert bzw. besonderes Gewicht zukommt, ist gegenüber der nicht schrankenlos gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit bereits ein höherer Rang einzuräumen. Zwar führt die angeordnete Maßnahme unverkennbar zu einer Beeinträchtigung der Handlungsfreiheit einer Vielzahl von Menschen, jedoch handelt es sich hierbei um Eingriffe von vergleichsweise geringer Intensität. So betrifft das Gebot die Mehrzahl der Normadressaten nur für kurze Zeiträume und lediglich bestimmte Alltagssituationen (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O., m.w.N.). Dabei sind staatliche Regelungen, die auch den vermutlich gesünderen und weniger gefährdeten Menschen in gewissem Umfang Freiheitsbeschränkungen abverlangen, zulässig, wenn gerade hierdurch auch den stärker gefährdeten Menschen, die sich ansonsten über längere Zeit vollständig aus dem Leben in der Gemeinschaft zurückziehen müssten, ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Teilhabe und Freiheit gesichert werden kann (vgl. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 20. Mai 2020 - VerfGH 81 A/20 -)

Zudem werden die Konsequenzen dadurch abgemildert, dass in § 4 Abs. 2 SARS-VO a.F. Ausnahmen von der Pflicht zum Tragen für im Einzelnen bestimmte Fälle zugelassen sind (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O., m.w.N.).

(6) Auch die entsprechenden Bußgeldtatbestände, durch die Verstöße gegen die in der Verordnung vorgeschriebenen Handlungsweisen geahndet werden, sind – entgegen der Auffassung des Thüringer Verfassungsgerichtshof (vgl. Beschluss vom 19. Mai 2021 – 110/20 –, juris) - verfassungsgemäß.

Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG liegt nicht vor (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O. m.w.N.).

Die Begründung, dass es sich bei § 28 Abs. 1 S. 1 IfSG (in der bis 18. November 2020 geltenden Fassung) um ein sogenanntes „Blankettgesetz“ handle, aus dem sich nicht unmittelbar ergebe, welches Verhalten konkret untersagt ist, der parlamentarische Gesetzgeber aber die Festlegung konkret untersagter Verhaltensweisen nicht dem Verordnungsgesetzgeber hätte überlassen dürfen, trägt den Besonderheiten der hochdynamischen tatsächlichen Entwicklung im Rahmen der Corona-Pandemie nicht ausreichend Rechnung (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).

Aufgrund dieser besonderen Dynamik, die mit in kurzer Zeit stark ansteigenden Infektionszahlen und einer drohenden Überlastung des gesamten Gesundheitssystems und insbesondere der Intensivstationen einherging, sowie deren Beispiellosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, durften aufgrund von übergeordneten Gründen des Gemeinwohls für einen begrenzten Zeitraum nicht hinnehmbare, erst jetzt als solche erkannte gravierende Regelungslücken auf der Grundlage von Generalklauseln geschlossen werden (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O., m.w.N.). Dies muss auch im Hinblick auf die Bußgeldtatbestände gelten, da ansonsten Verstöße gegen (verfassungsgemäß) in der SARS-VO festgelegte Verhaltensvorschriften folgenlos bleiben würden und zu besorgen wäre, dass die Bürger sich mangels drohender Sanktion nicht (mehr) an die Einhaltung der für das Gemeinwohl essentiellen Verhaltensregeln gebunden fühlen und ihr im Hinblick auf die Pandemieentwicklung gemeinschädliches Verhalten fortsetzen bzw. wiederaufnehmen würden (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O.).

Des Weiteren können – entgegen der Ansicht des Thüringer Verfassungsgerichtshofs – im Lichte der Entscheidung des BVerfG zum Rindfleischetikettierungsgesetz (BVerfGE 143, 38-64) in diesem Zusammenhang nicht ohne weiteres die gleichen Anforderungen an Straf- und Ordnungswidrigkeitstatbestände gestellt werden.
Danach muss die Ermächtigungsnorm in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein; sie hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm (vgl. BVerfG a.a.O.).
Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich somit nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. So muss die Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm der Grundrechtsrelevanz der Regelung entsprechen, zu der ermächtigt wird. Greift die Regelung erheblich in die Rechtsstellung des Betroffenen ein, sind höhere Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit der Ermächtigung zu stellen, als wenn es sich um einen Regelungsbereich handelt, der die Grundrechtsausübung weniger tangiert (vgl. BVerfG a.a.O., m.w.N.). Ob hinsichtlich der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten geringere Anforderungen an den Grad der Bestimmtheit der Ermächtigungsnorm zu stellen sind als im Fall der Strafbewehrung, lässt das BVerfG zwar dahinstehen. Dafür spricht nach seiner Ansicht jedenfalls, dass die Beurteilung einer Handlung als ordnungswidrig nicht zugleich einen sozialethischen Vorwurf enthält, wie er das Wesen der Kriminalstrafe charakterisiert (vgl. BVerfG a.a.O., m.w.N.).

Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist (vgl. BVerfG a.a.O., m.w.N.). Dies kann es auch nahelegen, von einer detaillierten gesetzlichen Regelung abzusehen und die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. BVerfG a.a.O. m.w.N.).

Letzteres trifft aber auf das Erfordernis, auf einen bislang unbekannten Virus und eine beispiellose weltweite Pandemielage schnell und effektiv reagieren zu müssen, zu.

c) Gegen die konkrete Anwendung des § 4 Abs.1 Nr. 1 i. V. m § 11 Abs. 3 Nr. 5 SARS-VO a.F. durch das Amtsgericht ist vorliegend weder im Schuld- noch im Rechtsfolgenausspruch rechtlich etwas zu erinnern.

Soweit sich die Betroffene gegen ein vorsätzliches Handeln wendet bzw. einen Irrtum nach § 11 Abs. 3 OWiG geltend machen will, weist die Beweiswürdigung des Amtsgerichts keine Fehler auf. Spätestens, als die Betroffene ausweislich der Feststellungen nach erfolgter polizeilicher Ansprache die Fahrt ohne Mund-Nasen-Bedeckung fortsetzte, lag ein entsprechender Vorsatz vor, ein Irrtum nach § 11 Abs. 3 OWiG ist fernliegend.

Auch hat das Amtsgericht nachvollziehbar begründet, weshalb es keinen Ausnahmetatbestand gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 SARS-VO a.F. erkennen konnte.“

Dem folgt der Senat. Der Schriftsatz des Verteidigers vom 12. August 2021 lag vor, gab aber, unabhängig von der offenen Urheberschaft der darin wiedergegebenen rechtsphilosophischen und staatstheoretischen Reflexionen, zu einer anderen Bewertung keinen Anlass. Gerade die in dem Text nachvollziehbar und richtigerweise in den Mittelpunkt gerückte Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 GG) gibt dem Senat Anlass, den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Berlin zu folgen: Bei der hier unzweifelhaft konstatierten Gefährdungslage mit erheblichen prognostischen Unsicherheiten, die auch eine katastrophale Überlastung des Gesundheitswesens einbezog, war der Rückgriff auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel, zumindest für eine Übergangszeit, hinzunehmen.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 46 Abs. 1 OWiG iVm § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

 

KG, Beschl. v. 13.08.2021 – 3 Ws (B) 198/21, BeckRS 2021, 22674

 

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen