Regelfahrverbot evtl. nicht, wenn erheblicher Eigenschaden vorliegt

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.09.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1516 Aufrufe

Eine schöne Enstcheidung des Kammergerichts: Der Betroffene war mit einem Einsatzfahrzeug (mit Blaulicht) kollidiert. Dabei erheblich selbst verletzt worden. Das AG hatte deshalb die Geldbuße reduziert, nicht aber vom Fahrverbot abgesehen. Das KG meint dazu sinngemäß: "Das AG hätte das Absehen prüfen müssen!"

 

In Bezug auf den Rechtsfolgenausspruch hat die Rechtsbeschwerde Erfolg.

 Allerdings hat das Amtsgericht zunächst zutreffend erkannt, dass die Voraussetzungen für den vom Betroffenen an sich verwirkten Regelfall eines groben Pflichtenverstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 StVG i. V. m. § 4 Abs. 1 Nr. 3 BKatV vorliegen. Jedoch folgt hieraus nicht, dass unbedingt ein Fahrverbot zu verhängen wäre. Vielmehr steht dem Tatrichter auch in den Regelfällen des § 4 Abs. 1 BKatV ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (BVerfG NJW 1996, 1809; OLG Bamberg VRS 114, 379). Denn die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich in seinem Verantwortungsbereich. Die tatrichterliche Entscheidung wird vom Rechtsbeschwerdegericht deshalb nur daraufhin überprüft, ob das Tatgericht sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten oder sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat.

 Hier wird nicht ersichtlich, dass das Amtsgericht bei der Ausübung des ihm zustehenden Ermessens die tragenden Gesichtspunkte berücksichtigt hat. Namentlich wäre bei der Begründung des Fahrverbots zu erörtern gewesen, ob die erheblichen Verletzungen, welche der Betroffene bei seiner Ordnungswidrigkeit erlitten hat, ihn bereits ausreichend zur Besinnung gebracht und gewarnt haben. Das Amtsgericht hat diesen Umstand bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt, nicht aber bei der Frage, ob auf das an sich indizierte Fahrverbot ausnahmsweise verzichtet werden kann, weil der Betroffene durch die unmittelbaren und schweren Folgen seiner Fahrlässigkeitstat ausreichend beeindruckt ist.

 Es kann hier offenbleiben, ob das Fahrverbotserkenntnis rechtsbeschwerderechtlich Bestand gehabt hätte, wenn das Amtsgericht diese Überlegung erkennbar in seine Ermessensentscheidung eingestellt und gegebenenfalls kurz erörtert hätte. Dies liegt aber nahe, denn das Rechtsbeschwerdegericht hat die Ermessensentscheidung bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen (vgl. OLG Hamm DAR 2021, 477; Krumm, Fahrverbot in Bußgeldsachen 4. Aufl., § 6 Rn. 203). Dass der Fall, wie die Tatrichterin ausdrücklich im Zusammenhang mit der Besinnungs- und Denkzettelfunktion des Fahrverbots ausführt, „keine wesentlichen Besonderheiten“ aufweise, kann der Senat aber nicht nachvollziehen und bewertet es als ermessensfehlerhaft.

 3. Wegen der zwischen der Geldbuße und dem Fahrverbot bestehenden Wechselwirkung war der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben.

KG Beschl. v. 29.7.2021 – 122 Ss 82/21, BeckRS 2021, 22672

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