Presserecht: Berücksichtigung von Drittveröffentlichungen für die Erkennbarkeit?

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 01.10.2021
Rechtsgebiete: Urheber- und Medienrecht|6568 Aufrufe

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Roger Mann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, Mitherausgeber des Werks Himmelsbach/Mann, Presserecht.

Nur wer in einer Berichterstattung erkennbar ist, kann auch im äußerungsrechtlichen Sinne „individuell betroffen“ sein. Diese Voraussetzung dient vor allem dem Ausschluss der sogenannten Popularklage, wie sie etwa bei einer Beschwerde beim Deutschen Presserat zulässig ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Maßstab der Erkennbarkeit wie folgt definiert:

Die zivilrechtliche Rechtsprechung und Literatur nehmen eine Erkennbarkeit an, wenn die Person zumindest für einen Teil der Leser- oder Adressatenschaft aufgrund der mitgeteilten Umstände hinreichend erkennbar wird. …

Es kann bereits die Übermittlung von Teilinformationen genügen, aus denen die Identität für die sachlich interessierte Leserschaft sich ohne Weiteres ergibt oder mühelos ermitteln lässt.[1]

 

Das Bundesverfassungsgericht hat es z.B. nicht beanstandet, dass dies in einem Fall von den ordentlichen Gerichten bejaht wurde, in dem unter Bezugnahme auf eine konkrete Stadt von einem zuletzt als Rechtsanwalt tätigen ehemaligen Staatsanwalt berichtet wurde, der gegen seinen Willen aus dem Justizdienst entlassen worden war und seitdem dagegen vorging. Insoweit reichte die Erkennbarkeit in den Justizkreisen der entsprechenden Stadt.[2]

Offen bleibt danach, ob eine Erkennbarkeit in diesem Sinne auch dann anzunehmen ist, wenn der oder die Betroffene zwar nicht aufgrund der in dem beanstandeten Beitrag enthaltenen Informationen allein zu identifizieren ist, diese Informationen aber in Zusammenhang mit anderen Veröffentlichungen oder einer Suchmaschinen-Recherche eine Identifizierung für einen relevanten Personenkreis ermöglichen.

Richtigerweise dürfen Drittveröffentlichung bei der Prüfung der Erkennbarkeit nicht berücksichtigt werden. Dies würde dazu führen, dass ein Medium, dass anonym über einen Sachverhalt berichtet und sich vorangegangene Veröffentlichungen nicht zu eigen gemacht hat, für deren rechtsverletzende Darstellung haften müsste. Eine einzige rechtsverletzende Veröffentlichung, die den Betroffenen in rechtswidriger Weise identifiziert, könnte danach jede weitere Berichterstattung „de facto“ unmöglich machen. Eine so ausgeweitete Haftung würde die Grundsätze der Täter- und Störerhaftung in einer Weise überschreiten, die im Ergebnis nicht mit der Presse- und Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs.1 S.1 GG)  zu vereinbaren ist[3].

Bleibt die Frage, ob es ausreicht, wenn der Betroffene mit den Informationen aus dem angegriffenen Beitrag mittels einer Suchmaschine im Internet zu identifizieren ist. Teile der Literatur und einige Gerichte wollen eine einfache Recherchemöglichkeit in einer gängigen Suchmaschine ausreichen lassen.[4]

Richtiger Ansicht nach darf auch eine derartige Recherchemöglichkeit bei der Prüfung der Erkennbarkeit nicht berücksichtigt werden.[5] Denn das hätte zur Folge, dass bei der Abfassung eines Beitrags jede im Internet zu recherchierende Erkennbarkeit auf die betreffenden Personen zu prüfen bzw. gegebenenfalls zu vermeiden wäre. Das würde die Veröffentlichung gerade kritischer Berichterstattung in unverhältnismäßiger Weise erschweren und hätte den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR immer wieder angesprochenen „chilling effect“ in Bezug auf den Gebrauch der Meinungs- und Pressefreiheit. [6]

Wenn man für die Erkennbarkeit eine Suchmaschinen-Recherche einbeziehen will, muss jedenfalls auf der Ebene der Interessenabwägung berücksichtigt werden, dass die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts in diesem Fall deutlich geringer ist, als wenn der oder die Betroffene ohne ein derartiges Hilfsmittel bereits aufgrund von Informationen in der angegriffenen Veröffentlichung selbst erkennbar ist.[7]

Ausführliche Informationen zum Presserecht erhalten Sie in der Neuauflage von Himmelsbach/Mann, Presserecht.

[1] BVerfG AfP 2007, 441, 444, Rn. 76 - „Esra“

[2] BVerfG NJW 2004, 3619, 3620

[3] so auch KG ZUM-RD 2021, 470, 473

[4] so z.B. Seitz/Schmidt, Der Gegendarstellungsanspruch, 5. Aufl., 4. Kap., Rn. 9 am Ende

[5] so zutreffend Soehring/Hoene-Soehring, Presserecht, 6. Aufl., Rn. 13.53; OLG Düsseldorf AfP 2000, 470, 471

[6] so auch OLG Köln AfP 2019, 43, 44

[7] vgl. OLG Karlsruhe AfP 2015,173,176 - „Zahnarztpraxis“

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