Schwarzfahrt ungewollt?!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.10.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|2979 Aufrufe

Für die SVR, deren Mitherausgeber ich bin schreibe ich ab und zu kleine Editorials. Für Ausgabe 9/2021 habe ich dieses verfasst:

 

Schwarzfahrt ungewollt?!

„Nee, nee, nee, eher brennt die BVG. Ick bin hier oben noch ganz dicht. Der Spaß ist zu teuer, von mir kriegste nüscht.“ So textete in den frühen 70er-Jahren mein Lieblingsmusiker Ralph Christian Möbius („Rio Reiser“) im Ton-Steine-Scherben-Song „Mensch Meier“ ganz revolutionär. Manchmal ist eine Schwarzfahrt in Berlin aber deutlich unspektakulärer. So geschehen in diesem Sommer bei einigen sonnigen Ferientagen des Autors in der Hauptstadt. Eine lange Radtour führte mich nämlich in die Weiten des Berliner Ostens an die Dahme. Dort musste ich eine BVG-Fähre nehmen, um von Grünau nach Wendenschloss zu kommen. „F12“ heißt die Fähre ganz technisch. Angekommen an der Abfahrtsstation gab es Schilder, die auf die Fähre hinwiesen. Und die Fähre kam dann auch schön gemütlich über die Dahme angetuckert. Ein Steg ermöglichte ein bequemes Besteigen der Fähre für Fußgänger und auch Radfahrer. Leider fand sich jedoch nirgends ein Hinweis auf Fahrkartenautomaten oder einen altmodischen Schalterverkauf/Kiosk. Nach Betreten der Fähre dann meine Frage an eine in einer Glaskabine sitzende Angestellte der BVG: „Wo kann man denn hier ein Fahrticket kaufen?“ Die Antwort war ernüchternd einfach: „Nirgends! Sie können per App kaufen. Oder sie hätte irgendwo anders eine Fahrkarte kaufen müssen.“ Da war ich natürlich etwas irritiert, da ja nirgendwo am Fähranleger steht, wo man Fahrkarten erstehen kann. In diesem Augenblick jedoch heulte schon der Motor der Fähre auf und der Steg wurde hochgeklappt. Ein Verlassen des Schiffs war so gar nicht mehr möglich. Ich wurde meinem Wunsche entsprechend, jedoch „schwarz“ über die Dahme gefahren. Zumindest alibimäßig versuchte ich aber in den wenigen Minuten der Flussüberquerung, die BVG-App herunterzuladen und ein Ticket noch vor dem Anlegen zu erstehen. Leider war beim Anlegen in Wendenschloss nicht einmal die App installiert. 
Was hätte wohl Rio Reiser dazu gesagt? Vielleicht : „Was die so mit uns machen, ist der reine Hohn“? (Hinweis: Zitat aus dem eingangs genannten Song). Na, so weit will ich natürlich nicht gehen. Die Situation hatte aber schon eine gewisse humoreske Note. 
Und nun die Frage: Wie ist das alles juristisch zu bewerten? War mein Verhalten nach § 265a StGB als Erschleichen von Leistungen strafbar? Klare Antwort: Nein. Ich habe die Leistung nicht erschlichen – ich wurde einfach mitgenommen, obwohl ich vorher die für den Transport verantwortliche Person darüber aufgeklärt hatte, dass ich keinen Fahrschein habe. Erschleichen einer Beförderung im Sinne des § 265a Abs. 1 StGB liegt nämlich erst vor, wenn der Täter ein Verkehrsmittel unberechtigt benutzt und sich dabei allgemein mit dem Anschein umgibt, er erfülle die nach den Geschäftsbedingungen des Betreibers erforderlichen Voraussetzungen. Ich habe mich weder mit dem Anschein von irgendetwas umgeben, noch hatte ich Vorsatz bzw. die Absicht das Fahrtentgelt nicht zu entrichten. Genau das Gegenteil hatte ich ja dokumentiert. 
Also: Schwarzfahrt ja – aber straflos. Ganz klar. Hoffentlich! 

Richter am Amtsgericht Carsten Krumm, Dortmund

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

2 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Oh Mann, ist das App-gefahren.

Willkommen in der schönen neuen Zeit. Wenn im Erlebnisbericht jetzt noch der Hinweis auf ein Funkloch dabei gewesen wäre, hätte das die Vorurteile über die Zustände in Deutschlands Hauptstadt auf jeden Fall noch weiter verfestigt.

0

Lieber Herr Crumm,

ich denke, Sie haben Recht, Sie haben sich nicht strafbar gemacht.

Das hing aber wohl nur vom Zufall ab: was wäre gewesen, wenn die Dame nicht anwesend (also kein Mitarbeiter erreichbar) gewesen wäre? Dann hätten Sie niemandem sagen können, dass Sie kein Ticket haben...

Noch ein Gedanke: ein Kontrolleur wäre vermutlich gar nicht darauf erpicht gewesen, Sie anzuzeigen. Er ätte aber auf Zahlung des erhöhten Entgelts bestanden. Nach Ihrem öffentlichen Geständnis kann das die BVG vermutlich immernoch...

MfG

0

Kommentar hinzufügen