Arzt legt Trunkenheitsfahrt hin, verunfallt, ist schwer verletzt: Keine FE, nur FV

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 08.10.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1785 Aufrufe

Da war das AG Schmallenberg nett zu dem Angeklagten. Er hatte keinen ganz hohen Alkoholpegel und trat spontan nach zu wenig Schlaf die Fahrt an, auf der er verunfallte und schwer verletzt wurde. Das AG Schmallenberg hat diese Umstände als ausrichend angesehen, die Regelungeeignetheit des § 69 Abs. 2 StGB als erschüttert anzusehen. Es hat nur ein Fahrverbot nach § 44 StGB festgesetzt:

 

Der Angeklagte wird wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 80,00 Euro verurteilt.   Dem Angeklagten wird für die Dauer von 6 Monaten verboten im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug zu führen.   Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.   Angewandte Vorschriften: §§ 316, 44 StGB.   Entscheidungsgründe                                                                         Gründe:                                                             (abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO)     Der Angeklagte hat nach dem Abitur Medizin und Zahnmedizin studiert. Er ist Arzt und Zahnarzt, nämlich Mund- und Kiefer-Gesichtschirurg. Der Angeklagte ist verlobt und Vater einer Tochter im Alter von 10 Monaten. Seine Verlobte ist noch Studentin. Der Angeklagte sorgt sowohl für sein Kind als auch die Kindesmutter, beide leben bei ihm.     Als angestellter Arzt verfügt der Angeklagte nach eigenen Angaben zurzeit über ein monatliches Nettoeinkommen von nur 3.350,00 EUR. Hintergrund ist, dass er zurzeit Rufdienste nicht wahrnehmen konnte, da er momentan keine Fahrerlaubnis besitzt.     Der Angeklagte ist ausweislich des Auszuges aus dem Bundeszentralregister bislang strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten.     Im Fahreignungsregister sind insgesamt drei Eintragungen, jeweils wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen, vorhanden.     In der Nacht vom 02. auf den 03.10.2020 nahm der Angeklagte erhebliche Mengen Alkohol zu sich. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich gemeinsam mit seiner hochschwangeren Verlobten, seinem Bruder und seinem Vater im Hotel T in U. Nachdem sich der Angeklagte frühzeitig zu Bett gelegt hatte, begannen bei seiner Verlobten die Wehen, sodass sich sein Bruder entschloss, diese ins Krankenhaus nach C zu fahren. Der Vater des Angeklagten begab sich sodann zu diesem und weckte ihn, um ihm den Sachverhalt mitzuteilen.     Ohne, dass der Angeklagte sich die für einen sorgfältigen Kraftfahrer gebotenen Gedanken zur Frage seiner Fahrtüchtigkeit machte, entschloss sich der Angeklagte spontan und sorgfaltswidrig, mit dem Porsche seines Bruders mit dem amtlichen Kennzeichen XXX-XX xxx in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand gleichfalls nach C ins Krankenhaus zu fahren. Aufgrund seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit kam der Angeklagte gegen ca. 06.00 Uhr in V auf der K xx von der Fahrbahn ab und prallte derart schwer gegen einen dort abgestellten landwirtschaftlichen Anhänger, dass er diesen in eine Scheune katapultierte, die teilweise einstürzte. Das Fahrzeug des Bruders erlitt hierbei einen Totalschaden. Der Angeklagte wurde lebensbedrohlich verletzt und mit einem Schädel-Hirn-Trauma mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus nach E geflogen. Dort musste aufgrund einer Einblutung ins Gehirn neurochirurgisch eingegriffen und eine Entlastung zur Rettung des Lebens des Angeklagten herbeigeführt werden.     Außerdem erlitt der Angeklagte schwere Verletzungen im Bereich der Brustwirbelsäule. Es kann nur von Glück gesprochen werden, dass der Angeklagte den Unfall überlebte.     Die dem Angeklagten am 03.10.2020 um 09:10 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,81 Promille.     Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug mindestens 0,91 Promille. In Verbindung mit dem Fahrverhalten des Angeklagten bestand relative Fahruntüchtigkeit.     Der festgestellte Sachverhalt beruht auf der geständigen Einlassung des Angeklagten im Hauptverhandlungstermin und dem Gutachten der Gerichtsmedizin H, Abt. Rechtsmedizin, Prof. Dr. I.     Der Angeklagte hat sich nach dem festgestellten Sachverhalt wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 StGB schuldig gemacht. Unter Berücksichtigung aller Umstände war bei dem Angeklagten eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 80,00 EUR tat- und schuldangemessen. Dabei waren die Schwere des Unfallgeschehens und die von dem Angeklagten abstrakt überdurchschnittliche Gefährdung für andere zu berücksichtigen. Strafschärfend wirkte insofern auch die Tatsache, dass der Angeklagte bereits dreimal wegen überhöhter Geschwindigkeit verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist.     Ganz erheblich zu Gunsten des Angeklagten war seine geständige und außergewöhnlich reuige und einsichtige Einlassung zu berücksichtigen. Ihm ist sehr deutlich geworden, dass sein Fehlverhalten ihn sein eigenes oder aber fremdes Leben hätte kosten können. Auch hat der Angeklagte erhebliche eigene gesundheitliche und finanzielle Schäden erlitten.     Nach § 69 Abs. 2 StGB liegt hier ein Regelfall für die Entziehung der Fahrerlaubnis vor. Mit dieser gesetzlichen Vermutung der Ungeeignetheit, ist jedoch eine Einzelfallprüfung nicht ausgeschlossen. Dies führt dazu, dass hier dem Angeklagten ausnahmsweise die Fahrerlaubnis nicht zu entziehen ist.     Die Frage, ob jemand charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, ist im Zeitpunkt des Hauptverhandlungstermins zu prüfen. Alle besonderen Umstände, die der Katalogtat des § 316 StGB ihre Indizwirkung nehmen können, sind dann vom Gericht zu prüfen. Auch bei gesetzlich vermuteten charakterlichen Mängeln ist regelmäßig eine Gesamtwürdigung der Tat und der Täterpersönlichkeit, soweit sie in der Tat zum Ausdruck gekommen ist, erforderlich. Auch im Fall eines Regelbeispiels muss der in der Tat zum Ausdruck gekommene Eignungsmangel die Begehung weiterer  die Verkehrssicherheit gefährdender Straftaten erwarten lassen, wobei das Regelbeispiel eine geringere Wahrscheinlichkeit ausreichen lässt. Gelangt das Gericht aber wie hier aufgrund besonderer Umstände sowohl bei der Tatbegehung und ihres Anlasses, einer noch relativ niedrigen Blutalkoholkonzentration aufgrund von Restalkohol, der Folgen für den Angeklagten und seiner Persönlichkeit sogar zu der Überzeugung, dass die Tat ein einmaliges Fehlverhalten war, darf die Fahrerlaubnis nicht entzogen werden. Dabei sind auch die Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis und die damit verbundene Wirkung auf den Angeklagten zu berücksichtigen.     Allerdings war hier nach § 44 Abs. 1 S. 3 StBG ein Fahrverbot von 6 Monaten zu verhängen, welches aber durch die Zeit der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 51 Abs. 5 StGB durch Anrechnung erledigt ist.     Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 465 StPO.  
   

AG Schmallenberg, BeckRS 2021, 25018

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