Mehrere Verteidiger = mehrere Revisionen?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.11.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|2554 Aufrufe

Ein interessanter Fall aus dem Revisionsrecht: Der Angeklagte hat zwei Verteidiger*innen, die in der Revison unterschiedlich agieren. Der Verteidiger A davon hat die Revision beschränkt, Verteidigerin B nicht. Das OLG Hamm meint dazu, dass zwar unterschiedlich vorgetragen werden könne, die Beschränkung aber eine Beschränkung bleibe!

 

Ergänzend zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft bemerkt der Senat, dass die Beschränkung der Revision auf die Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen und den Gesamtstrafenausspruch, wie sie sich aus der Antragstellung des Verteidigers A in der Revisionsbegründungsschrift vom 14.07.2021 ergibt, nicht durch die weitere Revisionseinlegung der Verteidigerin B vom 15.06.2021 unbeachtlich ist und deswegen eine vollständige Überprüfung des angefochtenen Urteils auf die zulässig erhobene Sachrüge hin geboten wäre. Zwar soll - Stimmen in der Kommentarliteratur zufolge - von den Revisionen mehrerer Verteidiger diejenige maßgebend sein, die am weitesten geht (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 344 Rdn. 5; Franke in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. § 344 Rdn. 13). Dies kann jedoch nur dann gelten, wenn nicht die weniger weitgehende Revision als Beschränkung des Rechtsmittels insgesamt anzusehen ist. Mehrere Rechtsmittel verschiedener Verteidiger führen nicht zu verschiedenen selbständigen Rechtsmitteln, sondern zu einem einheitlichen Rechtsmittel des Beschuldigten (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 10.07.2019 – 2 StR 181/19 – juris m. w. N.; BGH, Beschl. v. 07.07.1995 – 3 StR 205/95 – juris; Gericke in: KK-StPO, 8. Aufl., § 344 Rdn. 13) Die Verteidigerin B hat zwar bei der Revisionseinlegung mit Schriftsatz vom 15.06.2021 bereits die Verletzung materiellen Rechts – ohne einschränkende Zusätze – gerügt. Eine weitere Revisionsbegründung hat sie nicht abgegeben. Dies könnte trotz Fehlens der Revisionsanträge zunächst einmal auf ein unbeschränktes Rechtsmittel hindeuten (vgl. Schmitt a. a. O. Rdn. 3). Da die Revisionserklärungen der beiden Verteidiger aber ein einheitliches Rechtsmittel bilden, müssen die zeitlich nachfolgenden Revisionsanträge des Verteidigers A – bei zugleich fehlenden Revisionsanträgen der Verteidigerin B und (auch nach Erhalt der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft, in der von einer Beschränkung des Rechtsmittels ausgegangen wird) fehlender Erklärung, sie verfolge (weiter) eine uneingeschränkte Anfechtung des Berufungsurteils – nunmehr als Beschränkung des Rechtsmittels in dem o. g. Sinne ausgelegt werden.

OLG Hamm, Beschl. v. 6.9.21 - 4 RVs 85/21 bei nrwe

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Die Entscheidung ist schlicht falsch. Was der Senat für eine Revisionsbeschränkung hält, könnte höchstens eine Zurücknahme sein. Denn wenn Verteidigerin B am 15.06. bereits die Revisions eingelegt hat und (ohne Beschränkung) die Sachrüge erhoben hat, war das Urteil zu diesem Zeitpunkt vollständig angefochten und die Revision auch bereits vollständig begründet worden.

Die vom Senat aufgeworfene Frage nach der weitestgehenden Revisions hätte sich nur dann gestellt, wenn der Schriftsatz des Verteidigers A innerhalb der Einlegungsfrist oder vor einer anderweitigen Revisionsbegründung eingegangen wäre. Der Schriftsatz ist allerdings erst rund einen Monat nach der Einlegungs- und Begründungsschrift von B eingegangen. Dass eine spätere Erklärung dafür sorgen kann, dass einer vorherigen Erklärung eine mit ihrem Wortlaut unvereinbare Bedeutung zugemessen werden kann, dürfte der Senat exklusiv meinen.

Hätte der Senat nur die (zitierten!) Beschlüsse des BGH vom 10.07.2019 - 2 StR 181/19 und vom 07.07.1995 - 3 StR 205/95 gelesen, hätte der Unterscheid zwischen Zurücknahme und Beschränkung auch auffallen müssen. Die despektierliche Formulierung "Stimmen in der Kommentarliteratur zufolge" ist peinlich, wenn man die entsprechenden Randnummern nicht im Ansatz verstanden hat.

Die Entscheidung dürfte daher auch im Ergebnis fehlerhaft sein, weil sie unvollständig ist. Ob Verteidiger B zur Zurücknahme ermächtigt war, ergibt sich nicht. Selbst wenn er dies war, ist es aber abwegig, eine bloß teilweise Begründung als eine Zurücknahme auszulegen. Erst recht abwegig wäre es, im bloßen Schweigen auf die Antragsschrift der GenStA einen Zurücknahme sehen zu wollen. 

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