BAG: Entschädigung Einstellungsdiskriminierung eines schwerbehinderter Bewerbers - Veröffentlichung des Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur reicht für öffentliche Arbeitgeber nicht

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 26.11.2021
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht3|3049 Aufrufe

Die Gefahr, sich durch unbedachtes Handeln in der Phase der Besetzung von Arbeitsplätzen einer Entschädigungsklage auszusetzen, ist insbesondere im Hinblick auf die Bewerbung schwerbehinderter Menschen relativ hoch. Die Erfahrung zeigt, dass hier relativ häufig der Rechtsweg beschritten wird. Das mag auch daran liegen, dass die gesetzlichen Anforderungen an ein diskriminierungsfreies Verfahren recht hoch sind. Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung, wie eine gerade in Form einer Pressemitteilung bekannt gemachte Entscheidung erneut zeigt, davon ausgeht, dass ein Verstoß des Arbeitgebers gegen die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen regelmäßig die Vermutung iSv. § 22 AGG begründet, dass der erfolglose schwerbehinderte Bewerber im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde.

Besondere Pflichten treffen öffentliche Arbeitgeber. Bekannt ist vor allem die Pflicht öffentlicher Arbeitgeber, schwerbehinderte Bewerber grundsätzlich zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 165 S. 3 SGB IX). In der jetzt bekannt gemachten Entscheidung des BAG (Urteil vom 25.11.2021 – 8 AZR 313/20 – PM 40/21) fällt der Blick auf § 165 Satz 1 SGB IX, wonach die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze melden.

Der Fall lag wie folgt: Im November 2017 veröffentlichte der beklagte Landkreis über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit ein Stellenangebot. Danach sollte zum 1. Februar 2018 ein „Arbeitsplatz als Führungskraft“, nämlich die Stelle als „Amtsleiter/in Rechts- und Kommunalamt (Jurist/in)“ besetzt werden. In der Stellenausschreibung hieß es ua., dass das Aufgabengebiet die Leitung des Rechts- u. Kommunalamts mit seinerzeit ca. 20 Bediensteten umfasse und dass ein abgeschlossenes weiterführendes wissenschaftliches Hochschulstudium (Master oder gleichwertiger Abschluss) in der Fachrichtung Rechtswissenschaften bzw. 2. juristisches Staatsexamen (Volljurist/in) sowie mehrjährige einschlägige Berufserfahrung und mehrjährige einschlägige Führungserfahrung vorzugsweise in einer vergleichbaren Führungsposition hinsichtlich der Führungsspanne und des Aufgabenbereichs im kommunalen Bereich erwartet würden. Der mit einem GdB von 50 schwerbehinderte Kläger bewarb sich im November 2017 unter Angabe seiner Schwerbehinderung ohne Erfolg auf die ausgeschriebene Stelle. Zu einem Vorstellungsgespräch wurde er nicht eingeladen. Mit Schreiben vom 11. April 2018 wurde ihm mitgeteilt, dass sich der beklagte Landkreis für einen anderen Bewerber entschieden habe. Daraufhin wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 14. April 2018 unter dem Betreff „Beschwerde nach § 13 AGG und Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG“ an den beklagten Landkreis. Mit der Beschwerde beanstandete er, als schwerbehinderter Bewerber bereits im Vorverfahren des Bewerbungsverfahrens nicht berücksichtigt worden zu sein. Zudem machte der Kläger mit diesem Schreiben – erfolglos – einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Der Kläger erhielt auf die Beschwerde vom beklagten Landkreis keine Antwort. Mit seiner Klage verfolgt der Kläger gegenüber dem beklagten Landkreis einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG weiter. Er hat die Auffassung vertreten, der beklagte Landkreis habe ihn wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Dies folge ua. daraus, dass der beklagte Landkreis den freien Arbeitsplatz nicht den Vorgaben von § 165 Satz 1 SGB IX entsprechend der zuständigen Agentur für Arbeit gemeldet habe und dass er ihn, den Kläger, entgegen § 165 Satz 3 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe, obwohl ihm – entgegen der Annahme des beklagten Landkreises – die fachliche Eignung nicht offensichtlich gefehlt habe. Zudem begründe die unterlassene Beantwortung seiner Beschwerde nach § 13 Abs. 1 AGG die Vermutung, dass er wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt worden sei. Der beklagte Landkreis hat Klageabweisung beantragt. Er schulde dem Kläger unter keinem Gesichtspunkt eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.

Das BAG hat entschieden, dass der beklagte Landkreis den Kläger wegen der Schwerbehinderung benachteiligt hat und ihm deshalb die Zahlung einer angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG schuldet. Der beklagte Landkreis habe es entgegen § 165 Satz 1 SGB IX unterlassen, den ausgeschriebenen, mit schwerbehinderten Menschen besetzbaren Arbeitsplatz der zuständigen Agentur für Arbeit zu melden. Die Veröffentlichung des Stellenangebots über die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit stelle keine Meldung iSv. § 165 Satz 1 SGB IX dar. Der Umstand der unterlassenen Meldung begründe die Vermutung, dass der Kläger im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde. Danach sei es nicht mehr darauf angekommen, ob weitere Verstöße gegen die zugunsten schwerbehinderter Menschen getroffenen Verfahrens- und/oder Förderpflichten vorlagen. Ebenso ließ der Senat es dahingestellt, ob die unterbliebene Beantwortung der Beschwerde des Klägers durch den beklagten Landkreis ein Indiz nach § 22 AGG für eine Benachteiligung des Klägers wegen der Schwerbehinderung sein konnte.

Die Entscheidung mutet jedenfalls auf den ersten Blick doch recht formalistisch an und wird manchen Arbeitgeber, der immerhin in die richtige Richtung geht, überraschen.

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3 Kommentare

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Hallo,

und wie sieht es in diesem Fall mit den notwendigen fachlichen Eignung aus, die das sächsiche LAG verneint hat und anscheinend nun das BAG bejaht hat?

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Hallo,

aus meiner Sicht ist die fachliche Eignung bei einer Pflichtverletzung nach § 165 Satz 1 SGB IX nicht mehr relevant. Das BAG hat schon 2013 geurteilt, dass die fachliche Eignung und die subjektive Ernsthaftigkeit kein Kriterium sein dürfen, um den Bewerber-Status zu erlangen, demnach die Schutzvorschriften des SGB IX Anwendung finden.

Auch als ungeeigneter Mensch ist man demnach Bewerber.

Für die Pflichtverletzung gegen die Einladungspflicht schwerbehinderter Bewerber ( § 165 Satz 3 SGB IX) ist die fachliche Eignung natürlich erheblich. Weist der Öffentliche Arbeitgeber die offensichtliche Nichteignung nach, ist die Diskriminierungsvermutung widerlegt.

Die Pflichtverletzung des Satz 1 (Meldung an die AfA) ist jedoch nicht an die fachliche Eignung gekoppelt.

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Hallo,

es geht ja hier nicht nur um den "Bewerber-Status", sondern um die Anspruchsvoraussetzungen für einen AGG-Entschädigunsanspruch. In diesem Fall hatte das LAG Sachsen die fachliche Eignung verneint, das BAG ist auf diesen Aspekt in seinem Urteil überhaupt nicht eingegangen, obwohl das BAG doch an die Feststellungen des LAG hinsichtlich der fachlichen Eignung gebunden ist?

Ist das nur beim öffentlichen Arbeitgeber so, wenn dieser die fachliche Nichteignung beweist, daß dann die Diskriminierungsvermutung widerlegt ist, oder auch beim privaten Arbeitgeber?

Reicht das Erlangen der Bewerbereigenschaft schon für einen AGG-Anspruch aus? In früheren Urteilen hies ja immer, ... auf Ebene der Ungleichbehandlung dürfen nur Faktoren berücksichtigt werden, die nicht die fachliche Eignung oder das Merkmal selbst betreffen ... - allerdings mußte man vor 2016 noch objektiv geeignet sein ... was nun nicht mehr notwendig  ist ...

Und dann stellt sich noch die Frage mit dem Versagen einer Chance;  ich denn eine Altersdiskrimnierung widerlegt, wenn ein älterer Mitbewerber oder im Alter des Klägers eingestellt wird? Oder ist für die Schlechterstellung eine Zurücksetzung des Einzelnen aussreichend, d. h. die Aussortierung aus dem Stellenbesetzungsverfahren ...

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