Auf Messfoto hält der Betroffene ein Handy: Reicht nicht, den Handyverstoß festzustellen

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 02.12.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht4|4017 Aufrufe

 Der Betroffene ist bei einem Geschwindigkeitsverstoß fotografiert worden. Er hatte ein Handy in der Hand. Ganz klar: Das reicht nicht, ihn wegen eines Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO zu verurteilen. Wir Deutschen sind eben genau. So jedenfalls das OLG Jena. Die Verurteilung des AG wurde aufgehoben und die Sache an das AG zurückverwiesen. Meine Frage: Was wird erwartet, was sonst noch ergänzend festgestellt werden könnte? 

 

1. Die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Jena vom 23.03.2021 wird zugelassen.

 2. Das Urteil des Amtsgerichts Jena wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an das Amtsgericht Jena zurückverwiesen.

 Gründe: 

 I.

 Mit dem angefochtenen Urteil wurde gegen den - seine Fahrereigenschaft einräumenden - Betroffenen wegen von ihm am 14.05.2019 als Fahrer eines Pkw begangener vorschriftswidriger Benutzung eines elektronischen Gerätes, das der Kommunikation, Information oder Organisation dient oder zu dienen bestimmt ist, in Tateinheit mit Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von 80 km/h um 12 km/h (abzüglich Toleranzwertes) eine Geldbuße i.H. von 110,- € festgesetzt.

 Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem form- und fristgerecht mit Schreiben seines Verteidigers vom 30.03.2021 erhobenen und mit Schreiben des Verteidigers vom 13.05.2021 begründeten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, gestützt auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts.

 Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrer - dem Betroffenen und seinem Verteidiger mit dieser Entscheidung übersandten - Stellungnahme vom 15.07.2021 beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, das Urteil des Amtsgerichts Jena aufzuheben sowie die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht Jena zurückzuverweisen.

 II.

 Das Rechtsmittel hat (zumindest vorläufig) Erfolg.

 Gegen den Betroffenen ist eine Geldbuße von weniger als 250 € und mehr als 100 € festgesetzt worden. Nach § 80 Abs. 1 OWiG darf daher die Rechtsbeschwerde nur zugelassen werden, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) oder das Urteil wegen der Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).

 1. Der Zulassungsantrag des Betroffenen hat zwar mit der Gehörsrüge (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) keinen Erfolg, da es für die Zulässigkeit einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG genügenden Verfahrensrüge des - der Antragsschrift nicht zu entnehmenden - Vortrages bedurft hätte, was der Betroffene im Falle seiner vermeintlich nicht erfolgten Anhörung geltend gemacht hätte (vgl. Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Aufl., § 80 Rdnr. 16c m.w.N.).

 2. Auch zeigt das Antragsvorbringen entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und verallgemeinerungsfähige Rechtsfragen, die zur Zulassung der Rechtsbeschwerde drängen würden, § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG, nicht auf. Dass ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO eine Nutzung des Gerätes erfordert, während ein bloßes Halten zur Tatbestandserfüllung nicht ausreicht, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt.

 Gleiches gilt in Bezug auf die Verwertbarkeit der Ergebnisse eines standardisierten Messverfahrens, hinsichtlich der sich der Senat mit Beschluss vom 23.09.2020, Az. 1 OLG 171 SsRs 195/19 ausdrücklich der ersichtlich außerhalb des Saarlandes (vgl. Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 05.07.2019, Az. Lv 7/17, NJW 2019, 2456) in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte einheitlich vertretenen Auffassung angeschlossen hat, dass diese nicht von dessen nachträglicher Überprüfbarkeit anhand von aufzuzeichnenden, zu speichernden und an den Betroffenen auf Verlangen herauszugebenden Rohmessdaten abhängig ist, und durch die fehlende Reproduzierbarkeit der zum einzelnen Messwert führenden Berechnung weder der Anspruch auf ein faires Verfahren noch der auf eine effektive Verteidigung berührt wird.

 3. Der vorliegende Sachverhalt gebietet jedoch - dem Antrag der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft vom 15.07.2021 entsprechend; auf die dortigen zutreffenden Ausführungen wird Bezug genommen - die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG.

 In den Urteilsgründen unter Ziffer III. (UA S. 3) ist festgestellt: „Anhand der Inaugenscheinnahme des vollformatigen Frontfotos konnte festgestellt werden, dass der Betroffene in seiner rechten Hand einen silbrig glänzenden, rechteckigen und flachen Gegenstand hält …“. Weiter ist unter Ziffer IV. ausgeführt (UA S. 5): Damit steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Betroffene objektiv den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 23 Abs. 1a StVO verwirklicht hat, indem er mit seiner rechten Hand während der Fahrt als Führer eines Kraftfahrtzeuges mit dem Kennzeichen HH-** **** am 14.05.2019 um 17:58 Uhr auf der BAB 3 bei Kilometer 170, 670 Fahrtrichtung Erfurt ein Mobiltelefon hielt. Durch die seit 2017 geltende Fassung des § 23 Abs. 1a StVO ist auch das bloße Halten oder das Aufnehmen eines Mobiltelefons bereits als Ordnungswidrigkeit eingestuft. Es kommt nicht mehr darauf an, ob das elektronische Gerät auch tatsächlich in irgendeiner Weise benutzt wird, zumal dies beweissicher auch so gut wie unmöglich nachweisbar ist, zumindest solange der Betroffene dies nicht eingesteht.“

 Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Amtsgericht die an einen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO zu stellenden Anforderungen verkannt hat und dies in weiteren gleichgelagerten Fällen gleichermaßen erfolgen wird, indem es die Feststellung einer über das bloße Halten hinausgehenden, konkreten Nutzung zur Bejahung eines tatbestandsmäßigen Verstoßes gegen § 23 Abs. 1a StVO nicht für erforderlich erachtet und dem folgend entsprechende Feststellungen nicht getroffen hat. Auch nach der Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO (nach Änderung durch Art. 1 Nr. 1 der 53. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 06.10.2017 (BGBl. I, S. 3549)) ist allein das bloße Halten oder Aufnehmen eines elektronischen Geräts während des Führens eines Fahrzeugs kein tatbestandsmäßiger Verstoß (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07.03.2019, Az. III-4 Rbs 392/18; OLG Celle, Beschluss vom 07.02.2019, Az. 3 Ss (OWi) 8/19, jeweils bei juris; vgl. auch Senatsbeschluss vom 15.04.2021, Az. 1 OLG 331 SsRs 33/21). Es muss vielmehr auch weiterhin über das bloße Halten hinaus eine Benutzung des elektronischen Geräts hinzukommen (so auch König, in: Hentschel/König/Dauer, StVO, 45. Aufl., § 23 Rn 32; Ternig, VD 2018, 300; ders., SVR 2018, 434; Krenberger, jurisPR-VerkR 18/2018 Anm. 6). Der Verordnungsgeber wollte mit der Neufassung u.a. eine Regelungslücke schließen für Konstellationen, in denen das Gerät in der Hand gehalten wird, obwohl dies nicht erforderlich wäre (vgl. OLG Hamm, a.a.O.), „um die auch bei Einhaltung des Hand-held-Verbots mit der Benutzung einhergehenden verkehrssicherheitsgefährdenden Tätigkeiten weiter zu minimieren“ (vgl. BR-Drucks 556/17, S. 26). Hieran zeigt sich, dass aus Sicht des Verordnungsgebers dem Tatbestandsmerkmal der „Benutzung“ weiterhin ein eigener Regelungsgehalt zukommt, der an die mit der Benutzung „einhergehenden verkehrssicherheitsgefährdenden Tätigkeiten“ - auch ohne Aufnehmen oder Halten des Geräts - anknüpft (vgl. OLG Celle, a.a.O.).

 Aus dem vorgenanntem Grund ist - entsprechend dem Antrag der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft vom 15.07.2021 - die Rechtsbeschwerde zuzulassen, das amtsgerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zur erneuten Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittels, zurückzuverweisen.

OLG Jena Beschl. v. 13.10.2021 – 1 OLG 121 SsRs 55/21, BeckRS 2021, 32467 

 

Tatrichter*innen, die eine Handynutzung auf dem Messfoto sehen, sollten also wohl besser freisprechen, als zu versuchen, aus Messbildern irgendetwas herauszulesen. Eine Nutzung wird ja wohl nie bewiesen werden können....

 

 

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4 Kommentare

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Ganz so schwarz würde ich nicht sehen. Ich verstehe die Entscheidung eher dahingehend, dass das OLG bemängelt, dass der Tatrichter sich mit der Nutzung überhaupt nicht auseinander gesetzt hat. In der Regel wird man aber anhand der Art der Haltung ja schon rückschließen können, ob das Handy z. B. nur aufgehoben oder auch zum Telefonieren bzw Texten benutzt wurde. Ich würde daher (außerhalb des Saarlands, wo ja Verkehrsverstöße überhaupt nicht verfolgt werden sollen) eher nicht jedem Fall freisprechen oder einstellen.

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Sollte vielleicht das Kennzeichen aus dem Beitrag entfernt werden? Es gibt zwar auch an anderer Stelle veröffentlichungen wo das Kennhzeichen nicht verfremdet ist (und die Personenbezogenen daten trotz versuchter überdeckung lesbar sind) aber als Seitenbetreiber würde ich hier vorsichtiger sein.

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Die Deutschen sind eben uebergenau und an Ueberzeugungen nicht zu uebertreffen, besonders die geltende Fassung von 2017. Die Anmerkung, " Es kommt nicht mehr darauf an, ob das elektronische Geraet auch tatsaechlich in irgendeiner Weise benutzt wird, zumal dies beweissicher auch so gut wie unmoeglich nachweisbar ist ", ist ein Unding. Und somit wird dies nun auch fuer andere gerichtliche Sachen verwendet. Uebergenau sind auch die deutschen Autohersteller, die nicht genug bekommen, zahlreiche elektrische Tasten sowie Beruehrungsbildschirme zu fertigen, die dann tatsaechlich erfasst und benutzt werden muessen. Beim Foto, das ja hinterhaeltig, versteckt, heimlich gemacht wurde und sowie das Recht am eigenen Bild, habe ich auch meine Bedenken. 

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