2,3 Promille: Ein schöner Abend war`s!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.12.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|3644 Aufrufe

Der Angeklagte hatte eigentlich einen tollen Abend. Er fuhr mit dem Rad zum Sportverein. Da gab es eine Party. Mit 2,3 Promille ging`s dann nach Hause. Und das Fahrrad schob er - selbst das war natürlich mit der BAK schwierig. Am Ende schlief er auf der Straße ein. Das war natürlich nicht gut. Vielleicht sogar eine OWi?! Aber: Strafbar war das (natürlich) nicht!

 

Auf die Berufung des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Emmendingen vom 18.03.2021 insgesamt aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

 Der Angeklagte wird freigesprochen.

 Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten in beiden Instanzen werden der Staatskasse auferlegt.

 Gründe: 

 (abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 i.V.m. § 332 StPO)

 I.

 Die Staatsanwaltschaft Freiburg legte dem Angeklagten mit dem am 12.10.2020 vom Amtsgericht … erlassenen Strafbefehl zur Last, am 09.08.2020 gegen 6.30 Uhr mit dem Fahrrad auf der Straße … in … gefahren zu sein, obwohl er aufgrund vorangegangenen Alkoholkonsums fahruntüchtig gewesen sei. Daher sei er auf die Fahrbahn gestürzt. Eine am selben Tag um 07.34 Uhr entnommene Blutprobe habe eine Blutalkoholkonzentration von 2,3 Promille im Mittelwert ergeben. Er habe sich hiermit der fahrlässigen Trunkenheit im Straßenverkehr gem. § 316 Abs. 1 und 2 StGB strafbar gemacht.

 Das Amtsgericht verurteilte am 18.03.2021 den Angeklagten nach Beweisaufnahme entsprechend dieses Tatvorwurfs zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 35,- €. Die fristgerecht und mit dem Ziel eines Freispruchs eingelegte Berufung des Angeklagten wurde durch Beschluss der Berufungsstrafkammer vom 10.08.2021 angenommen. Die Berufung hatte Erfolg.

 II.

 Der Angeklagte besuchte am Abend des 08.08.2020 eine private Feier, die im Vereinshaus des Sportvereins … ausgerichtet wurde. Hierbei trank er alkoholische Getränke im Übermaß, was dazu führte, dass er noch am 09.08.2020 um 07.34 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 2,3 Promille aufwies. In den frühen Morgenstunden des 09.08.2020 wollte er mit dem Fahrrad nachhause fahren. Zu diesem Zweck zog er das Rad aus dem Fahrradständer und schloss es auf. Bereits hierbei fiel er mit dem Fahrrad zu Boden. Er bemerkte, dass er zu betrunken war, um auf das Fahrrad aufzusteigen, und wollte das Fahrrad daher die ca. 3 bis 4 km bis zu seinem Wohnort schieben. Hierbei stieß er wegen seiner alkoholbedingten Gleichgewichtsstörungen noch einmal an einer Brücke gegen das Brückengeländer. Einige hundert Meter weiter geriet er, das Fahrrad schiebend, nach links vom Weg ab. Dort fiel er mit seinem Fahrrad in die Böschung. Das Fahrrad ließ er dort liegen und ging dann noch wenige Meter weiter, bevor er alkoholbedingt stürzte bzw. sich zum Schlafen auf der Straße niederließ. Jedenfalls lag er gegen 6.28 Uhr bewusstlos auf der kleinen Straße, wo er von einem zufällig auf privatem Weg befindlichen Polizeibeamten aufgefunden wurde. Dieser verständigte über Notruf Polizei und Rettungsdienst. Nachdem diese gegen 6.40 Uhr eingetroffen waren, wachte der Angeklagte langsam auf. Auf die Frage des Zeugen POM …, was geschehen sei, antwortete der Angeklagte, er sei vom Fahrrad gefallen.

 III.

 Diese Feststellungen entsprechen im Wesentlichen der nicht widerlegten Einlassung des Angeklagten. Die Strafkammer konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Angeklagte auf dem Weg vom Vereinsheim bis zu der Stelle, an der er bewusstlos aufgefunden wurde, zu irgendeinem Zeitpunkt mit dem Fahrrad gefahren ist (…).

 IV.

 Der Angeklagte hat somit sein Fahrrad nicht geführt im Sinne des § 316 StGB. Zwar bedient der Schiebende sich dafür in aller Regel des Lenkers (s. BayObLG VRS 75 127, 128), so dass das Zweirad unter eigenverantwortlicher Handhabung einer seiner wesentlichen technischen Vorrichtungen durch den öffentlichen Verkehrsraum geleitet wird. Dennoch geht die herrschende Meinung, der die Strafkammer sich anschließt, davon aus, dass das Schieben eines Fahrrads nicht als Führen im Sinne des § 316 StGB angesehen werden kann (König in Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 13. Aufl. 2021, § 315 c Rn. 14; zweifelnd Fischer, StGB, 68. Aufl., 2021, § 315c Rn. 3a). Die Gefahrenlage ist so viel geringer, dass es sachgerecht erscheint, einschlägige Verhaltensweisen im Wege der teleologischen Reduktion aus dem Tatbestand zu eliminieren. Dafür kann stützend die Wertung der StVO, so z. B. § 25 Abs. 2 StVO, herangezogen werden, wonach die genannten Phänomene wesentlichen Regelungen des Fußgängerverkehrs unterworfen sind (König, a.a.O.).

 Sich betrunken zu Fuß im öffentlichen Verkehrsraum zu bewegen, ist somit auch dann nicht strafbar, wenn hierbei ein Fahrrad geschoben wird.

 Der Angeklagte war daher aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen freizusprechen.

LG Freiburg Urt. v. 26.10.2021 – 11/21 10 Ns 530 Js 30832/20, BeckRS 2021, 34095

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2 Kommentare

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Da hat der Angeklagte aber Glück gehabt, dass man ihm glauben konnte, das Fahrrad über die Strecke geschoben zu haben. Die Einlassung, ein Auto soweit geschoben zu haben, wäre wesentlich weniger glaubwürdig.

Dass man das Schieben eines Fahrrads als Führen eines Fahrzeugs ansieht, geht allerdings wirklich zu weit. Natürlich erhöht das Schieben die Unfallgefahr deutlich, wie ich einst sah, als ein Sturzbetrunkener, der einem Fußgänger auf dem Gehweg ausweichen wollte, gleich einen Purzelbaum über das Fahrrad schlug, weil er sich auf den Lenker stützte, als sei das Rad ein Rollator (wofür sich ein einspuriges Fahrrad aber kaum eignet) und das Fahrrad auch noch lenken wollte. Glimpflich ging das nur ab, weil er gleich in einer Hecke (ohne Dornen) landete, die ihm zwar nicht auf die Beine half, ihn aber sanft auf den Bürgersteig setzte.

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Die Beurteilungen sind in diesen Fall, je nach Richter und Gericht, unterschiedlich. Bei einen anderen und aehnlichen Vorfall hat man der Person vor Ort ein Blutabnahme in Eilzustaendigkeit und Vereitlung des Untersuchungserfolges!! durch Polizeibeamte angewandt. Die Rechtfertigung am Gericht, der alkoholisierte schiebende Radfahrer koennte sich in seinen Zustand!!noch vor diese Blutabnahme entfernen, ist ein sonderbarer richterlicher Geistesblitz. Weiter wurde beim TUEV ein Medizinsches-Psychologisches Gutachten angeordnet, nachdem die Person ja auch einen KFZ Fuehrerschein besitzt. Erstaunlich ist, dass das Gericht zwecks Gutachten, einen Verein und nicht ein rein medizinisches Institut fuer diese Sache auswaehlte. Der TUEV prueft ja alles und ist auch fuer alles zu haben, nebst Pruefungen von Staudaemmen, Slikoneinsaetze, Sexspielzeuge sowie die Gutachten fuer Gerichte.

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