Zustellung des Urteils an alle angeordnet: Keine nachträgliche Urteilsbegründung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 12.12.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2214 Aufrufe

Vor ein paar Tagen war diese Entscheidung bereits aus anderen Gründen (Verjährungsfragen) Gegenstand des Blogs. Die Verjährung hatte der Tatrichter nicht erkannt. Und danach hatte er das Urteil auch noch zugestellt. Leider ohne Gründe. Die setzte er später ab. Falsch!

 

3. Außerhalb der Sachprüfung merkt der Senat noch an, dass das angefochtene Urteil - selbst wenn keine Verfolgungsverjährung eingetreten wäre - vorliegend deshalb keinen Bestand haben könnte, da der Tatrichter unmittelbar im Anschluss an die Hauptverhandlung vom 10.05.2021 die Zustellung einer Abschrift des Hauptverhandlungsprotokolls, in welchem sich der Urteilstenor ohne Gründe befand, sowohl an den Betroffenen als auch an den Verteidiger mit Rechtsmittelbelehrungverfügt hat und sich damit dafür entschieden hat, dass ein Urteil ohne Gründe den inneren Dienstbetrieb verlässt.

 Es stellt einen materiell-rechtlichen Mangel dar, der bereits auf die Sachrüge hin zu beachten ist, wenn das für die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht maßgebliche Urteil entgegen § 267 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG keine Gründe enthält (vgl. nur BGH NStZ-RR 1999, 45; KK-StPO/Gericke 8. Aufl. § 338 Rn. 92, jeweils m.w.N.). Die Ergänzung durch die erst am 26.05.2021 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe war unzulässig und damit für das vorliegende Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr relevant (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 16.12.2008 - 3 Ss OWi 1060/08 und 10.11.2011 - 3 Ss OWi 1444/11, jeweils bei juris; ebenso: OLG Hamm Beschluss vom 20.01.2014 - 1 RBs 8/14 bei juris). Das Amtsgericht war nicht befugt, das nicht mit Gründen versehene Urteil vom 10.05.2021 nach der am 20.05.2021 erfolgten Zustellung an den Betroffenen und den Verteidiger abzuändern.

 a) Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass die nachträgliche Ergänzung eines Urteils grundsätzlich nicht zulässig ist - und zwar auch nicht innerhalb der Urteilsabsetzungsfrist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO -, wenn es bereits aus dem inneren Dienstbereich des Gerichts hinausgegeben worden ist (BGHSt 43, 22; 58, 243; OLG Bamberg a.a.O.). Für das Bußgeldverfahren folgt daraus, dass ein vollständig in das Sitzungsprotokoll aufgenommenes, nicht mit Gründen versehenes Urteil, das den inneren Dienstbereich des Gerichts bereits verlassen hat, nicht mehr verändert werden darf, es sei denn, die nachträgliche Urteilsbegründung ist gemäß § 77b Abs. 2 OWiG zulässig (BGHSt 58, 243 m.w.N.; OLG Bamberg ZfS 2009, 175; StraFo 2010, 468; OLG Brandenburg VRS 122, 151; OLG Celle NZV 2012, 45; OLG Dresden NZV 2012, 557; OLG Hamm a.a.O.; KG NZV 1992, 332; OLG Oldenburg NZV 2012, 352).

 b) Im vorliegenden Verfahren hat sich der Tatrichter mit der Verfügung, das den Urteilstenor enthaltene Sitzungsprotokoll an den Betroffenen und den Verteidiger „mit Anlagen: Rechtsmittelbelehrung“ zuzustellen, endgültig für die förmliche Zustellung einer nicht mit Gründen versehenen Urteilsfassung entschieden. Damit hat das Urteil den inneren Dienstbereich des Gerichts verlassen und ist nach außen in Erscheinung getreten.

 c) Die Voraussetzungen für ein Absehen von einer schriftlichen Begründung des Urteils waren nicht gegeben (§ 77b Abs. 1 OWiG). Die Generalstaatsanwaltschaft verkennt in ihrer Stellungnahme vom 31.08.2021 insoweit, dass schon deshalb die Urteilsgründe nicht nachträglich gefertigt werden konnten (§ 77b Abs. 2 OWiG), da es sich weder um eine Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft handelt noch eine Rechtsbeschwerde des Betroffenen vorliegt, der in der Hauptverhandlung gemäß § 77b Abs. 1 Satz 3 OWiG von einem Verteidiger vertreten worden ist und auch nicht lediglich eine Geldbuße von nicht mehr als 250 Euro festgesetzt worden ist.

BayObLG Beschl. v. 30.9.2021 – 201 ObOWi 1165/21, BeckRS 2021, 34016

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