Grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung?

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 16.12.2021
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1922 Aufrufe

Die Parteien streiten über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses und Vergütungsansprüche. Die 1958 geborene Klägerin ist französische Staatsangehörige. 2014 schloss sie in Paris mit der Firma A einen Arbeitsvertrag in französischer Sprache ab, in dem auf französische Tarifverträge Bezug genommen wird. A ist ein weltweit tätiges Beratungsunternehmen. Von der in Deutschland ansässigen Beklagten erhielt A den Auftrag, bestimmte Prozesse in diesem Unternehmen umfassend zu modernisieren. Zu diesem Zweck entsandte A die Klägerin nach Deutschland, die hier vom 1.10.2014 bis zum 30.4.2016 tätig war.

Die Klägerin ist der Auffassung, sie sei im Wege der Arbeitnehmerüberlassung bei der Beklagten tätig geworden. Da A über keine (deutsche) Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung verfüge, sei zwischen ihr und der Beklagten nach § 9 Abs. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Die Beklagte meint dagegen, die Klägerin sei nur für das Unternehmen A tätig geworden, das man mit der Prozessoptimierung beauftragt (und bezahlt) habe.

Das ArbG Karlsruhe hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin sei keine Leiharbeitnehmerin, sondern nur für A tätig gewesen. Ihre Berufung hatte beim LAG Baden-Württemberg Erfolg:

1. Arbeitet eine Leiharbeitnehmerin, die von einem ausländischen Verleiher entsandt wurde, in Deutschland für den Entleiher, so gilt für die Rechtsbeziehungen zwischen der Leiharbeitnehmerin und dem Entleiher gemäß Art. 8 Abs. 2 VO EG 593/2008 (Rom I) deutsches Recht.

2. Eine Arbeitnehmerüberlassung kann sich auch aus den mit dem Verleiher vereinbarten und den von dem Entleiher übertragenen Aufgaben der Leiharbeitnehmerin ergeben. Es bedarf daher nicht in jedem Fall der Darlegung von Einzelanweisungen, um eine Arbeitnehmerüberlassung feststellen zu können.

3. § 9 Nr. 1 AÜG ist eine zwingende Eingriffsnorm i. S. d. Art. 9 I VO EG 593/2008. Im Falle einer Arbeitnehmerüberlassung ohne behördliche Erlaubnis ist der Vertrag zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmerin innerhalb des Geltungsbereichs der Norm (in Deutschland) auch dann unwirksam, wenn für diesen Vertrag kraft Rechtswahl ausländisches Recht gilt. Außerhalb des Geltungsbereichs der Norm richtet sich die Wirksamkeit des Vertrags nach dem gewählten Recht.

4. Auch, wenn im Fall einer Arbeitnehmerüberlassung ohne behördliche Erlaubnis das Vertragsverhältnis von Verleiher und Leiharbeitnehmerin kraft des gewählten Rechts im Ausland wirksam bleibt, gilt gemäß § 10 I AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und der Leiharbeitnehmerin als zu Stande gekommen.

Die Revision wurde teilweise zugelassen und eingelegt (BAG: 9 AZR 228/21), im Übrigen hat die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde erhoben (BAG: 5 AZN 305/21)

LAG Baden-Württemberg, Teilurt. vom 9.4.2021 - 12 Sa 15/20, BeckRS 2021, 19471

 

 

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