Reisebloggerin im Lockdown: 10 Tage Hotel-Test mit Familie im Sauerland?

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.12.2021
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht1|1992 Aufrufe

Na, das AG Schmallenberg hat es ohnehin nicht geglaubt, dass die Betroffene 10 Tage mit 2 Kindern im Sauerland während des Lockdowns einen Hoteltest macht und sich so beruflich dort zwingend aufhält. Es hat aber auch rechtlich argumentiert. Ob man da so mitmachen will, muss jede/r selbst entscheiden. Die Beweiswürdigung am Ende der Beschlussgründe halte ich aber für sehr lebensnah!

 

Der Betroffenen wird durch Bußgeldbescheid der Stadt T vom 25.05.2021 vorgeworfen, in der Zeit vom 09.05.2021 bis zum 15.05.2021 in dem Familienhotel F in T, F Nr. 5 gemeinsam mit ihrem Ehemann und zwei Kindern privat übernachtet und dadurch eine Ordnungswidrigkeit nach dem IfSG i.V.m CoronaSchVO NRW jeweils in der zur Tatzeit gültigen Fassung begangen zu haben.

Die Betroffene füllte dann den sich auf Bl. 3 der Akte befindlichen Fragebogen aus. Unter Darstellung der beruflichen Tätigkeit schrieb er: "Selbständig, Blogger, Reiseinfluenzer". Unter dem Punkt, warum eine Übernachtung notwendig sei, schrieb er: "Bericht über das Familienhotel/Gegend". Als Nachweise gab er in dem Fragebogen an: "nein, Onlineblog/Intergramm".

Der Bußgeldbescheid wurde der Betroffenen am 29.06.2021 zugestellt. Mit Schreiben vom 06.07.2021 -eingegangen bei der Bußgeldbehörde am 08.07.2021- legte die Betroffene Einspruch ein und kündigte eine Begründung an. Diese erfolgte nicht.

Mit Verfügung vom 20.08.2021, der Betroffenen zugestellt am 24.08.2021, kündigte das Gericht an, nach § 72 Abs. 1 OWiG zu verfahren und setzte das Gericht eine Frist zur Erklärung von 2 Wochen. Am 07.09.2021 melde sich dann der Verteidiger und beantragte Akteneinsicht und kündigte an, nach der Akteneinsicht darüber zu entscheiden, ob dem Verfahren nach § 72 OWiG zugestimmt werde.

Es folgten weder eine Einlassung noch ein Widerspruch zur beabsichtigten Verfahrensweise.

Damit kann nach § 72 Abs. 1 OWiG durch Beschluss entschieden werden.

Die Betroffene ist nach dem Akteninhalt und ihren eigenen Angaben mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit der ihm zur Last gelegten Ordnungswidrigkeit überführt. In der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 des Landes NRW (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) vom 5. März 2021, in der ab dem 29. März 2021 gültigen Fassung, war in § 15 Abs. 1 S. 1 folgendes bestimmt:

„Übernachtungsangebote zu privaten Zwecken sind untersagt, soweit sie nicht aus Gründen der medizinischen oder pflegerischen Versorgung oder aus sozial-ethischen Gründen dringend geboten sind“.

In § 18 Abs. 2 Nr. 27 CoronaSchVO ist dann bestimmt, dass

ordnungswidrig im Sinne des § 73 Absatz 1a Nummer 24 in Verbindung mit §§ 32, 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 des IfSG handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 15 Absatz 1 Übernachtungsangebote zu privaten Zwecken durchführt oder wahrnimmt.

Danach begeht also nicht nur derjenige eine Ordnungswidrigkeit, der eine Übernachtung anbietet, sondern auch derjenige, der ein Übernachtungsangebot zu privaten Zwecken vorsätzlich oder fahrlässig wahrnimmt. Dabei ist im Rahmen der gebotenen und noch zulässigen Auslegung insbesondere nach der ratio legis und dem Gedanken des Infektionsschutzes davon auszugehen, dass die unglückliche Formulierung der VO nicht dazu führt, dass es schlicht weg genügt, nur einen beruflichen Grund zu behaupten. Vielmehr muss ein solcher Grund gegenüber der Behörde glaubhaft gemacht werden, da ansonsten das Übernachtungsverbot für private Zwecke völlig ins Leere gelaufen wäre. Zudem liegen bei der hier gebotenen Auslegung nach der ratio legis nur dann berufliche Gründe vor, wenn die Übernachtung zur Durchführung einer beruflichen Tätigkeit auch erforderlich ist. Von einem privaten Zweck einer Übernachtung ist mithin dann auszugehen, wenn die Übernachtung nicht zur Durchführung der beruflichen Tätigkeit erforderlich ist. Dies ist nur dann nicht der Fall, wenn die berufliche Tätigkeit ohne die Übernachtung nicht zumutbar oder möglich ist.

Eine solche Auslegung ist vergleichbar mit der Auslegung der Rechtsprechung bei der sogenannten Maskenpflicht. Auch hier reicht nicht, einfach zu behaupten eine ärztliche Bescheinigung zu besitzen, sondern diese ist auch vorzulegen (AG T Urt. v. 17.2.2021 – 6 OWi-211 Js 4/21 OWi-1/20 m.w.N., BeckRS 2021, 3345, beck-online). Ferner wird -auch wenn vom Verordnungstext ausdrücklich nicht gefordert- von der Rechtsprechung eine ärztliche Bescheinigung verlangt, die auch eine nachvollziehbare Diagnose enthält (OLG Dresden, NJW 2021, 1104; VGH München, BeckRS 2021, 1835, beck-online).

Ausgeschlossen ist zwar jede Auslegung einer Strafbestimmung, die den Inhalt der gesetzlichen Sanktionsnorm erweitert und damit Verhaltensweisen in die Strafbarkeit einbezieht, die die Tatbestandsmerkmale der Norm nach deren möglichem Wortsinn nicht erfüllen. Der mögliche Wortsinn des Gesetzes zieht der richterlichen Auslegung eine Grenze, die unübersteigbar ist (vgl. BVerfGE 85, 69 [73] = NJW 1992, 890; BVerfGE 92, 1 [12] = NJW 1995, 1141; BVerfGE 105, 135 [157] = NJW 2002, 1779). Da Art. 103 Abs. 2 GG Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten verlangt, ist dieser Wortsinn aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen (vgl. BVerfGE 47, 109 [120] = NJW 1978, 933; BVerfGE 64, 389 [393] = NJW 1987, 43; BVerfGE 73, 206 [235 f.] = NJW 1987, 43; BVerfGE 92, 1 [12] = NJW 1995, 1141).

Das Übernachtungen nur dann keine Ordnungswidrigkeit im Sinne der CoronaSchVO darstellen, wenn diese aus beruflichen Gründen zwingend erforderlich sind und ein entsprechender Grund angegeben wird, ist in der allgemeinen Bevölkerung auch im Mai 2021 tief verankert gewesen und wurde entsprechend auch durch die Behörden und Medien auch so allgemein verbreitet. So gibt es unter dem Link des BMI https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/2020...

sogar ein Formular zum schriftlichen Nachweis und zur Erklärung zur unbedingten Erforderlichkeit einer kurzfristigen Geschäftsreise. Auch die Presse berichtete, dass nur zwingend notwendige Dienst- und Geschäftsreisen weiterhin erlaubt seien, allerdings unter strengen Auflagen (z.B. Handelsblatt vom 27.01.2021). Keinesfalls ging man in der Bevölkerung zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass es für die Zulässigkeit einer Übernachtung ausreiche, lediglich anzugeben, man sei geschäftlich unterwegs.

Damit ist die hier vom Gericht getroffene Auslegung, dass Übernachtungen nur dann zulässig waren, wenn beruflich zwingend erforderliche Gründe vorlagen im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG zulässig.

Auch die Anordnung des Beherbergungsverbotes für private Reisen in der zum Tatzeitpunkt geltenden CoronaSchVO NRW ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (OVG Münster Beschl. v. 23.12.2020 – 13 B 1707/20, BeckRS 2020, 36417, beck-online).

Die Betroffene hat zugegeben vom 09.05.2021 auf den 19.05.2021 im Hotel F übernachtet zu haben. Sie hat berufliche Gründe behauptet. Solche entlastenden Angaben eines Betroffenen, für deren Richtigkeit es keine zureichenden Anhaltspunkte gibt, sind vom Gericht nicht schon als unwiderlegt hinzunehmen und den Feststellungen zugrunde zu legen, weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt (vgl. BGHSt 34, 29 (34); BGH NStZ 1987, 474; NJW 1988, 779 (780); NStZ 2006, 652 (653) mwN; 2011, 302 (303); 11.8.2011 – 4 StR 191/11). Die Zurückweisung einer Einlassung erfordert nicht, dass sich das Gegenteil positiv feststellen lässt (BGH NStZ 2000, 86 mwN; 5.7.2017 – 2 StR 110/17).  Stehen mehrere Möglichkeiten im Raum, von denen keine zwingend ausgeschlossen ist,  ist das Tatgericht nicht gehindert, der Einlassung des Angeklagten nicht zu folgen und die für ihn ungünstigere Möglichkeit zu bejahen; es muss jedoch erkennbar erwägen, dass diese Möglichkeit auch nicht wesentlich näher liegend erscheint als die als fern liegend verworfene Möglichkeit, die für den Angeklagten günstiger gewesen wäre (vgl. BGH StraFo 2005, 161 und StraFo 2005, 466). Das Gericht muss in der Urteilsfindung die für den Angeklagten ungünstigste Möglichkeit zugrunde legen, wenn es gerade von ihr überzeugt ist (Stuckenberg in KMR Rn. 76; vgl. auch BGHSt 34, 29 (34) = NJW 1986, 2384). Das Tatgericht darf und muss bei der Überzeugungsbildung alles verwerten, was Gegenstand der Verhandlung war. Dazu gehören auch der Gesamteindruck der Hauptverhandlung und der, den der Angeklagte hinterlassen hat. Die Würdigung der Persönlichkeit eines Angeklagten ist gerade für die Frage, ob seine Einlassung glaubhaft oder als Schutzbehauptung zu werten ist, wesentlich. Der Grundsatz in "in dubio pro reo" ist eine Entscheidungsregel und keine Beweisregel, die das Tatgericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung (vgl. BGH NStZ 2010, 102 (103); 16.6.2016 – 1 StR 50/16; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt Rn. 26 mwN) nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserheblichen Tatsache gewonnen hat (vgl. BVerfG MDR 1975, 468 (469). Der Grundsatz besagt mithin nicht, dass das Gericht jede theoretisch möglich Angabe eines Betroffenen glauben muss. Bei der entsprechenden richterlichen Überzeugung ist das Gericht befugt, diese als Schutzbehauptung zurückzuweisen.

Die Angabe der Betroffenen er sei 10 Tage als Blogger zusammen mit ihrem Ehemann in dem Hotel gewesen und habe einen Bericht über das Hotel verfasst, ist in Anbetracht des Umstandes, dass er dort mit seinen 2 Kindern übernachtete und aufgrund der Aufenthaltsdauer von 10 Tagen zur Überzeugung des Gerichtes eine solche Schutzbehauptung. Eine auch nur ansatzweise Glaubhaftmachung für eine zwingende Übernachtung aufgrund einer beruflichen Tätigkeit fehlt völlig. Der gesamte Anschein spricht vielmehr für eine touristischen Aufenthalt.

Die Ordnungswidrigkeit kann nach § 73 Abs. 2 IfSG mit einer Geldbuße von bis zu 25.000,00 Euro geahndet werden. Der zur Tatzeit gültige Bußgeldkatalog zur CoronaSchVO NRW sieht für die Wahrnehmung von Übernachtungsangeboten zu privaten Zwecken eine Geldbuße von 250,00 Euro vor. Das Gericht ist bei der Bemessung der Geldbuße nicht an den Bußgeldkatalog gebunden, hält aber diese Geldbuße in Anbetracht der Bedeutung des Infektionsschutzes und der langen Aufenthaltsdauer bei 10 Übernachtungen noch für gerade tat- und schuldangemessen.

 

 

AG Schmallenberg, Beschl. v. 25.10.21 - 6 OWi-211 Js 447/21-35/21

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Die LTO-Presseschau:

Exotik: Sind zehn Tage mit Mann und Kindern in einem sauerländischen Familienhotel Urlaub oder eher Arbeit? Nur in letzterem Fall hätte die Betroffene eines am Amtsgericht Schmallenberg entschiedenen Ordnungswidrigkeitenverfahrens die Bestimmungen der im Mai geltenden nordhein-westfälischen Corona-VO erfüllt. Die Einlassung der Betroffenen, sie habe den Hotel-Aufenthalt für einen Eintrag in ihrem Reise-Blog benötigt, überzeugte das Gericht jedenfalls nicht, wie community.beck.de (Carsten Krumm) berichtet. Es ging von einer "Schutzbehauptung" aus.

0

Kommentar hinzufügen