BGH und die Kürzung der Miete in Coronazeiten - zum heutigen Urteil XII ZR 8/21

von Dr. Michael Selk, veröffentlicht am 12.01.2022
Rechtsgebiete: Miet- und WEG-RechtCorona1|3325 Aufrufe

Der für das Gewerbemietrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH hat heute seine Entscheidung zu spannenden Rechtsfragen, die die Pandemie im Gewerbemietrecht aufgeworfen hat, verkündet - und erfreulicherweise nicht nur die Pressemitteilung herausgegeben, sondern sogleich die Urteilsgründe bereits mitgeliefert.

Der Senat verneint die Möglichkeit für die Gewerbemieter/innen, die Miete im Falle coronabedingter Schließungen gem. § 536 BGB zu mindern und schließt sich hier der h.M. an. Er bejaht indes eine Anpassung der Miete jedenfalls im dort anhängigen Verfahren über das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB - hier allerdings schließt er sich nicht der Ansicht an, die pauschal eine Halbierung der Miete auf 50% praktiziert, sondern fordert - und das ist für die Praxis von Bedeutung - eine Prüfung aller Umstände, auch die finanziellen Vorteile, die Mieter/in während der Schließung erlangt hat, seien zu berücksichtigen. Dies gelte für Leistungen aus der Betriebsversicherung, aber nicht für staatliche Darlehen, da diese ja ohnehin zurückzuzahlen seien. Eine umfassende Abwägung sei notwendig.

In wissenschaftlicher Hinsicht sind die Ausführungen des Senats vor allem zu § 536 BGB doch etwas enttäuschend, setzt sich der BGH hier nicht mit den umfangreichen Argumenten der Gegenansicht (die übrigens auch nicht vollständig zitiert wird, so fehlt etwa der umfassende Aufsatz von Neuhaus, IMR 2021, 431 mit seinen guten Argumenten pro Minderung komplett. Abzuwarten bleibt auch, ob die Argumentation des Senats für die zweite "Welle" von November 2020 bis Mai 2021 noch in den weiteren Verfahren Bestand haben wird - denn dort war die "Lage" der jeweiligen Objekte viel entscheidender als in der "ersten Welle", wo unabhängig von den Inzidenzzahlen der jweiligen Landkreise/Städte geschlossen wurde. Nicht überzeugend ist auch die Differenzierung zwischen hoheitlichen "Sperrungen" einerseits und Baustellen andererseits : der Senat würde offenbar eine Minderung bei Baustellen und Straßensperrungen bejahen, da diese Eingriffe "unmittelbar"(er) sein sollen (nicht diskutierend, dass auch diesen Sperrungen in der Regel behördliche Bescheide zugrundeliegen). Die  vom Senat gezogene Grenze zwischen unmittelbar und mittelbar erscheint ebenso wenig überzeugend.

Die praktische Sicht der Dinge ist ebenfalls ernüchternd. Auf die Tatgerichte und die Parteien kommt erhebliche Arbeit zu, müssen im Einzelfall die Umsätze und Gewinne offen gelegt und die Steuerberater bemüht werden. Die einfache Lösung, man möge um 50% kürzen (wie der BGH in anderen Fällen früher für vertretbar hielt), wird zugunsten der allumfassenden Abwägung aller Umstände verworfen. Diese Lösung ist schon nachvollziehbar. Offen bleibt indes, wie die Tatgerichte beispielsweise mit dem Umstand umgehen sollen, dass in der letzten mündlichen Verhandlung oft noch gar nicht die häufig höheren Gewinne des Folgejahres zeitlich berücksichtigen können (so sollen Hotelbranche und teilweise auch die Gastronomie mancherorts die Verluste der "ersten Welle" nicht nur wettgemacht haben, sondern nach der Öffnung viel höhere Gewinne als vor Coronazeiten erzielt haben). Diese Art von "Überkompensation" kann sich auf dem Zeitstrahl noch Jahre später auswirken, abhängig vom Verlauf der Pandemie. Aber zu den offenen Fragen zählen z.B.: sollen die angeschafften und dann aber nicht mehr nutzbaren Heizstrahler für draußen, Zelte, Außenmöbel usw in die Abwägung in die sinnlos verursachten Kosten eingestellt werden? Kann man Betrieben vorwerfen, ihre Mitarbeiter nicht früher in Teilzeit oder Arbeitslosigkeit geschickt zu haben? Was ist mit den Firmen, die diverse Zweigstellen haben - kommt es auf den Gewinn bzw. Verlust der jeweiligen Filiale an oder zählen die Zahlen des gesamten Unternehmens? Und diese Fragen sind nur ein Teil dessen, was die Tatgerichte nun erwartet.

Es sind noch weitere Revisionen beim XII. Zivilsenat anhängig - abzuwarten bleibt, ob einige der hier aufgeworfenen Fragen dann dort beantwortet werden.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

1 Kommentar

Kommentare als Feed abonnieren

Die LTO-Presseschau:

BGH zu Gewerbemiete im Shutdown: Gewerbetreibende, die im Corona-Shutdown ihr Geschäft schließen mussten, haben grundsätzlich einen Anspruch auf Anpassung der Miethöhe im Zeitraum der Schließung. Hoheitliche Betriebsschließungsanordnungen begründen laut Bundesgerichtshof eine Störung der Geschäftsgrundlage und nicht etwa einen Mangel nach § 536 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Betroffen seien nicht etwa Lage oder Zustand der Mietsache, sondern als Teil der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB die Erwartungen der Vertragsparteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern. Im konkreten Fall hatte das Oberlandesgericht Dresden entschieden, dass Vermieter und Mieter das Risiko zu gleichen Teilen tragen müssen. Der BGH erteilte dieser pauschalen 50:50-Lösung nun eine Absage und benennt Kriterien, die bei der Frage der Zumutbarkeit und Risikoverteilung zu beachten sind. So müsse z.B. Berücksichtigung finden, welche Maßnahmen der Mieter trifft, um drohende Verluste zu mindern. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch)FAZ (Katja Gelinsky)Hbl (Florian Kolf/Kerstin Leitel)tagesschau.de (Kerstin Anabah) und LTO.

Michael Selk (beck-community) zeigt sich enttäuscht von dem Urteil. Bereits für die Zeit in der sog. zweiten Welle Ende 2020 könne die Argumentation des BGH nicht mehr anwendbar sein, da etwa die "Lage" als Teil von § 536 BGB wegen der nunmehr ortsgebundenen Schließungen wieder relevant geworden sei. Auch bedeute die Abkehr von der 50:50-Regelung in der Praxis einen erheblichen Arbeitsaufwand, ohne dass zwingend gerechtere Ergebnisse erzielt werden könnten. Katja Gelinsky (FAZ) begrüßt, dass auch die Interessen der Vermieter:innen Berücksichtigung fänden. Wolfgang Janisch (SZ) stellt demgegenüber positiv heraus, dass auch Eigentümer:innen von gewerblichen Immobilien einen Teil der pandemiebedingten Risiken zu tragen haben.

0

Kommentar hinzufügen