Hamburger Kriminologie-Master vor dem Aus?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 27.01.2022
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Der heutige Beitrag ist nicht primär ein strafrechtlicher, betrifft aber mit der sozialwissenschaftlich orientierten Kriminologie ein Fach, das (auch) die strafrechtliche Reaktion der Gesellschaft auf Straftatenbegehung untersucht. Seit fast 40 Jahren besteht in Hamburg die Möglichkeit, Kriminologie mit primär sozialwissenschaftlicher Perspektive zu studieren, zunächst als "Aufbaustudiengang" firmierend, bis jetzt als Masterstudiengang Internationale Kriminologie (MAIK). Möglicherweise aus strukturellen universitätsstrategischen Erwägungen, zudem mit der Begründung, es fehle an geeignetem Lehrpersonal, steht dieser - bei Student-inn-en  beliebte Studiengang seit Neuestem vor dem "Aus", wie die Tageszeitung (Nord) und das Hamburger Abendblatt (zahlungspflichtig)  berichten.

Einige Kollegen haben eine Stellungnahme formuliert, die derzeit Verbreitung findet, und um Unterstützung der Fachwelt gebeten. 

Auszüge:

Wir haben überrascht und mit Entsetzen von der drohenden Abschaffung des Studiengangs Internationale Kriminologie an der Universität Hamburg erfahren. Ein solcher Schritt darf nicht unkommentiert bleiben. Sollte es dazu kommen, gäbe die Universität Hamburg einen auf diesem Gebiet in Deutschland einmaligen Studiengang auf und ließe damit ein ganzes Feld kritischer Forschung und Ausbildung ins Leere laufen. (...)
Die sich abzeichnende Entscheidung ist vor dem Hintergrund der Entwicklung, die vor rund 40 Jahren begann, nicht zu erwarten gewesen. Mittelfristig wäre dies das Aus für eine institutionelle kritische Kriminologie in Deutschland überhaupt.  (...)

Selbstverständlich gehören Studiengänge mitunter auf den Prüfstand. Bei anhaltend starker Nachfrage von Seiten der Studierenden wie einer ungebrochenen gesellschaftlichen Relevanz stellt sich allerdings die Frage, ob es hier nicht auch an dem Willen mangelt, Kriminologie weiterhin als Teil der Sozialwissenschaften zu verankern und mit entsprechenden Ressourcen auszustatten.  Wir ersuchen die Universität und ihre Gremien dringend, diese Entscheidung zu überdenken und mit den verantwortlichen Hochschullehrer:innen, betroffenen Wissenschaftler:innen und Studierenden Möglichkeiten zu suchen, den Studiengang auch in Zukunft weiterzuführen. Auch nach 2022 sollen junge Menschen die Chance haben, ihre Ausbildung in dieser sozialwissenschaftlichen Perspektive in einem Master weiterzuführen.

Ich kann mich in der Zielsetzung diesem Aufruf vorbehaltlos anschließen. Irritierend fand ich allerdings eine Formulierung im Text des Aufrufs, mit der der seit 2013 bestehende und (bei aller Bescheidenheit gesagt) auch florierende Regensburger Masterstudiengang Kriminologie und Gewaltforschung nicht nur nicht erwähnt wird, sondern sogar als nicht-existent dargestellt wird, Zitat:

"Dann würde Kriminologie lediglich als ein Nebenfach in
juristischen Studiengängen oder an Polizeiakademien vertreten sein – und
somit auch nur ein eingeschränkter Zugang zu diesen Inhalten bestehen."

Der von meiner Universität angebotene und von meiner Fakultät federführend organisierte Masterstudiengang Kriminologie und Gewaltforschung ist keineswegs ein bloßes "Nebenfach für Juristen". Im Gegenteil: Die Studierenden haben mehrheitlich keinen juristischen Hintergrund und die explizit rechtswissenschaftlichen Anteile am Studiengang sind eher gering. Die Forschungsgegenstände der Kriminologie und Gewaltforschung werden sehr interdisziplinär betrachtet, aber zu einem größeren Teil auch gesellschaftswissenschaftlich.
(Nebenbei: Auch der Weiterbildungs-Masterstudiengang der Ruhr-Uni Bochum ist übrigens kein Angebot einer "Polizeiakademie")

Abgesehen von diesem Punkt: Bei aller Konkurrenz um die "besten" Student-inn-en, hielte ich es nicht nur für sehr bedauerlich, sondern  für ein ganz schlechtes Signal für die Kriminologie in Deutschland, wenn der Hamburger Studiengang tatsächlich eingestellt würde.

Update (2.2.22): Im Aufruf wurde jetzt die kritisierte Passage mit einer Erwähnung der Studiengänge in Regensburg und Bochum ergänzt. Es haben (Stand heute) fast 300 Kriminolog-inn-en und andere Sozialwissenschaftler-inn-en unterzeichnet. Er trägt jetzt die Überschrift:

Stellungnahme der kriminologischen Fachöffentlichkeit zur drohenden Abschaffung des Master-Studiengangs Internationale Kriminologie an der Universität Hamburg (Link zu Criminologia)
 

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Im Aufruf wurde jetzt die kritisierte Passage mit einer Erwähnung der Studiengänge in Regensburg und Bochum ergänzt. Es haben (Stand heute) fast 300 Kriminolog-inn-en und andere Sozialwissenschaftler-inn-en unterzeichnet. Er trägt jetzt die Überschrift: Stellungnahme der kriminologischen Fachöffentlichkeit zur drohenden Abschaffung des Master-Studiengangs Internationale Kriminologie an der Universität Hamburg (Link zu Criminologia)

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