​Neue Fachzeitschrift Klima und Recht: "Klimaschutz gewinnt an rechtlicher Relevanz"

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 01.02.2022
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Neues Jahr, neue Fachzeitschrift: C.H.BECK startet in Kooperation mit dem Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM) die Zeitschrift "Klima und Recht" (KlimR). Welche Lücke wird das neue Angebot schließen? Welche Entwicklungen im Klimarecht sind derzeit besonders spannend? Und steht uns ein Jahrzehnt der Klimaklagen bevor? Ein Gespräch mit den Schriftleitern der Klima und Recht: Prof. Dr. Michael Rodi und Dr. Simon Schäfer-Stradowksy.

Der Klimawandel beschäftigt immer häufiger auch die Gerichte. Beispielhaft sei die für viele spektakuläre Entscheidung des BVerfG vom März 2021 (BVerfG NJW 2021, 1723) genannt. Was ist Ihre zentrale Lehre aus der Entscheidung?

Prof. Dr. Michael Rodi: „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat gleich mehrere Dinge deutlich gemacht. Ganz grundlegend: Das im Pariser Übereinkommen vereinbarte Temperaturziel und das daraus ableitbare CO2-Restbudget sind ein verfassungsrechtlicher Maßstab für staatliches Handeln. Daraus ergibt sich auch eine Verantwortung für kommende Generationen, denn nur wenn wir rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, lassen sich künftige Grundrechtsbeeinträchtigungen verhindern. Das Bundesverfassungsgericht hat dem verfassungsrechtlichen Klimaschutz außerdem eine internationale Dimension verliehen: Deutschland kann sich von seiner Pflicht zum Klimaschutz nicht mit Verweis auf die Emissionen anderer Staaten befreien.“

Dr. Simon Schäfer-Stradowsky: „Enttäuschend ist, dass vom Gericht die gesamte Spanne von 'deutlich unter 2°C‘ und ‚möglichst 1,5°C‘ als normativer Maßstab für die Klimaschutzanstrengungen angesetzt wurde. Dieser Spielraum ist zu groß. Denn schon geringe Abweichungen vom 1,5°C-Ziel können erhebliche grundrechtsrelevante Auswirkungen haben. Aus unserer Sicht muss die Bundesregierung sich deshalb unbedingt zum strengeren Temperaturziel verpflichten und dafür sowohl national als auch international eintreten.“

Sind wir am Beginn eines Jahrzehnts der Klimaklagen?

Schäfer-Stradowsky: „Schon jetzt spüren wir die ersten Auswirkungen des Klimawandels. Und das aktuelle Jahrzehnt bietet uns letztmalig die Chance, die Klimaveränderungen geordnet sowie ohne den massiven Einsatz unsicherer und bislang unerprobter Negativemissionstechnologien zu begrenzen. Aktivistinnen und Aktivisten sowie Verbände sehen vor diesem enormen Handlungsdruck Klagen als letzte Chance für ihre Anliegen – und haben damit offensichtlich Erfolg.“

Rodi: „Dennoch können Klagen auf die notwendige Transformation der Politik und Gesellschaft nur korrigierend einwirken. Sie ersetzen keine Politik und auch keinen wissenschaftlichen Diskurs. Wenn wir wirklich ein Jahrzehnt der Klimaklagen erleben würden, wäre das ein Symptom für staatliches Versagen. Ich hoffe, dass die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger die Klimaklagen stattdessen zum Anlass für eine vorausschauende Klimapolitik nehmen.“

Auf welche Anspruchsgrundlagen stützen sich Klimaklagen?

Rodi: „Neben ungeschriebenen Sorgfaltspflichten, einer ‚due diligence‘, vorrangig auf Grund- und Menschenrechte. Bei Letzterem geht es entweder um den Schutz vor den Auswirkungen des globalen Klimawandels, insbesondere in katastrophaler und apokalyptischer Form, oder aber um Freiheitssicherung beziehungsweise Freiheitsvoraussetzung. Nur sehr vereinzelt spielen Rechte von Kollektiven oder gar der Natur selbst eine Rolle.“

Prof. Dr. Gerhard Wagner, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Ökonomik an der Humboldt-Universität zu Berlin, schrieb kürzlich in der NJW: Es sei zu bezweifeln, „dass Maßnahmen gegen einzelne Akteure, wie sie durch die Gerichte gegen den jeweils eigenen Staat oder gegen Unternehmen angeordnet werden können, dem Klimaschutz wirklich nützen“. Wie schätzen Sie das ein?

Rodi: „Die viel besagte Weltrettung per Gerichtsbeschluss gibt es in der Tat nicht. Aber man kann sich einer solchen nähern, wenn man von einer Weltrettung durch eine Vielzahl von Gerichtsbeschlüssen ausginge. Natürlich entscheiden Gerichte weiterhin im Einzelfall. Die Klimaklagen haben aber aufgezeigt, dass mit ihnen auch eine abstrakt-generelle Wirkung einhergeht. So hilft der Schutz der Freiheitssicherung allen Betroffenen, nicht nur den Klägerinnen und Klägern. Zudem sind die Entscheidungen in Klimaklagen schon lange nicht mehr für sich allein zu betrachten – es sind zahlreiche Verweise auf andere, auch internationale Verfahren zu beobachten. Und es werden Argumentationsmuster vergleichbarer Entscheidungen übernommen. Klimaklagen sind so Teil einer netzwerkartigen Struktur. Das Thema sollte also im globalen Kontext und in der Gesamtschau aller einschlägigen Klagen betrachtet werden. Dann können Klimaklagen durchaus eine Wirkkraft entwickeln – die Umsetzung muss jedoch außerhalb der Gerichte erfolgen.“

Kommen wir konkret zur neuen Fachzeitschrift Klima und Recht (KlimR) [zum kostenlosen Probeabo]. Welche Informationslücke soll die Zeitschrift schließen?

Schäfer-Stradowsky: „In den vergangenen Jahren wurden auf nationaler und europäischer Ebene mehrere verbindliche Klimagesetze verabschiedet. Klimaschutz gewinnt damit zunehmend an rechtlicher Relevanz. Das zeigt sich auch in zahlreichen Publikationen zum Klimaschutzrecht, also den Regelungen zur Reduzierung oder Vermeidung von Treibhausgasen. Das ist aber nur ein Aspekt. Auch die Folgen des Klimawandels und die notwendigen Anpassungsmaßnahmen beschäftigen Politik und Gerichte immer häufiger – unter anderem in den eben besprochenen Klimaklagen. Dieser Entwicklung wollen wir mit  einer Zeitschrift zur ganzen Breite des neuen Rechtsgebiets Klimarecht Rechnung tragen.“

Welche Themen können die Leserinnen und Leser in den kommenden Ausgaben erwarten?

Rodi: „In unserer ersten Ausgabe zeigen wir die Vielfältigkeit des Klimarechts auf. Denn das Spannende an diesem Rechtsgebiet ist, dass es einerseits um konkrete Maßnahmen und Instrumente geht und das Klimarecht anderseits eine komplexe – und bisher kaum definierte – Rolle in der Rechtsordnung einnimmt. Deshalb haben wir in der ersten Ausgabe unter anderem Beiträge zu den Entwicklungen des Klima-Jahrs 2021, zum Baugesetzbuch, zu Klimaklagen und zur Einordnung des Klimarechts im Mehrebenensystem. Diese thematische Breite wird sich auch durch künftige Ausgaben der Klima und Recht ziehen. In den nächsten Monaten werden wir unter anderem Schwerpunkte bei der Sektorenkopplung und beim Themenkomplex Klimafinanzierung setzen. Außerdem wollen wir uns mit den Auswirkungen des Klimarechts auf Welthandel und auf die Menschenrechte beschäftigen.“

Für welche Zielgruppe ist die Zeitschrift konzipiert?

Schäfer-Stradowsky: „Die Klima und Recht richtet sich an alle, die sich mit Klimarecht beschäftigen oder sich für das Thema interessieren. Im Kern werden die Fachaufsätze und Beiträge zur Rechtsprechung vor allem für ein juristisches Fachpublikum interessant sein. Doch auch Nicht-Juristen werden auf ihre Kosten kommen. Für sie bieten wir mit Meinungsartikeln und Praxisberichten neue Perspektiven und rechtliche Einordnungen zu den praktischen Herausforderungen beim Klimaschutz.“

Werfen wir zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft. Wir schreiben das Jahr 2032. Die KlimR feiert dann 10-jähriges Bestehen. Welche Überschrift wird ein resümierender Beitrag zum Klimaschutzrecht der 2020er-Jahre haben?

Rodi: „Zurückblickend werden wir vermutlich ‚Das Jahrzehnt des ernsthaften Einstiegs in den Klimaschutz‘ betrachten, denn genau diesen erleben wir gerade mit den neuen Klimagesetzen und Klimaklagen. Von jetzt an gibt es kein Zurück mehr!“

Schäfer-Stradowsky: „Das sehe ich ganz genau so, und würde deshalb den Titel ‚Das Jahrzehnt des fossilen Ausstiegs‘ in den Ring werfen. Denn uns allen muss klar sein: Klimaschutz ist nur umsetzbar, wenn uns der schnelle und vollständige Umstieg auf erneuerbare Energiequellen gelingt.“

Jetzt die Klima und Recht kostenlos kennenlernen - inklusive Online-Zugang. 

(Interview von Tobias Fülbeck)

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