BAG zur Lösung vom Aufhebungsvertrag - Gebot fairen Verhandelns

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 07.03.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2437 Aufrufe

Eine gerade als Pressemitteilung veröffentlichte Entscheidung des BAG (24. Februar 2022 – 6 AZR 333/21 – PM 8/22) befasst sich erneut mit der Frage, ob, auf welchem Wege und unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer sich nachträglich von einem abgeschlossenen Aufhebungsvertrag lösen kann. Im Grunde genommen handelt es sich um eine Schutzlücke, die m.E. de lege ferenda durch die Einführung eines Widerrufsrechts geschlossen werden sollte. Es ist bedauerlich, dass die Ampelkoalition diese Problematik im Koalitionsvertrag nicht in den Blick genommen hat.

Das BAG versucht seit einer vor gut drei Jahren ergangenen Entscheidung (7.2.2019 – 6 AZR 75/18, NZA 2019, 688) mit einer fragwürdigen Konstruktion zu helfen. Das Erfurter Gericht knüpft an ein Gebot fairen Verhandelns an, das als Nebenpflicht aus dem Arbeitsvertrag folge. Diese Pflicht werde verletzt, wenn eine Seite eine psychische Drucksituation schaffe, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners deutlich erschwere. Der Arbeitgeber habe dann Schadensersatz zu leisten. Er müsse den Zustand herstellen, der ohne die Pflichtverletzung bestünde (sog. Naturalrestitution, § 249 I BGB). Der Arbeitnehmer sei dann so zu stellen, als hätte er den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Dies würde zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses führen.

In der Literatur ist diese Konstruktion verbreitet auf Kritik gestoßen (statt vieler Fischinger, NZA 2019, 729). Vor allem wird bemängelt, dass das ausgefeilte normative System der Vertragskontrolle durch das vom BAG postulierte Gebot fairen Verhandelns unterminiert zu werden droht. Insbesondere sei die Gefahr groß, dass dieses Gebot zu einer „light-version“ vor allem der §§ 104 ff., 119 ff., 138 BGB mutiert. Die Gefahr, dass dieses Gebot als Reuerecht instrumentalisiert werden wird, offenbart eine Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern (19.5.2020 – 5 Sa 173/19, NZA-RR 2020, 520). Das LAG Hamm (17.5.2021 – 18 Sa 1124/20, NZA-RR 2021, 531) als Vorinstanz zur vorliegenden BAG-Entscheidung hatte demgegenüber eine restriktivere Linie eingeschlagen, die das BAG jetzt erfreulicherweise bestätigt hat.

Zu entscheiden war über folgenden Sachverhalt: Am 22. November 2019 führten der Geschäftsführer und der spätere Prozessbevollmächtigte der Beklagten, der sich als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht vorstellte, im Büro des Geschäftsführers ein Gespräch mit der als Teamkoordinatorin Verkauf im Bereich Haustechnik beschäftigten Klägerin. Sie erhoben gegenüber der Klägerin den Vorwurf, diese habe unberechtigt Einkaufspreise in der EDV der Beklagten abgeändert bzw. reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzuspiegeln. Die Klägerin unterzeichnete nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, den von der Beklagten vorbereiteten Aufhebungsvertrag. Dieser sah u.a. eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2019 vor. Die weiteren Einzelheiten des Gesprächsverlaufs sind streitig geblieben. Die Klägerin focht den Aufhebungsvertrag mit Erklärung vom 29. November 2019 wegen widerrechtlicher Drohung an. Mit ihrer Klage hat die Klägerin ua. den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 30. November 2019 hinaus geltend gemacht. Sie hat behauptet, ihr sei für den Fall der Nichtunterzeichnung des Aufhebungsvertrags die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung sowie die Erstattung einer Strafanzeige in Aussicht gestellt worden. Ihrer Bitte, eine längere Bedenkzeit zu erhalten und Rechtsrat einholen zu können, sei nicht entsprochen worden. Damit habe die Beklagte gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen.

Das BAG hält – wie bereits die Vorinstanz – die Klage für unbegründet. Auch wenn der von der Klägerin geschilderte Gesprächsverlauf zu ihren Gunsten unterstellt werde, fehle es an der Widerrechtlichkeit der behaupteten Drohung. Ein verständiger Arbeitgeber durfte im vorliegenden Fall sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen. Auch sei die Schlussfolgerung der Vorinstanz nicht zu beanstanden, dass die Beklagte nicht unfair verhandelt und dadurch gegen ihre Pflichten aus § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB verstoßen habe. Allein der Umstand, dass der Arbeitgeber den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme seines Angebots abhängig mache, stelle für sich genommen keine Pflichtverletzung gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB dar, auch wenn dies dazu führe, dass dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit verbleibe noch der Arbeitnehmer erbetenen Rechtsrat einholen könne.

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