Schlussanträge zum Verfall von Urlaubsansprüchen bei Langzeiterkrankten

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 21.03.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|3165 Aufrufe

Die Urlaubsansprüche langzeiterkrankter Arbeitnehmer beschäftigen auf Vorlage des BAG erneut den EuGH. Nunmehr liegen die Schlussanträge des Generalanwalts Jean Richard de la Tour vor (Schlussanträge v. 17.3.2022 - C-518/20; C-727/20) vor. Aus ihnen geht hervor, dass der Arbeitgeber seinen Teil dazu beitragen muss, damit Urlaub gestrichen werden kann. So müsse er den Arbeitnehmer etwa auf entsprechende Fristen hinweisen.

Das BAG hat zwei Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, in denen Mitarbeiter von Fraport bzw. des St. Vincenz-Krankenhauses Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub für das Urlaubsjahr geltend machen, in dem sie aufgrund einer Krankheit voll erwerbsgemindert bzw. arbeitsunfähig wurden. In dem einen Fall klagte ein Mitarbeiter, weil er meinte, sein Arbeitgeber schulde ihm für das Jahr 2014 noch 34 Arbeitstage Urlaub, die er aus gesundheitlichen Gründen nicht hatte nehmen können. Der Arbeitgeber argumentiert, der nicht genommene Urlaub sei nach Ablauf des Übertragungszeitraums im Jahr 2016 erloschen. Im zweiten Fall war eine Mitarbeiterin im Jahr 2017 arbeitsunfähig geworden. Sie hatte ihren gesetzlichen Urlaub für 2017 nicht vollständig in Anspruch genommen. Der Arbeitgeber hatte sie weder aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen könne.

Das BAG möchte vom EuGH wissen, ob das Unionsrecht in Gestalt der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88 einer nationalen Regelung entgegensteht, aus der sich ergibt, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer in dem Urlaubsjahr erworben hat, in dem eine volle Erwerbsminderung oder eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Krankheit eingetreten ist, die seitdem fortbesteht, nach Ablauf eines nach innerstaatlichem Recht zulässigen Übertragungszeitraums erlöschen kann, auch wenn diesem Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber nicht die Möglichkeit gegeben wurde, diesen Anspruch während der tatsächlichen Arbeitszeit wahrzunehmen, bevor die volle Erwerbsminderung bzw. die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eintrat.

Generalanwalt Richard de la Tour vertritt in seinen Schlussanträgen von heute die Ansicht, dass die Richtlinie 2003/88 und die Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub, der in einem Bezugszeitraum erworben wurde, in dem eine volle Erwerbsminderung oder eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit eingetreten ist, erlöschen kann, sei es nach Ablauf eines nach nationalem Recht zulässigen Übertragungszeitraums oder zu einem späteren Zeitpunkt, obwohl sein Arbeitgeber ihn nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch vor Beginn dieser vollen Erwerbsminderung oder dieser Arbeitsunfähigkeit wahrzunehmen. Seine Antwort lautet: „Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub, der in einem Bezugszeitraum erworben wurde, in dem eine volle Erwerbsminderung oder eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer seitdem fortbestehenden Krankheit eingetreten ist, erlöschen kann, sei es nach Ablauf eines nach nationalem Recht zulässigen Übertragungszeitraums oder zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sein Arbeitgeber ihn nicht rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch vor Beginn dieser vollen Erwerbsminderung oder dieser Arbeitsunfähigkeit wahrzunehmen.“

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