§ 32d S. 2 StPO gilt im OWiG zwar für Rechtsbeschwerde, aber nicht für den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid (vielleicht)

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.04.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht2|3651 Aufrufe

Im Rahmen der letzten Arbeiten zur Neuauflage des OWiG-Kommentars "Krenberger/Krumm" ist uns eine Entscheidung des AG Hameln zugesandt worden, die wir dann auch gleich noch in die Fahnen eingepflegt haben. Es geht um desn seit 1.1.22 geltenden § 32d StPO:

§ 32d
Pflicht zur elektronischen Übermittlung
Verteidiger und Rechtsanwälte sollen den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument übermitteln. Die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage müssen sie als elektronisches Dokument übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, ist die Übermittlung in Papierform zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.

 

Das AG Hameln hatte sich mit der Frage zu befassen: Wie ist das aber mit dem Einspruch? Gilt die Vorschrift auch dort? Offen gesagt, hatte ich mir bis dahin noch keine Gedanken dazu gemacht. Und ich habe noch keine abschließende Meinung. Aber ich tendiere derzeit zur Rechtsprechung des AG Hameln, dass den Einspruch nach bislang geltenden Regeln behandelt:

wird auf Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung vom 24.01.2022 der Verwerfungsbescheid des Landkreises H.-P. vom 12.01.2022 auf Kosten der Landeskasse aufgehoben.

 Gründe: 

 I.

 Der Betroffene hat durch seinen Verteidiger gegen den am 04.01.2022 zugestellten Bußgeldbescheid am selben Tag Einspruch eingelegt. Diesen, per Telefax eingelegten Einspruch hat die Verwaltungsbehörde mit Bescheid vom 18.01.2022 als unzulässig verworfen, da sie die Ansicht vertritt, diese Verfahrenshandlung bedürfe seit dem 01.01.2022 der Übermittlung per elektronischem Dokument. Auf Anhörung vom 07.02.2022 teilt die Verwaltungsbehörde am 10.02.2022 mit, dass sie den nachvollziehbaren Ausführungen des Gerichts nicht entgegentrete.

 II.

 Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat in der Sache Erfolg.

 Die Einspruchseinlegung gegen einen Bußgeldbescheid per Telefax widerspricht nicht der gesetzlichen Form, insbesondere nicht der nach § 110 c S. 1 OWiG i.V.m. § 32 d S. 2 StPO vorgeschrieben Übermittlung per elektronischem Dokument.

 Gem. § 32 d S. 2 StPO haben Verteidiger und Rechtsanwälte seit dem 01.01.2022 „die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage“ als elektronisches Dokument zu übermitteln. § 110 c S. 1 OWiG erklärt diese Vorschrift für das Bußgeldverfahren entsprechend anwendbar.

 Der Umfang der entsprechenden Anwendung ist - soweit ersichtlich - obergerichtlich noch nicht entschieden.

 In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass sich die entsprechende Anwendung des § 32 d S. 2 StPO unter Berücksichtigung des § 110 a IV OWiG im Bußgeldverfahren auf den Einspruch und seine Begründung sowie die Rechtsbeschwerde und ihre Begründung erstreckt (Krenberger/Krumm, 6. Aufl. 2020, OWiG § 110 c Rn. 13, BeckOK StVR/Krenberger, 13. Ed. 15.10.2021, OWiG, § 110 c Rn. 13). Diese Auslegung entspräche auch der grundsätzlich vom Gesetzgeber intendierten strengen Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs, die für solche schriftlichen Erklärungen bestehen soll, bei denen es - wie hier im Falle der Einspruchseinlegung - ausgeschlossen ist, dass sie in einer besonders eilbedürftigen Situation, in der zudem die für eine elektronische Kommunikation erforderliche Infrastruktur fehlen kann, abzugeben sind (BT-Drs. 18/9416, 50 f.).

 Dieser extensiven Auslegung des § 110 c S. 1 OWiG kann jedoch nicht gefolgt werden, da sie mit der Systematik und dem Wortlaut des § 32 d S. 2 StPO unvereinbar ist.

 § 32 d S. 2 StPO beinhaltet eine abschließende Aufzählung von zwingend formbedürftigen Verfahrenshandlungen, die den „Einspruch und die Einspruchsbegründung“ ausdrücklich auslassen und damit insoweit auch keine zwingende Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs vorsehen.

 Der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid aus dem Ordnungswidrigkeitengesetz (§ 67 OWiG) entspricht in der Strafprozessordnung dem Einspruch gegen den Strafbefehl (§ 410 StPO), der jedoch in § 32 d S. 2 StPO nicht genannt ist. Vielmehr werden dort lediglich (bestimmte) Rechtsmittel aus dem 3. Buch sowie (bestimmte) Beteiligungsrechte aus dem 5. Buch der StPO genannt. Die der Berufung bzw. Revision entsprechenden Rechtsmittel im Ordnungswidrigkeitengesetz sind jedoch im fünften Abschnitt unter III. aufgeführt und erfassen lediglich die Rechtsbeschwerde und deren Zulassung (§§ 79, 80 OWiG), nicht hingegen den Einspruch aus § 67 OWiG, der im separaten Unterabschnitt „I. Einspruch“ steht und zudem einen Rechtsbefehl „eigener Art“ darstellt (vgl. Göhler, Kurzkommentar zum Ordnungswidrigkeitengesetz, 18. Auflage 2021, Vorbem. zu § 67 OWiG, Rn. 1).

 Die hier vertretene Auslegung widerspricht auch nicht der Intention des Gesetzgebers, durch zwingend vorgeschriebene Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs einen Medienwechsel herbeiführen zu wollen (BT-Drs. 18/9416, 1). Der Gesetzgeber hat von vornherein die Möglichkeit der obligatorisch elektronisch vorzunehmenden Verfahrenshandlungen in § 32 d S. 2 StPO ausdrücklich auf lediglich einzelne ausgewählte schriftliche Erklärungen beschränkt, obwohl auch andere schriftliche Erklärungen denkbar wären, in denen eine besonders eilbedürftige Situation auszuschließen ist, wie beispielsweise der zweiwöchig mögliche Einspruch gegen einen Strafbefehl (§ 410 I StPO). Dem Gesetzgeber bleibt unbenommen, weitere schriftliche Erklärungen der zwingenden elektronischen Form zu unterwerfen oder die Vorschrift des § 110 c StPO derart zu konkretisieren, dass sie sich auf die Einspruchseinlegung gemäß § 67 OWiG erstreckt.

 III.

 Dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung war daher zu entsprechen.

 Die Kostenentscheidung folgt aus § 62 Abs. 2 Satz 2 OWiG in Verbindung mit §§ 467, 473 StPO. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 62 Abs. 2 Satz 3 OWiG).

AG Hameln Beschl. v. 14.2.2022 – 49 OWi 23/22, BeckRS 2022, 2579 

 

 

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2 Kommentare

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Entscheidung ist richtig. Dass § 32d Satz 2 StPO nicht analog angewandt werden kann, zeigt schon der Satz 1. Demnach "sollen" Schriftsätze elektronisch eingereicht werden. Das Sollen ist kein Müssen. Wenn also der Gesetzgeber in Satz 2 ausdrücklich Dinge aufzählt, kann das nur eine abschließende Aufzählung im Sinne einer Ausnahme zu Satz 1 sein. 
 

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Offen gesagt, hatte ich mir bis dahin noch keine Gedanken dazu gemacht. Und ich habe noch keine abschließende Meinung. Aber ich tendiere derzeit zur Rechtsprechung des AG Hameln, dass den Einspruch nach bislang geltenden Regeln behandelt:

Ich weiss nicht, wer die entsprechende Kommentierung im Krenberger/Krumm verantwortet, aber das AG Tiergarten behauptet in seinem Beschluss vom 05.04.2022 - 310 OWi 161/22, dort würde die gegenteilige Auffassung zu finden sein:

§ 32d StPO normiert eine Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument für bestimmte Verfahrenshandlungen. Durch die entsprechende Anwendung aus § 110c und unter Berücksichtigung des § 110a Abs. 4 muss § 32d StPO im Bußgeldverfahren um den Einspruch und die Einspruchsbegründung, die Rechtsbeschwerde und die Rechtsbeschwerdebegründung ergänzt werden (vgl. Krenberger/Krumm, 6. Aufl. 2020, OWiG § 110c Rn. 13 bei beck online).

Mich überzeugt das Urteil des AG Tiergarten, das die gegenteilige Auffassung zum AG Hameln vertritt, nicht. Bemerkenswert finde ich den dortigen Verweis auf die Gesetzesbegründung:

In der Drucksache 18/9416 vom 17.08.2016 - Seite 36 -
ist niedergelegt, dass durch die Vorschriften des neuen Gesetzes zur
Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte in Straf- und Bußgeldsachen zur elektronischen
Übermittlung
von Dokumenten an Gerichte und Strafverfolgungsbehörden
verpflichtet werden - sofern es keine Ausnahmeregelung in bestimmten
Fällen gibt
(wie zuvor in Bezug auf § 335 HGB aufgezeigt).

Tatsächlich findet sich in der BT-Drucks 18/9416 vom 17.08.2016 - Seite 36, der Satz:

Durch die
Vorschriften des Gesetzes werden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in
Straf- und Bußgeldsachen in bestimmten Fällen zur elektronischen
Übermittlung von Dokumenten an Gerichte und Strafverfolgungsbehörden
verpflichtet.

 Als Bestätigung der Auffassung des AG Tiergarten kann die Gesetzesbegründung daher m.E. gerade nicht herhalten.

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