BVerfG: Auch bei belastender Kostenentscheidung im Rahmen des § 154 StPO bedarf es rechtlichen Gehörs

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 24.04.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2545 Aufrufe

Auch wenn die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers keinen Erfolg hatte, hat das BVerfG einmal wieder klar gestellt, dass rechtliches Gehör nicht einfach "geschlabbert" werden darf und zwar auch nicht im Rahmen des ja sonst für den Beschuldigten nicht "aufhaltbaren" § 154 StPO. Diese Norm lautet:

§ 154 Teileinstellung bei mehreren Taten (1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,   1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder 2. darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint. (2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen. (3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt. (4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden. (5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
  Die Anhörung des Beschuldigten etwa im Rahmen der gerichtlichen Einstellung nach Abs. 2 ist nicht ausdrücklich geregelt, jedoch anerkannt und verfassungsrechtlich notwendig, vor allem wegen der möglicherweise ihn belastenden Kostenentscheidung. Das hat das BVerfG nochmals klargestellt:    

Jedoch bestehen – ungeachtet der in der Verfassungsbeschwerde fehlenden ausdrücklichen oder konkludenten Rüge eines Gehörsverstoßes gemäß Art. 103 Abs. 1 GG – verfassungsrechtliche Bedenken gegen die nicht angegriffene Anhörungsrügeentscheidung des Landgerichts München I vom 6. Juli 2021 – 16 Ns 113 Js 238036/15 (2) -. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 1. Juni 2021 dem Beschwerdeführer ohne vorherige Anhörung im Rahmen der Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO seine notwendigen Auslagen auferlegt. Es erscheint im Hinblick auf die den Beschwerdeführer belastende Auslagenentscheidung verfassungsrechtlich bedenklich, die hiergegen gerichtete Anhörungsrüge des Beschwerdeführers, mit der er insbesondere die Nichtberücksichtigung seines äußerst zeitnah an das Landgericht übersandten Schriftsatzes vom 2. Juni 2021 rügte, allein deswegen zu verwerfen, weil dem Beschwerdeführer bei nicht zustimmungsbedürftigen Einstellungen außerhalb der Hauptverhandlung gemäß § 33 Abs. 1 StPO kein Anspruch auf rechtliches Gehör zustehe.

Diese Begründung legt nahe, dass das Landgericht den Umfang des Gehörsanspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG verkannt hat. Die Vorschriften der §§ 33, 33a StPO beschränken die gebotene Anhörung nicht auf Tatsachen und Beweisergebnisse, sondern erfassen über den Wortlaut der Bestimmungen hinaus jeden Aspekt rechtlichen Gehörs. Dazu gehört im Grundsatz die Gelegenheit, sich vor einer belastenden Entscheidung zur Rechtslage zu äußern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 2 BvR 2436/14 -, Rn. 16; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2018 – 2 BvR 745/18 -, Rn. 57 m.w.N.). Vor einer Auslagenentscheidung ist der Betroffene zu hören, wenn er durch das Auferlegen der eigenen Auslagen oder der Auslagen des Nebenklägers beschwert wird (vgl. VerfG des Landes Brandenburg, Beschluss vom 22. März 2019 – 1/18 -, juris, Rn. 12 m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. März 2004 – 4 Ws 65/04 -, juris, Rn. 8; OLG Oldenburg, Beschluss vom 2. Juli 2010 – 1 Ws 296/10 -, juris, Rn. 4; OLG Dresden, Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 2 Ws 457/14 u.a. -, juris, Rn. 10).

   
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