BAG zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 10.05.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1522 Aufrufe

Seit dem sog. Stechuhr-Urteil des EuGH (14.5.2019 – C-55/18 – [CCOO], NZA 2019, 683) wird intensiv über die Konsequenzen für das deutsche Arbeitsrecht diskutiert. Der EuGH hat bekanntlich entschieden, dass die Mitgliedstaaten ein System einrichten müssen, „mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“. Der EuGH stellte weiterhin fest, dass es sich um die „Einrichtung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“ handele. Nur damit, so der EuGH, könne das „Recht eines jeden Arbeitnehmers auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten“ gewährleistet werden. Umstritten ist insbesondere, ob sich hieraus unmittelbare Rechtswirkungen auf das nationale Recht ergeben oder ob lediglich die Mitgliedstaaten als solche in die Pflicht genommen werden.

Eine Konsequenz könnte sich im Bereich der Überstundenvergütung ergeben. Im jetzt vom BAG (4. Mai 2022 – 5 AZR 359/21, PM 16/2022) entschiedenen Fall ging es um einen Auslieferungsfahrer, der bei einem Einzelhandelsunternehmen betreibt, beschäftigt war. Seine Arbeitszeit erfasste der Kläger mittels technischer Zeitaufzeichnung, wobei nur Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, nicht jedoch die Pausenzeiten aufgezeichnet wurden. Zum Ende des Arbeitsverhältnisses ergab die Auswertung der Zeitaufzeichnungen einen positiven Saldo von 348 Stunden zugunsten des Klägers. Mit seiner Klage hat der Kläger Überstundenvergütung in Höhe von 5.222,67 Euro brutto verlangt. Er hat geltend gemacht, er habe die gesamte aufgezeichnete Zeit gearbeitet. Pausen zu nehmen sei nicht möglich gewesen, weil sonst die Auslieferungsaufträge nicht hätten abgearbeitet werden können. Die Beklagte hat dies bestritten.

Das Arbeitsgericht Emden hatte der Klage stattgegeben. Es hat gemeint, durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 14.5.2019 – C-55/18 – [CCOO], NZA 2019, 683) wonach die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches Arbeitszeiterfassungssystem einzuführen, werde die Darlegungslast im Überstundenvergütungsprozess modifiziert. Die positive Kenntnis von Überstunden als eine Voraussetzung für deren arbeitgeberseitige Veranlassung sei jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn der Arbeitgeber sich die Kenntnis durch Einführung, Überwachung und Kontrolle der Arbeitszeiterfassung hätte verschaffen können. Ausreichend für eine schlüssige Begründung der Klage sei, die Zahl der geleisteten Überstunden vorzutragen. Da die Beklagte ihrerseits nicht hinreichend konkret die Inanspruchnahme von Pausenzeiten durch den Kläger dargelegt habe, sei die Klage begründet.

Beim BAG hatte die Klage – ebenso wie schon beim LAG Niedersachsen – keinen Erfolg.  Das BAG vertritt die Auffassung, dass vom Erfordernis der Darlegung der arbeitgeberseitigen Veranlassung und Zurechnung von Überstunden durch den Arbeitnehmer auch nicht vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH abzurücken sei. Diese sei zur Auslegung und Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und von Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergangen. Nach gesicherter Rechtsprechung des EuGH beschränkten sich diese Bestimmungen darauf, Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Sie fänden indes grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer. Die unionsrechtlich begründete Pflicht zur Messung der täglichen Arbeitszeit habe deshalb keine Auswirkung auf die nach deutschem materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess. Hiervon ausgehend habe das Landesarbeitsgericht zutreffend angenommen, der Kläger habe nicht hinreichend konkret dargelegt, dass es erforderlich gewesen sei, ohne Pausenzeiten durchzuarbeiten, um die Auslieferungsfahrten zu erledigen. Die bloße pauschale Behauptung ohne nähere Beschreibung des Umfangs der Arbeiten genügt hierfür nicht.

Es bleibt also dabei: Der Arbeitnehmer hat zur Begründung einer Klage auf Vergütung geleisteter Überstunden – kurz zusammengefasst – erstens darzulegen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden Umfang geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers hierzu bereitgehalten hat. Da der Arbeitgeber Vergütung nur für von ihm veranlasste Überstunden zahlen muss, hat der Arbeitnehmer zweitens vorzutragen, dass der Arbeitgeber die geleisteten Überstunden ausdrücklich oder konkludent angeordnet, geduldet oder nachträglich gebilligt hat.

 

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