EuGH-Generalanwalt: Bestandsschutz für Gewerkschaftsvertreter beim SE-Formwechsel

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 17.05.2022

Der EuGH-Generalanwalt hat sich in Schlussanträgen vom 28. April 2022 (C-677/20; BeckRS 2022, 8902) dafür ausgesprochen, im Rahmen einer SE-Formwechselgründung nicht nur den Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, sondern auch den der Gewerkschaftsvertreter auf Arbeitnehmerseite unter Bestandsschutz zu stellen.

BAG: Umsetzungsgesetz zur SE-Richtlinie schützt auch Gewerkschaftsvertreter

Gegenstand der Anträge ist eine vom Bundesarbeitsgericht (BAG) per Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV vorgelegte Frage zur Auslegung von § 21 Abs. 6 SEBG. Nach der Vorschrift muss in einer beim SE-Formwechsel abgeschlossenen Beteiligungsvereinbarung „in Bezug auf alle Komponenten der Arbeitnehmerbeteiligung zumindest das gleiche Ausmaß [wie in der Gründungsgesellschaft] gewährleistet werden.“ In seinem Vorlagebeschluss vom 18. August 2020 (1 ABR 43/18 (A); hierzu der Beitrag von Achim Kirchfeld vom 28. November 2020) vertrat das BAG die Auffassung, dass sich dieser Bestandsschutz in paritätisch mitbestimmten deutschen Gründungsgesellschaften nicht nur auf den 50%-Anteil der Arbeitnehmervertreter im Gesamtaufsichtsrat bezieht, sondern auch auf den gesetzlichen Anteil der Gewerkschaftsvertreter unter den Arbeitnehmervertretern gemäß § 7 Abs. 2 MitbestG. Dem EuGH legte das BAG die Frage vor, ob diese Auslegung der Vorschrift mit den Vorgaben aus Art. 4 Abs. 4 der SE-Richtlinie 2001/86/EG vereinbar ist. Die Vorschrift ist Rechtsgrundlage von § 21 Abs. 6 SEBG und weitgehend wortgleich gefasst.

Generalanwalt: Bestandsschutz für prägende Verfahrenselemente

Nach Ansicht des Generalanwalts ist die BAG-Auslegung mit den Richtlinienvorgaben vereinbar. Für die Frage, was zu den geschützten „Komponenten“ gehöre, sei auf solche Verfahrenselemente abzustellen, die „Einfluss auf den Gang der Gesellschaft“ hätten und bei denen es sich um ein „prägende[s] Element des Verfahrens der Arbeitnehmerbeteiligung auf nationaler Ebene“ handele. Hierzu gehöre auf deutscher Ebene auch der gesonderte Wahlgang für Gewerkschaftsvertreter.

Den gesonderten Wahlgang, so der Generalanwalt weiter, sollten sämtliche (auch nichtdeutsche) vom Formwechsel betroffene Arbeitnehmer der Gesellschaft in Anspruch nehmen können. Die Beteiligungsvereinbarung könne vorsehen, dass auch andere als deutsche Gewerkschaften einzubeziehen seien, und zu den Gewerkschaftskandidaten könnten auch Kandidaten gehören, die nicht im betroffenen Unternehmen beschäftigt seien.

Bestandsschutz bei grenzüberschreitenden Umwandlungen und Spaltungen?

Die gewählte Auslegung von Art. 4 Abs. 4 der SE-Richtlinie gelte, so der Generalanwalt, auch für die Parallelregelungen zur grenzüberschreitenden Spaltung und Umwandlung in Art. 86l Abs. 2 lit. b und Art. 160l Abs. 2 lit. b der Gesellschaftsrechtsrichtlinie 2017/1132 (die nicht Gegenstand des Verfahrens waren). Diese sollen auf deutscher Ebene bis Ende Januar 2023 durch das UmRUG umgesetzt werden (hierzu der Beitrag von Ulrike Wollenweber vom 28. April 2022).

Abschließend zu entscheiden hat nun der EuGH. Er ist an die Schlussanträge nicht gebunden, folgt ihnen allerdings häufig.

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