Schöffe hat Fahrprüfung: Entbindung war schon ok....oder so

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.05.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|2663 Aufrufe

Ein schöner Fall aus der Praxis: Der Ersatzschöffe meldet sich bei der Geschäftsstelle. "Am Sitzungstag habe ich Fahrprüfung!" Der Vorsitzende lässt ihn daraufhin abladen und einen anderen Ersatzschöffen laden (der genaue Sachverhalt, der dann noch eine Irrtumskonstellation enthält findet sich frei verfügbar HIER beim Bloggerkollegen Burhoff). Der Verteidiger trieb diesen Sachverhalt bis vor das BVerfG. Dieses antwortete recht pragmatisch Eine echte Richtigkeitskontrolle ist in diesen Fällen nicht möglich - vielmehr nur eine Willkürkontrolle. Und: Willkür lag nicht vor! 

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, denn die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt den Verfassungsbeschwerden nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt. Soweit sie sich gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 16. September 2021 richten, sind sie unzulässig (I.). Im Übrigen sind sie unbegründet (II.).

I.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 16. September 2021 richten, sind sie unzulässig.

Die Entscheidung eines Tatgerichts, einem Besetzungseinwand nicht abzuhelfen und das Verfahren nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO dem Rechtsmittelgericht vorzulegen, ist als reines Verfahrensinternum nicht gesondert mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar. Das Tatgericht trifft keine abschließende Entscheidung, sondern setzt – wie bei einer Nichtabhilfeentscheidung im Beschwerdeverfahren nach § 306 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Dezember 2020 - 2 BvR 1787/20 -, Rn. 43) – lediglich den Instanzenzug in Gang. Ein Interesse, dass über die Verfassungsmäßigkeit der Zwischenentscheidung des Landgerichts selbst und nicht erst in Verbindung mit der Überprüfung der den Instanzenzug des § 222b Abs. 3 StPO abschließenden Entscheidung des Oberlandesgerichts erkannt wird, ist hier weder dargetan noch ersichtlich (vgl. BVerfGE 1, 322 <324 f.>; 58, 1 <23>).

II.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 28. Oktober 2021 richten, sind sie zwar zulässig (1.). Allerdings sind sie unbegründet, da den Beschwerdeführern der gesetzliche Richter nicht in einer Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtenden Weise entzogen wurde (2.).

1. Die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts sind zulässig, denn sie stellen den Lebenssachverhalt in einer eine tragfähige verfassungsrechtliche Prüfung ermöglichenden Weise dar und setzen sich mit den dem Verfahren zugrundeliegenden Verfassungsfragen hinreichend substantiiert auseinander. Ferner ist diese Entscheidung gesondert mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar (a). Nach Abschluss des Besetzungsrügeverfahrens steht den Beschwerdeführern zudem ein weiterer Rechtsweg gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht offen, und sie haben auch keine anderweitige Möglichkeit, den behaupteten Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im fachgerichtlichen Verfahren geltend zu machen (b).

a) Durch das am 13. Dezember 2019 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl I S. 2121) wurde für Strafverfahren, die im ersten Rechtszug vor dem Land- oder Oberlandesgericht verhandelt werden, ein spezielles Besetzungsrügeverfahren geschaffen. Wie zuvor gilt: Wird die Gerichtsbesetzung den Regeln des § 222a StPO entsprechend zugestellt, ist ein Verfahrensbeteiligter gehalten, innerhalb einer Woche nach Zustellung die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts zu rügen. Gemäß § 222b Abs. 2 StPO entscheidet das derzeit mit der Sache befasste Gericht über die Besetzungsrüge. Die Begründungs- und Substantiierungserfordernisse für diese Rüge sind nach § 222b Abs. 1 Sätzen 2 und 4 StPO dem Revisionsrecht nachgebildet. Eingeführt wurde mit § 222b Abs. 3 StPO ein Instanzenzug im Verfahren über die Besetzungsrüge. Erachtet sich das derzeit mit der Sache befasste Gericht als zuständig, ist es gehalten, das Verfahren dem jeweiligen Rechtsmittelgericht vorzulegen. Das Rechtsmittelgericht entscheidet dann abschließend über die Besetzungsrüge. Einen weiteren Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts sieht das Strafprozessrecht nicht vor.

Die eingeführten Regelungen zum Instanzenzug im Besetzungsrügeverfahren gehen einher mit einer Beschränkung der Rügemöglichkeiten im Revisionsrecht; § 338 Abs. 1 Nr. 1 StPO wurde ebenfalls neu gefasst. Das Verfahren nach § 222b Abs. 3 StPO soll eine endgültige Klärung des Besetzungseinwandes im fachgerichtlichen Verfahren herbeiführen. § 338 Abs. 1 Nr. 1 StPO enthält nicht nur eine Präklusionsregelung. Ein Verfahrensbeteiligter, der das Vorabentscheidungsverfahren des § 222b Abs. 3 StPO nicht durchführt, kann nach Ablauf der in § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO bestimmten Wochenfrist mit der Besetzungsrüge nicht mehr gehört werden. Für den Fall, dass auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten das Rügeverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO durchgeführt wurde, entzieht § 338 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StPO in der nun geltenden Fassung dem Revisionsgericht darüber hinaus die Möglichkeit, die Ordnungsmäßigkeit der Gerichtsbesetzung zu überprüfen. Helfen weder das Tatgericht noch das Rechtsmittelgericht dem form- und fristgerecht erhobenen Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung ab, ist die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts bindend. Sie steht der Überprüfung des Besetzungseinwands in der Revisionsinstanz entgegen.

Mit der Einführung des Instanzenzugs in § 222b Abs. 3 StPO hat der Gesetzgeber mithin ein selbstständiges Zwischenverfahren geschaffen, in dem abschließend über eine verfassungsrechtlich determinierte Rechtsfrage befunden wird. Die Entscheidung über diese Rechtsfrage kann im weiteren fachgerichtlichen Instanzenzug nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden. In einem solchen Fall ist die Verfassungsbeschwerde gegen die im Zwischenverfahren ergangene Entscheidung zuzulassen (vgl. BVerfGE 1, 322 <325>; 24, 56 <61>; 58, 1 <23>).

b) Die Beschwerdeführer haben der ihr auferlegten Pflicht Genüge getan, über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur des geltend gemachten Verfassungsverstoßes bereits im fachgerichtlichen Verfahren zu erwirken (vgl. BVerfGE 31, 364 <368>; 73, 322 <325>). Insbesondere haben sie die Besetzungsrüge in einer den Vorgaben der § 222b Abs. 1 Sätze 2 und 4, § 345 Abs. 2 StPO genügenden Weise erhoben und zu den von ihnen als wesentlich erachteten Gesichtspunkten ausgeführt. Nach der Durchführung des Verfahrens nach § 222b Abs. 3 StPO bleibt es ihnen überdies verwehrt, die behauptete Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Revisionsverfahren zu rügen. Im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG stellt die Revision damit einen offensichtlich aussichtslosen Rechtsbehelf dar, auf den die Beschwerdeführer vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde nicht verwiesen werden können (vgl. BVerfGE 55, 154 <157>).

2. Die Verfassungsbeschwerden sind allerdings unbegründet, denn die Beschwerdeführer sind nicht in ihrem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.

a) aa) Mit der Garantie des gesetzlichen Richters will Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG der Gefahr vorbeugen, dass die Justiz durch eine Manipulation der rechtsprechenden Organe sachfremden Einflüssen ausgesetzt wird. Es soll vermieden werden, dass durch eine auf den Einzelfall bezogene Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis der Entscheidung – gleichgültig von welcher Seite – beeinflusst werden kann (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 48, 246 <254>; 82, 286 <296>; 95, 322 <327>). Damit sollen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung gewahrt und das Vertrauen der Rechtsuchenden und der Öffentlichkeit in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit der Gerichte gesichert werden (vgl. BVerfGE 4, 412 <416, 418>; 95, 322 <327>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Dezember 2016 - 2 BvR 2023/16 -, Rn. 22; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Februar 2018 - 2 BvR 2675/17 -, Rn. 16).

bb) Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährt einen subjektiven Anspruch auf den gesetzlichen Richter (vgl. BVerfGE 138, 64 <86 Rn. 67>). Durch diese grundrechtsgleiche Gewährleistung wird das Bundesverfassungsgericht jedoch nicht zu einem Kontrollorgan, das jeden einem Gericht unterlaufenden, die Zuständigkeit des Gerichts berührenden Verfahrensfehler korrigieren müsste (vgl. BVerfGE 3, 359 <364 f.>; 7, 327 <329>; 138, 64 <87 Rn. 71>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer der Zweiten Senats vom 16. Februar 2005 - 2 BvR 581/03 -, Rn. 21). Vielmehr beurteilt das Bundesverfassungsgericht die Zuständigkeitsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG als Teil des rechtsstaatlichen Objektivitätsgebots, das auch die Beachtung der Kompetenzregeln fordert, die ihrerseits den oberen Fachgerichten die Kontrolle über die Befolgung der Zuständigkeitsordnung überträgt und auf den Instanzenzug begrenzt. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet deshalb die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind oder die Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt wird (vgl. BVerfGE 9, 223 <230 f.>; 82, 286 <299>; 87, 282 <284 f.>; 131, 268 <312>; 138, 64 <87 Rn. 71>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Februar 2005 - 2 BvR 581/03 -, Rn. 22; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Februar 2018 - 2 BvR 2675/17 -, Rn. 20). Rechtsfehlerhafte – aber nicht willkürliche – Entscheidungen über die Bestimmung des zuständigen Gerichts oder des zuständigen Richters beanstandet das Bundesverfassungsgericht nicht (vgl. BVerfGE 7, 327 <329>; 9, 223 <230 f.>; 131, 268 <312>).

cc) Ob die Entscheidung eines Gerichts auf Willkür, also auf einem Fall grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruht, oder ob sie darauf hindeutet, dass ein Gericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt, kann nur angesichts der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beurteilt werden (vgl. BVerfGE 131, 268 <312>; BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <144>; 15, 102 <105>).

b) Die hier zu beurteilende Verfassungsfrage betrifft die Entbindung eines Schöffen von der Dienstpflicht und damit die Anwendung und Auslegung der § 54 Abs. 1 Satz 2, § 77 Abs. 1 GVG. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht die Entscheidung des Kammervorsitzenden, auch den weiteren Hilfsschöffen von der Dienstpflicht zu entbinden, einer Willkürkontrolle und nicht einer umfassenden Richtigkeitskontrolle unterzogen hat.

aa) Zutreffend ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass die Revisionsgerichte die Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung (§ 338 Nr. 1 StPO) jedenfalls dann einer Willkürkontrolle – und keiner umfassenden Richtigkeitskontrolle – unterziehen, wenn die Entbindung eines Schöffen zur Überprüfung steht (vgl. BGH, Urteil des 5. Strafsenats vom 2. Juni 1981 - 5 StR 175/81 -, BGHSt 30, 149 <152>; Urteil des 2. Strafsenats vom 3. März 1982 - 2 StR 32/82 -, BGHSt 31, 3 <5>; Urteil des 2. Strafsenats vom 5. Oktober 1988 - 2 StR 250/88 -, BGHSt 35, 366 <373>; Urteil des 5. Strafsenats vom 23. Januar 2002 - 5 StR 130/01 -, BGHSt 47, 220 <222>; Urteil des 3. Strafsenats vom 22. November 2013 - 3 StR 162/13 -, BGHSt 59, 75 <79 Rn. 24>; Beschluss des 2. Strafsenats vom 5. August 2021 - 2 StR 307/20 -, juris, Rn. 8).

Diese ständige Rechtsprechung der Revisionsgerichte begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Unabhängig davon, dass die Beschwerdeführer sie ausdrücklich von der verfassungsgerichtlich erhobenen Rüge ausgenommen haben, ist nicht erkennbar, dass diese – die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsregeln betreffende – Rechtsprechung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und damit offensichtlich unhaltbar ist oder die Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>; 87, 282 <284 f.>; 131, 268 <312>; 138, 64 <87 Rn. 71>). Nachvollziehbar stellen die Revisionsgerichte darauf ab, dass sich die Einschränkung der Prüfungsdichte daraus ergebe, dass § 54 Abs. 3 Satz 1 GVG die Entscheidung über die Entbindung des Schöffen für unanfechtbar erklärt und damit nach § 336 Satz 2 StPO der Revision entziehe. Nur in Fällen objektiver Willkür könne es einem Revisionsführer in Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht verwehrt sein, den Entzug des gesetzlichen Richters mit der Revision geltend zu machen (vgl. auch Franke, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 338 Rn. 35).

bb) Soweit das Oberlandesgericht davon ausgegangen ist, dass im Verfahren nach § 222b Abs. 3 StPO der Kontrollmaßstab des Revisionsverfahrens anzusetzen ist, begegnet das ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Diese Einschätzung teilt es nicht nur mit weiteren Oberlandesgerichten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2020 - 2 Ws 36/20 -, juris, Rn. 28 ff.; KG, Beschluss vom 27. April 2020 - 4 Ws 29/20 -, juris, Rn. 6 ff.); sie entspricht auch der Rechtsauffassung in der Kommentarliteratur (vgl. Ritscher, in: BeckOK zur StPO, 41. Edition Stand Oktober 2021, § 222b Rn. 16; Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 222b Rn. 19). Dafür spricht schon, dass der Text des seit dem 13. Dezember 2019 geltenden § 222b StPO in Abs. 1 Sätze 2 und 4 auf das Revisionsverfahren Bezug nimmt. Letztlich ließ das am 13. Dezember 2019 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl I S. 2121) § 54 Abs. 3 Satz 1 GVG unverändert, sodass die – verfassungsrechtlich unbedenkliche – Argumentation, mit der die Revisionsgerichte ihre eingeschränkte Kontrolldichte begründeten, weiterhin greift.

c) Die Willkürprüfung des Oberlandesgerichts ist in der Sache ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht hat mit verfassungsrechtlich tragfähigen Gründen verneint, dass der Kammervorsitzende seinerseits willkürlich gehandelt habe. Es hat sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt; überdies entbehrt seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes (vgl. BVerfGE 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>; 96, 189 <203>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Mai 2020 - 2 BvR 2054/19 -, Rn. 35). Der Senat hat auch nicht die Bedeutung und Tragweite der Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt (vgl. BVerfGE 82, 286 <299>; 87, 282 <284 f.>; 131, 268 <312>; 138, 64 <87 Rn. 71>).

aa) Insbesondere hat das Oberlandesgericht nachvollziehbar und in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt, weshalb es davon ausgegangen ist, dass der Kammervorsitzende sich bei seiner Entscheidung zwar in einem Tatsachenirrtum befunden habe, dieser Tatsachenirrtum aber keine Willkür begründe. Schlüssig ist dabei insbesondere der Hinweis auf die Erklärung des entbundenen Schöffen und die dem Kammervorsitzenden vorliegenden Unterlagen in ihrer Gesamtheit. Zutreffend hat es damit im Ergebnis darauf abgestellt, dass reine Rechtsfehler nicht zu einem Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtenden Entzug des gesetzlichen Richters führen (vgl. BVerfGE 7, 327 <329>; 9, 223 <230 f.>; 131, 268 <312>).

Das Oberlandesgericht hat dabei auch Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht aus dem Blick verloren, da es ausdrücklich in seine Überlegungen mit einbezogen hat, inwieweit der Rechtsfehler den Sinn des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, die Verhinderung von Manipulationen bei der Richterauswahl (vgl. BVerfGE 17, 294 <299>; 48, 246 <254>; 82, 286 <296>; 95, 322 <327>), berührt.

bb) Die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass die von dem Kammervorsitzenden nach seiner Vorstellung von der Sachlage getroffene Entscheidung selbst nicht willkürlich, sondern zumindest vertretbar war, begegnet ebenfalls keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, denn der Senat hat alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort, in seine Überlegungen mit einbezogen (vgl. BVerfGE 131, 268 <312>; BVerfGK 5, 269 <280>; 12, 139 <144>; 15, 102 <105>).

BVerfG, Beschluss vom 16.12.2021 - 2 BvR 2076/21, 2 BvR 2113/21, NStZ-RR 2022, 76

 

 

 

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