Bestimmen eines Minderjährigen zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln: Wie viel Einwirkung ist nötig?

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 11.06.2022
Rechtsgebiete: StrafrechtBetäubungsmittelrecht|3823 Aufrufe

Der 6. Strafsenat des BGH hat sich mit der Frage beschäftigt, wie viel Einwirkung nötig ist, um ein Bestimmen eines Minderjährigen zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gem. § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG zu verwirklichen (BGH Urt. v. 18.5.2022 – 6 StR 441/21, BeckRS 2022, 12481).

Dem 23-jährigen Angeklagten wurde vorgeworfen, den zur Tatzeit 14-jährigen M. gefragt zu haben, ob er für ihn Drogen verkaufen wolle. Der Angeklagte erkundigte sich kurze Zeit später per WhatsApp, ob M. ein „paar Leute gefragt habe“ (zuvor hatte der Angeklagte dem M. bereits bei fünf Gelegenheiten kleine Mengen Amphetamin zum Selbstkostenpreis verkauft oder geschenkt).

Ohne dass der Angeklagte davon wusste, und ohne dass eine Weitergabe von Betäubungsmitteln durch M. an Dritte stattfand, unternahm M. ausweislich den Urteilsgründen folgende Bemühungen, Abnehmer zu finden:

M. fragte mehrere Bekannte, ob sie Interesse an Betäubungsmitteln hätten. Zwischen ihm und diesen kam es in der Folge zu weiteren Gesprächen, jedoch „nie zu einem konkreten Angebot oder einer Vereinbarung unter Angabe von Art, Menge und Preis eines Betäubungsmittels“. Am 22. November 2020 erkundigte sich M. bei seinem WhatsApp-Kontakt „L. “, ob er „wen kenne, der gerade Zeug brauche“, und teilte dann mit, mittlerweile alles zu haben, was er brauche, „von Weed über Tilidin bis Koks“. Am 28. November 2020 schrieb er seinem Kontakt „T. “: „Soll ich von R. noch was zu ziehn holen bis Freitag?“, „Hab Sonntag noch zwei Steine von letztens“, „von R. “ sowie „Kennst du noch wen, der was zu ziehen hat.“ Nachdem der Chatpartner geantwortet hatte, er müsse „gucken“, antwortete M. „Oder weed“ „für die Tage“.

Am 1. Dezember 2020 fragte er seinen Kontakt „E. “, wieviel er wolle, nachdem ihm dieser mitgeteilt hatte, dass er probieren wolle, „eine Line zu ziehen“.

(R. ist der Angeklagte)

Die Staatsanwaltschaft klagte den 23-Jährigen deswegen an, gem. § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG als Person über 21 Jahre eine Person unter 18 Jahren bestimmt zu haben, mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel zu treiben. Aus Gründen des Jugendschutzes hat diese Vorschrift immerhin einen Strafrahmen von nicht unter 5 Jahren Freiheitsstrafe (im minder schweren Fall 6 Monate bis 10 Jahre).

Das Landgericht sprach den Angeklagten von diesem Tatvorwurf frei, weil eine Straftat nach § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG nicht verübt worden sei. Der Angeklagte habe M. keine Angebote zu etwaigen Tatvorteilen gemacht. Hinsichtlich einer Handelstätigkeit durch diesen sei keine Konkretisierung in Bezug auf Preis, Menge und Art des Betäubungsmittels erfolgt. Im Blick auf die Vagheit der Absprachen liege auch kein untauglicher Versuch des Bestimmens zum Handeltreiben vor. Gleiches gelte für den Tatbestand des Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens. Insoweit ermangele es ebenfalls einer hinreichend konkretisierten und individualisierten bzw. geplanten Tat.

Dies sah der 6. Strafsenat indes anders und hob das Urteil des Landgerichts auf die Revision der Staatsanwaltschaft mit folgender Begründung auf:

Der Freispruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat ein zu enges Verständnis des Merkmals des „Bestimmens“ im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG sowie des Begriffs des Handeltreibens zugrunde gelegt. Insoweit enthält zudem die Beweiswürdigung - auch eingedenk des insoweit eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs - durchgreifende Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten; sie ist lückenhaft.

a) Auf der Grundlage der Feststellungen erfüllt das Verhalten des Angeklagten das Merkmal des „Bestimmens“ im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG. Nach den zu § 26 StGB entwickelten, allgemeingültigen Grundsätzen ist unter „Bestimmen“ die Einflussnahme auf den Willen eines anderen zu verstehen, die diesen zu dem im Gesetz bezeichneten Verhalten bringt (vgl. BGH, Urteile vom 20. Januar 2000 - 4 StR 400/99, BGHSt 45, 373, 374; vom 11. Januar 2018 - 3 StR 482/17, NJ 2018, 251). Der dafür erforderliche „kommunikative Akt“ (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2018 - 3 StR 482/17, aaO; Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 30a Rn. 49 mwN) war mit der Frage des Angeklagten gegeben, ob M. für ihn Drogen verkaufen wolle, und wurde mit der Nachfrage vom 23. November 2020 nochmals bekräftigt. Der Angeklagte wollte erreichen, dass M. in der Folge Absatzbemühungen gegenüber seinen Bekannten in der Drogenszene entwickle.

Die dem Zeugen M. angesonnenen Taten waren nach den Umständen des hier zu beurteilenden Sachverhalts (vgl. zum Maßstab BGH, Urteil vom 21. April 1986 - 2 StR 661/85, BGHSt 34, 63, 67) auch hinreichend individualisiert. Zwar fehlten Vorgaben betreffend Preis, Menge und Art der zu verkaufenden Betäubungsmittel. M. wusste jedoch aus vorhergehenden Übergaben, über welche Betäubungsmittel der Angeklagte verfügte (Amphetamin, Marihuana), und kannte, wie die Feststellungen zu Tat 1 des Verurteilungssachverhalts erweisen, zumindest hinsichtlich des Amphetamins die Einkaufspreise, was ihn zu Absprachen mit etwaigen Interessenten befähigte.

Dass keine spezifischen Vereinbarungen über Gewinne und eine Entlohnung des Zeugen M. getroffen wurden, steht gleichfalls nicht entgegen. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass mit Drogenverkäufen Gewinne erzielt werden sollen und ein für den Drogenhandel Angeworbener für die Begehung der Straftaten vom Anstifter Vorteile erhält. Dementsprechend hatte der Zeuge M. - nach seiner von der Strafkammer insgesamt als glaubhaft erachteten Aussage „die Vorstellung, dass er einen kleinen Teil davon bekommen oder sich durch den Verkauf Geld hinzuverdienen könne“. Ausdrücklicher Abreden bedurfte es hierfür nicht. Der Akt des Bestimmens ist auch in konkludenter Form möglich (vgl. Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 30a Rn. 33).

b) Das Landgericht hat sich zudem nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob die aufgrund der Einwirkung des Angeklagten durchgeführten Absatzbemühungen gegenüber mehreren Bekannten bereits ein vollendetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG darstellen. Namentlich setzt es sich - was die Revision zutreffend beanstandet - nicht mit dem Umstand auseinander, dass M. nach den Feststellungen zu den Verurteilungssachverhalten jedenfalls im Zeitpunkt seines Kontakts mit „T. - “ am 28. November 2020 über Betäubungsmittel verfügte bzw. diese sicher erwartete. Danach rechnete M. für den Folgetag mit einer Lieferung von zwei „Steinen“ Amphetamin durch „R. “, mithin den Angeklagten, die er dann auch erhielt. Es drängt sich auf, dass gerade diese zwei Steine Gegenstand der Kommunikation mit „T. “ waren. In der Rechtsprechung ist aber anerkannt, dass vollendetes Handeltreiben vorliegen kann, wenn sich der Täter bei sicher erwartetem Erhalt von Betäubungsmitteln um einen Abnehmer für diese bemüht; Verhandlungen über Menge und Preis mit dem Kaufinteressenten sind dann nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1989 - 3 StR 313/89, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 19; Weber, aaO, § 29 Rn. 398 f. mwN).

4. Die Sache bedarf danach betreffend den Freispruchssachverhalt neuer Verhandlung und Entscheidung.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen