Erfolglose Verfassungsbeschwerde der DHV wegen Aberkennung der Tariffähigkeit durch die Arbeitsgerichte

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 08.07.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1625 Aufrufe

Die "DHV- Die Berufsgewerkschaft e.V." ist im Rechtsstreit um ihre Tariffähigkeit beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gescheitert. Der die 3. Kammer des Ersten Senats hat die Verfassungsbeschwerde der im Christlichen Gewerkschaftsbund Deutschlands organisierte Arbeitnehmervereinigung nicht zur Entscheidung an (Beschl. v. 31.5.2022, Az. 1 BvR 2387/21, BeckRS 2022, 15457).

Die zunächst für Kaufmannsgehilfen gegründete Arbeitnehmervereinigung beanspruchte zuletzt eine Tarifzuständigkeit in unterschiedlichen Branchen und Berufen, darunter Banken, Einzelhandel, gesetzlichen Krankenkassen, Versicherungsgewerbe, Fleischindustrie, IT-Dienstleistungen, Wirtschaftsprüfung, Anwaltschaft und Reiseveranstaltung. Nach eigenen Angaben hatte sie Anfang des Jahres 2020 in einem Bereich, in dem etwa 6,3 Millionen Beschäftigte organisiert sind, selbst 66.826 Mitglieder.

Die Arbeitsgerichte (in letzter Instanz das BAG Beschl. v. 22.6.2021 – 1 ABR 28/20, NZA 2022, 575) entschieden auf Antrag mehrerer konkurrierender Gewerkschaften sowie der Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen, der Vereinigung die Tariffähigkeit abzuerkennen. Sie besitze nicht mehr die erforderliche Durchsetzungsfähigkeit, um sie als Tarifpartei anzuerkennen.

Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde. Die Arbeitsgerichte verletzten ihr Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG. Sie missachteten zudem die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung und den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Bestimmtheitsgrundsatz, denn höchstrichterliche Rechtsprechung sei kein Ersatzgesetzgeber.

Die Kammer ist dem nicht gefolgt und hält die Verfassungsbeschwerde für teilweise unzulässig und im Übrigen für unbegründet. Soweit es um die Sache gehe, verletzten die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen die Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 9 Abs. 3 GG nicht. Die Einwände gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Mindestvoraussetzungen einer tariffähigen Arbeitnehmervereinigung greifen nach Ansicht der Kammer nicht durch. Insbesondere beurteile das BAG die Organisationsstärke im Wege einer grundrechtsfreundlichen Gesamtwürdigung. Es verzichte auf starre Schemata, wie etwa prozentuale Schwellenwerte, um den sich stetig verändernden Wirtschafts- und Beschäftigungsstrukturen gerecht werden zu können. Zudem gehe es davon aus, dass nicht in jedem Zuständigkeitsbereich einer Gewerkschaft ein signifikanter Organisationsgrad vorliegen muss, sondern nur in einem nicht unwesentlichen Teil. Dabei berücksichtige das BAG die große Zahl sehr unterschiedlich zusammengesetzter, ökonomisch unterschiedlich situierter und rechtlich unterschiedlich verfasster Gegenspieler. Zudem könnten in einem nennenswerten Umfang mit einer gewissen Kontinuität erreichte Tarifabschlüsse die für die Tariffähigkeit erforderliche Durchsetzungskraft belegen. Dabei sinke die Indizwirkung, je geringer der Organisationsgrad im beanspruchten Zuständigkeitsbereich sei, und verliere jede Aussagekraft, wenn die Gewerkschaft selbst ihre Zuständigkeit umfassend ändere. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das BAG damit davon ausgehe, dass die Tariffähigkeit nicht durch Tarifabschlüsse entstehe, sondern eine Voraussetzung für diese ist.

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