Der Koalitionsvertrag und Wohnraumknappheit - eine Erinnerung an den Gesetzgeber

von Dr. Michael Selk, veröffentlicht am 09.07.2022

Niemand kann von der "Ampel" erwarten, dass sie alle Ziele des Koalitionsvertrags sofort und in der ersten Hälfte der Legislaturperiode umsetzt. Indes sind die Ziele, die der (neue) Gesetzgeber im Wohnraummietrecht gesetzt hat, so hoch, dass ohnehin schon vor einem bald Dreivierteljahr etwas fraglich erschien, ob und wie diese Ziele innerhalb von vier Jahren umgesetzt werden sollen. 

Dies gilt um so mehr, wenn man bedenkt, dass die aktuelle Zinsentwicklung es nun vielen Mieterinnen und Mietern, die immerhin vielleicht noch die Wahl gehabt hätten, Eigentum zu erwerben, dies seit wenigen Wochen unmöglich gemacht hat; eine Umkehr ist nicht in Sicht. Die Zeit läuft also davon.

Im Koalitionsvertrag heißt es dazu:

"Um die Ursachen drohender Wohnungslosigkeit zu beseitigen, werden wir das Mietrecht, insbesondere dort wo Schonfristzahlungen dem Weiterführen des Mietverhältnisses entgegenstehen, evaluieren und entgegensteuern. Wir setzen uns zum Ziel, bis 2030 Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden und legen einen Nationalen Aktionsplan dafür auf."  (Koalitionsvertrag 2021-2025, S. 71).

 

Klammern wir einmal die miserable Wortwahl des ersten Satzes aus (Schonfristzahlungen, die dem Weiterführen des Mietverhältnisses entgegenstehen ? - rekurriert sicherlich auf § 569 III Nr. 2 S.1 BGB, aber was zum Kuckuck versteckt sich hinter dieser Kryptik?), so wird dennoch das ehrenwerte Ziel deutlich, die "Ursachen drohender Wohnungslosigkeit zu beseitigen". 

Wenn es dann um evaluieren und entgegensteuern geht, so fehlt es sicherlich noch an gebotenen rechtstatsächlichen Untersuchungen. Unabhängig davon wird es Sinn machen, zu hinterfragen, ob Kündigungsgründe und Kündigungsfristen jedenfalls in den Fällen, in denen die Mieterin/der Mieter schuldlos in die drohende Räumungssituation gerät (wie etwa bei der Kündigung wegen fehlender wirtschaftlicher Verwertungsmöglichkeit oder wegen Eigenbedarfs, Betriebsbedarfs o.ä.), also anders als in den Fällen der Kündigung wegen Pflichtverletzungen, nach wie vor im Rahmen des § 573 I, II BGB wirklich gleichzusetzen sind.

Momentan sieht es so aus: verstößt eine Mieterin/ ein Mieter gegen eine vertragliche Pflicht, indem sie/er z.B. Vermieter/in (nicht schwer) beleidigt, ein Betreten der Wohnung mehrfach zu Unrecht nicht gestattet, nicht tatsächlich geschuldete Schönheitsreparaturen durchführt usw., so kann Vermieter/in ihm/ihr wegen dieser Pflichtverletzung gem. § 573 II Nr. 1 BGB fristgemäß kündigen. Dasselbe geschieht, wenn Vermieter/in wegen Eigenbedarfs kündigt oder fehlender wirtschaftlicher Verwertungsmöglichkeit (§ 573 II Nr. 2, 3 BGB) oder etwa Betriebsbedarfs, § 573 I BGB; die Frist ist jeweils (je nach Dauer des Mietvertrags) identisch.  Schon von der Wertung her (schuldlos handelnd einerseits, schuldhaft handelnd andererseits) ist das nicht wirklich verständlich, und die Gleichbehandlung dieser ungleichen Fälle bereitet Bauchschmerzen, ohne dass man Art. 3 I GG dafür bemühen muss.

Lösungen bieten sich viele an. Auf der Hand liegt, zu erwägen, in den Fällen der Kündigung wegen Eigenbedarfs und fehlender wirtschaftlicher Verwertungsmöglichkeit die Kündigungsfristen um jeweils drei oder sechs Monate zu verlängern. Damit ist der Mieterin/dem Mieter indes in Ballungszentren in der Regel wenig geholfen. Komplexer sind andere Ansätze. Ein manchmal gefordertes schlichtes Streichen des Kündigungstatbestandes "Eigenbedarf" bzw. des § 573 II Nr. 3 BGB wird wegen Verstoßes gegen Art. 14 I GG ohnehin nicht wirklich funktionieren; es wird auch politisch ohnehin nicht durchsetzbar sein. Das spanische Modell gibt Mieter/in einen Rückkehranspruch in die Wohnung, wenn der Eigenbedarf nicht binnen drei Monaten realisiert wird; Österreich liefert eine zehnjährige Sperrfrist im Falle des "gekauften" Eigenbedarfs, also Kündigung wegen Eigenbedarfs nach Erwerb (Normnachweise und mehr bei Kappus, NZM 2022, 433ff, äußerst lesenswert). Diese Ansätze, die in anderen Ländern offenbar gut funktionieren, könnte man alternativ oder kumulativ umsetzen. 

Natürlich kann man gegen all das einwenden, dass man nichts ändern müsse und Missständen ggf. über § 574 BGB Rechnung getragen werden kann. Dies würde indes nichts an der oben beschriebenen "Schieflage" zu Lasten der/des schuldlos handelnden Mieterin/Mieters ändern. Auch im Übrigen zeigt die Praxis, dass § 574 BGB oft wirklich nur in Fällen der Krankheit und/oder des hohen Alters schützt, sonst aber kaum - denn die auch vom Gesetz am Ende der Tatsachenfeststellung dennoch geforderte Abwägung und Gewichtung der Vermieterinteressen und Mieterinteressen findet zu selten statt. 

Der Gesetzgeber bleibt also aufgefordert, die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zu erfüllen. Damit sollte er auch aus Gründen des sozialen Friedens nicht mehr lange warten.

 

 
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