BRAO-Reform: Die neue Fortbildungspflicht – eine Chance für die Anwaltschaft

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 25.07.2022
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Prof. Dr. Volker Römermann zur BRAO-Reform

Ein Gastbeitrag von Rechtsanwalt Prof. Dr. Volker Römermann

Am 1. August 2022 tritt im Zuge der BRAO-Reform ein neuer § 43f BRAO in Kraft. Die Vorschrift statuiert erstmals für deutsche Rechtsanwälte eine Pflicht, sich über das eigene Berufsrecht kundig zu machen.

"Der Rechtsanwalt hat innerhalb des ersten Jahres nach seiner erstmaligen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft an einer Lehrveranstaltung über das rechtsanwaltliche Berufsrecht teilzunehmen. Die Lehrveranstaltung muss mindestens zehn Zeitstunden dauern und die wesentlichen Bereiche des anwaltlichen Berufsrechts umfassen."

So lautet Absatz 1. Die Lehrveranstaltung kann auch schon innerhalb von sieben Jahren vor der erstmaligen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft absolviert worden sein.

Bislang mussten überraschenderweise lediglich europäische Anwälte, die durch Prüfung ihrer Eignung die Bezeichnung „Rechtsanwalt“ erwerben wollten, Kenntnisse des deutschen Berufsrechts nachweisen.

Deutsche Berufskollegen lavierten sich nicht selten mit einer eher vagen Ahnung der rechtlichen Basis ihrer Tätigkeit durch ihren Alltag, gelegentlich bis zur Kollision mit einer Kammer oder der Generalstaatsanwaltschaft. Das soll nun grundlegend anders werden.

Wer sich mit dieser Frage nie beschäftigt hat, wird sich verwundert die Augen reiben: Rechtsanwälte ignorieren das eigene Berufsrecht, nehmen aber für sich in Anspruch, andere professionell rechtlich zu beraten?

Die Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drucksache 19/30516 vom 9. Juni 2021; nur Entwürfe werden bekanntlich begründet, verabschiedete Gesetze nicht) hält es für nötig, die Motivation des Gesetzgebers für die Neuregelung darzulegen. „Das anwaltliche Berufsrecht, das den Berufsangehörigen als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) besondere Rechte gewährt und Pflichten auferlegt, dient dem Schutz der Personen, die zur Wahrung ihrer Rechte anwaltlichen Beistands bedürfen“ (S. 45).

Man will Rechtsuchende (gemeint sind offenbar Mandanten, die indes nie das Recht suchen) und die Rechtspflege schützen, heißt es wenige Zeilen später. Vor wem? Vor der unzureichend informierten Anwaltschaft. Es stimmt einen unbefangenen Leser traurig, derartige Gedanken zu lesen. Hätte der Gesetzgeber nicht die Chancen hervorheben können, die darin liegen, sich mit Berufsrecht zu beschäftigen?

Menschen müssen nicht vor Anwälten geschützt werden, im Gegenteil: Rechtsanwälte sind die starken Streiter für das Recht, für Gerechtigkeit, für den Rechtsstaat als Institution. „Die Freiheitsrechte des Rechtsanwalts gewährleisten die Teilhabe des Bürgers am Recht“, sagt § 1 der anwaltlichen Berufsordnung. Und weiter, fast poetisch: „Seine Tätigkeit dient der Verwirklichung des Rechtsstaats. Als unabhängiger Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten hat der Rechtsanwalt seine Mandanten vor Rechtsverlusten zu schützen, rechtsgestaltend, konfliktvermeidend und streitschlichtend zu begleiten, vor Fehlentscheidungen durch Gerichte und Behörden zu bewahren und gegen verfassungswidrige Beeinträchtigung und staatliche Machtüberschreitung zu sichern“.

Anwaltliches Berufsrecht in der juristischen Ausbildung

Berufsrecht gehört zwar zum vorgeschriebenen Lerninhalt im Referendariat, wird dort aber, so die Entwurfsbegründung, oft „nur punktuell und nicht systematisch vermittelt“ (S. 45). Eine Voraussetzung zur Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wollte man aus dem Berufsrecht auch nicht machen, das „wäre als unangemessene Belastung“ anzusehen und könnte das Leitbild des „Einheitsjuristen“ in Frage stellen. So soll jeder Rechtsanwalt im Ergebnis erst einmal ohne Kenntnisse des Berufsrechts beginnen können – „trial and error“, was sich fatal auswirken kann.

In meiner Praxis bin ich beispielsweise einer jungen Anwältin begegnet, die sich an einer Mediation versucht hat. Nachdem das fruchtlos geblieben war, nahm sie auf Drängen der einen Partei das Mandat gegen die andere an und dachte sich – etwas naiv – nichts Böses dabei. Bis die Staatsanwaltschaft unangemeldet vor ihrer Tür stand und eine Hausdurchsuchung durchführte.

Parteiverrat gehört zu den schweren Delikten und gefährdet unmittelbar den Fortbestand der eigenen Zulassung. „Täter“ sind regelmäßig wohlmeinende Anwälte, die aus Gutmütigkeit mehrere Mandate übernehmen, die sich im Laufe der Zeit als gegenläufig erweisen. Etwas mehr Sensibilisierung während der Ausbildung könnte hier Wunder bewirken.

Berufsrechtskenntnisse können schon während des Studiums erworben werden (zum Beispiel an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo ich seit vielen Jahren in jedem Wintersemester eine Vorlesung zum anwaltlichen Berufsrecht anbiete). Wer vor dem 1. August 2022 erstmalig zugelassen wurde, kann auf die Fortbildung verzichten. Eine bedauerliche Ausnahme für „alte Hasen“, denen der Gesetzgeber offenbar nicht zumuten wollte, sich der Mühsal zu unterziehen, bis zur Rente das Stadium des berufsrechtlichen Dilettantentums zu verlassen.

Was bedeutet die neue Pflichtfortbildung?

Der konkrete Inhalt der Pflichtfortbildung wird durch den Gesetzeswortlaut nicht festgelegt. Die Entwurfsbegründung nennt exemplarisch „Organisation des Berufs, Grundpflichten des Rechtsanwalts (Unabhängigkeit, Verschwiegenheit – einschließlich der prozessualen Folgen für Zeugnisverweigerung und Beschlagnahme –, Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, Pflichten beim Umgang mit anvertrauten Vermögenswerten, Fortbildung), Aufklärungs- und Informationspflichten (unter anderem zur Vergütung) gegenüber der Mandantschaft, Berufsaufsicht und berufsrechtliche Sanktionen, Grundzüge des anwaltlichen Haftungsrechts.“ Näheres soll die Berufsordnung regeln.

Einige dieser Stichworte klingen vertraut, etwa das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen. Kommt man auch nur ein wenig vom ausgetretenen Pfad ab, zeigt sich oft Unsicherheit.

Wie ist es etwa zu beurteilen, wenn Rechtsanwältin X von der Sozietät A zur Sozietät B wechselt und diese Sozietäten im Rechtsstreit C gegen D auf unterschiedlichen Seiten vertreten? Nehmen wir an, X habe von dem Mandat gar nichts gehört, sie ist also völlig unbedarft, als sie die Aufforderung der Sozietät A ereilt, sie möge dafür sorgen, dass die Sozietät B sofort die Fortführung dieses Mandates unterlässt. Muss sie dem Folge leisten, obwohl sie auch in der neuen Berufsausübungsgesellschaft mit der Angelegenheit nie etwas zu tun hatte? Was ist, wenn sie das alles vorhergesehen und (nur) ihre künftigen Partner gebeten hatte, von den betroffenen Mandanten ein Einverständnis einzuholen? Abstrakt gefragt, werden die meisten Anwälte wohl antworten, sie fühlten sich in ihrem Berufsrecht zu Hause. Wenn es konkret wird, verändert sich das Bild schnell.

Das Inkrafttreten der BRAO-Reform am 1. August 2022 bietet für die deutsche Anwaltschaft die Chance, sich ihrer selbst bewusster zu werden. Die Chancen zu erkennen, die in ihrem Beruf stecken. Lücken zu schließen und Risiken zu verringern. Sich professioneller aufzustellen. Zukunftssicherer. Wer kann, sollte diese Gelegenheit ergreifen: innehalten, für einen Moment das Recht des eigenen Berufes zum Thema machen. Es lohnt sich. Ein Berufsleben lang.

Der Autor ist Vorstand der Römermann Rechtsanwälte AG, Direktor des Forschungsinstituts für Anwaltsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin und dort Honorarprofessor. Er ist Autor des Lehrbuches zum Anwaltlichen Berufsrecht und Herausgeber der Beck'schen Online-Kommentare zu BRAO, BORA, FAO sowie (gemeinsam mit Barbara Grunewald) RDG.

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