BAG: Annahmeverzug bei überzogenem Hygienekonzept

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 15.08.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrechtCorona1|3119 Aufrufe

Erteilt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der aus einem SARS-CoV-2-Risikogebiet zurückkehrt, ein 14-tägiges Betretungsverbot für das Betriebsgelände, obwohl der Arbeitnehmer entsprechend den verordnungsrechtlichen Vorgaben bei der Einreise aufgrund der Vorlage eines aktuellen negativen PCR-Tests und eines ärztlichen Attests über Symptomfreiheit keiner Absonderungspflicht (Quarantäne) unterliegt, schuldet der Arbeitgeber grundsätzlich Vergütung wegen Annahmeverzugs.

Das hat das BAG entschieden.

Die Beklagte produziert in Berlin Lebensmittel für den Handel. Der Kläger ist bei ihr als Leiter der Nachtreinigung beschäftigt. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erstellte die Beklagte ein Hygienekonzept. Dieses sah vor, dass Arbeitnehmer, die aus einem Risikogebiet zurückkehren, 14 Tage lang das Betriebsgelände nicht betreten dürfen. Nach der im streitbefangenen Zeitraum gültigen Corona-Schutzverordnung des Landes Berlin bestand für Rückkehrer aus einem Risikogebiet zwar grundsätzlich die Pflicht, sich 14 Tage lang in Quarantäne zu begeben. Eine Ausnahme bestand aber für Personen, die über einen negativen PCR-Test verfügten und symptomfrei waren. Diese Ausnahme erkannte die Beklagte für ihren Betrieb aus Sorge vor gefälschten Testzertifikaten oder nicht sorgfältig durchgeführten Tests nicht an.

Der Kläger war im August 2020 wegen eines Todesfalles in seiner Familie für drei Tage in die Türkei gereist. Bei seiner Rückkehr unterzog er sich sowohl vor der Ausreise in der Türkei als auch nach seiner Einreise in Deutschland einem PCR-Test. Beide Tests waren negativ. Der Arzt des Klägers attestierte ihm Symptomfreiheit. Dennoch verweigerte die Beklagte ihm den Zutritt zum Betriebsgelände und zahlte kein Arbeitsentgelt. Mit seiner Klage begehrt er 1.512,47 Euro brutto als Annahmeverzugslohn.

Das LAG Berlin-Brandenburg hat der Klage stattgegeben. Die Revision blieb ohne Erfolg.

Aus der Pressemitteilung des BAG:

Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der vom Kläger angebotenen Arbeitsleistung in Annahmeverzug befand. Das von ihr erteilte Betretungsverbot des Betriebs führte nicht zur Leistungsunfähigkeit des Klägers (§ 297 BGB), weil die Ursache der Nichterbringung der Arbeitsleistung von der Beklagten selbst gesetzt wurde. Dass ihr die Annahme der Arbeitsleistung des Klägers aufgrund der konkreten betrieblichen Umstände unzumutbar war, hat sie nicht dargelegt. Die Weisung, dem Betrieb für die Dauer von 14 Tagen ohne Fortzahlung des Arbeitsentgelts fernzubleiben, war außerdem unbillig (§ 106 GewO) und daher unwirksam. Die Beklagte hat dem Kläger nicht die Möglichkeit eröffnet, durch einen weiteren PCR-Test eine Infektion weitgehend auszuschließen. Hierdurch hätte sie den nach § 618 Abs. 1 BGB erforderlichen und angemessenen Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer erreichen und einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherstellen können.

BAG, Urt. vom 10.8.022 – 5 AZR 154/22, Pressemitteilung hier

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