Unterbringung nach Verkehrsstraftaten des BtM-Abhängigen falsch geprüft

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.09.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|3015 Aufrufe

Ein Klassiker im Bereich der Maßregelprüfung. Der Angeklagte ist BtM-Abhängig. Er hat aber nun wirklich keine Lust, nach § 64 StGB untergebracht zu werden. "Lieber wäre ich über einen 35-BtMG in Freiheit!", meint er. Klar. Verstehen alle Verfahrensbeteiligten. Und es ist durchaus üblich (und vielleicht auch aus Sicht des Angeklagten richtig), "die Augen vor der richtigen Rechtslage zu verschließen und vielmehr auf die Therapiebereitschaft als Problemlöser zu setzen. Leider ist es trotzdem falsch, einfach den § 64 StGB nicht richtig zu prüfen:

 

Der Maßregelausspruch kann auch nicht bestehen bleiben, soweit das Landgericht ohne jede Erörterung von einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB abgesehen hat.

 aa) Zwar hat der Angeklagte durch Verteidigerschriftsatz vom 24. Januar 2022 erklärt, die Nichtanordnung der Maßregel gemäß § 64 StGB von seinem Rechtsmittelangriff auszunehmen. Diese Revisionsbeschränkung ist jedoch unwirksam, weil die Revision sich mit der Sachrüge gegen den gesamten Schuldspruch wendet und dieser unter den hier gegebenen Umständen nicht losgelöst von der Maßregelfrage geprüft werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2011 ‒ 2 StR 139/11, StV 2012, 72).

 bb) Die unterbliebene Maßregelanordnung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die tatgerichtlichen Feststellungen zum Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB sind widersprüchlich. Das Landgericht hat einerseits das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ausdrücklich verneint und andererseits festgestellt, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Taten aufgrund einer „Betäubungsmittelabhängigkeit“ begangen hat. Die Feststellung einer zu Beschaffungsdelikten führenden physischen oder jedenfalls psychischen Betäubungsmittelabhängigkeit trägt jedoch regelmäßig die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB, ohne dass es auf den Grad oder die Ausprägung der Abhängigkeit im Einzelnen ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2019 ‒ 4 StR 80/19 Rn. 12; Beschluss vom 18. September 2013 ‒ 1 StR 456/13 Rn. 7).

 c) Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird daher ‒ unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (vgl. § 246a StPO) ‒ die Frage der Maßregelanordnung insgesamt neu zu prüfen und dabei auch zu beachten haben, dass § 64 StGB gegenüber einer Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG Vorrang hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2020 ‒ 3 StR 195/20 Rn. 5; Beschluss vom 28. Juli 2020 ‒ 2 StR 210/20, StV 2021, 362, 363; Beschluss vom 15. Juni 2010 ‒ 4 StR 229/10, NStZ-RR 2010, 319, 320). Ein „Wahlrecht“ des Angeklagten besteht insoweit nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2017 ‒ 1 StR 646/16 Rn. 11).

BGH Beschl. v. 19.7.2022 – 4 StR 116/22, BeckRS 2022, 19171 

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