LAG Hessen: Keine Pflicht, nicht geimpftes Pflegepersonal in Seniorenheim zu beschäftigen

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 07.09.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht3|2118 Aufrufe

Das LAG Hessen (Urteile vom 11.08.2022, Az. 5 SaGa 728/22 und 7 SaGa 729/22) hat in zwei Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz die Eilanträge von in der Pflege tätigen ungeimpften Pflegekräften auf weitere Beschäftigung abgewiesen.

Die Betreiberin des Seniorenheims hat die Pflegekräfte seit 16. März 2022 freigestellt. Dies begründete sie mit der seit 15. März 2022 bestehenden Pflicht nach § 20 a Infektionsschutzgesetz, wonach Personen, die in Einrichtungen zur Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen arbeiten, über einen Impfnachweis oder z.B. einen Genesenennachweis verfügen müssen. Das LAG ist – wie bereits die Vorinstanz – zu dem Ergebnis gekommen, dass die nicht geimpften Pflegekräften keinen Anspruch darauf haben, in ihrem Arbeitsverhältnis beschäftigt zu werden. Der erforderliche Impfnachweis wirke wie eine berufliche Tätigkeitsvoraussetzung. Bei der Abwägung der Interessen habe die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer freistellen dürfen. Das schützenswerte Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenheims, vor einer Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens bewahrt zu werden, überwiege das Interesse der Pflegekräfte, ihre Tätigkeit ausüben zu können.

Zum Hintergrund: Das BVerfG hatte bereits mit Beschluss vom 27.4.2022 (1 BVR 2649/21, NJW 2022, 1999) Verfassungsbeschwerden von Pflegekräften gegen die einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht abgewiesen. 

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3 Kommentare

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Zum Hinweis des Verfassers (Prof. Dr. Markus Stoffels) im Leitbeitrag:

"Zum Hintergrund: Das BVerfG hatte bereits mit Beschluss vom 27.4.2022 (1 BVR 2649/21, NJW 2022, 1999) Verfassungsbeschwerden von Pflegekräften gegen die einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht abgewiesen."

Das ist schlicht falsch! In dieser! Entscheidung wurden keine Verfassungsbeschwerden abgewiesen. Das waren Eilanträge. Über die Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG bisher noch nicht entschieden. Auf diesen Unterschied in einem juristischen Blog aufmerksam zu machen, das wollte ich mir eigentlich wirklich verkneifen mit Respekt vor dem Namen des Verfassers.

Zur Entscheidung des LAG Hessen selbst:

"Das schützenswerte Interesse der Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenheims, vor einer Gefährdung ihrer Gesundheit und ihres Lebens bewahrt zu werden, überwiege das Interesse der Pflegekräfte, ihre Tätigkeit ausüben zu können."

Diese Abwägung entspricht der Abwägung und der Zielsetzung des Gesetzgebers (von ihm kopiert) zu einem Zeitpunkt, als das Gesetz beschlossen wurde. Das entsprach damals auch den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Diese Erkenntnisse waren aber beschränkt auf die Delta-Variante und die Vorvarianten des Virus.

Nur einige Wochen später ist aber eine neue Variante bekannt geworden: die Omikron-Variante. Diese Variante hat die Abwägung des Gesetzgebers zunichte gemacht, rein wissenschaftlich und faktisch. Denn die Impfung schützt seit Omikron die Geimpften nur selbst vor ihrer eigenen (schweren) Erkrankung, nicht aber die anderen Geimpften wie Ungeimpften vor Ansteckung bei Kontakt. Sie, die Geimpften können sich trotz Impfung anstecken oder infizieren (und sind die größte Virenschleuder, wenn sie meinen, für andere ungefährlich zu sein). Sie können das Virus weiter verbreiten, indem sie andere in ihrem Umfeld anstecken. Das hat schon das Robert-Koch-Institut vor der Entscheidung des LAG Hessen auf seiner Homepage veröffentlicht. Das sollte bekannt sein. Auch habe ich im Blog mehrfach darauf hingewiesen. Viele Institute weltweit folgen dieser Einschätzung bis heute.

Das LAG Hessen hat seine Entscheidung einfach aus der Schublade gezogen, ohne Rücksicht auf die bestehende, aktuelle Faktenlage.

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Das ist schlicht falsch! In dieser! Entscheidung wurden keine Verfassungsbeschwerden abgewiesen.

Da liegen Sie aber ganz gehörig daneben! Der Tenor der Entscheidung lautet:

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

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Sie haben recht. Mein Fehler. Sorry. Ich kann immer noch nicht verstehen, dass mir die Entscheidung in der Hauptsache entgehen konnte. Ich habe sie jetzt aber nachgelesen.

Ja, die VB wurde zurückgewiesen. Aber man sollte dennoch nicht übersehen, dass die von BVerfG eingeholten Stellungnahmen von sachkundigen Dritter - wie des Robert-Koch-Instituts - vor allem in der Beurteilung der Geeignetheit(!) eine entscheidende Rolle gespielt haben. Schon in seiner Eilentscheidung vom  10. Februar 2022 über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung schreibt das BVerfG (Rn. 14):

"Zwar begegnet die Einführung einer einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht in § 20a IfSG als solche unter Berücksichtigung der in diesem Verfahren eingeholten Stellungnahmen vor allem der sachkundigen Dritten zum Zeitpunkt dieser Entscheidung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken."

Die "sachkundigen Dritten" werden namentlich dort noch nicht genannt und auch von dem Inhalt ihrer Stellungnahmen erfährt man noch nichts. Das wird dann in der  Entscheidung über die VBs vom 27. April 2022 aber ausführlich nachgeholt. Das BVerfG hatte u.a. das Robert-Koch-Institut (RKI) um Stellungnahme gebeten u.a. über die Fragen (Rn. 43):

"b) Inwiefern trifft die Annahme aktuell (noch) zu, dass sich geimpfte und genesene Personen seltener mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren und sie, wenn sie trotz Impfung infiziert werden, weniger bzw. für einen kürzeren Zeitraum infektiös sind?

c) Inwiefern kann eine COVID-19-Impfung die Wahrscheinlichkeit verringern, sich mit künftig auftretenden Varianten des Coronavirus SARS-CoV-2 zu infizieren?"

Darauf die Antwort des RKI (Rn. 51):

"Erste Erkenntnisse zur Impfstoffwirksamkeit gegen die Omikronvariante des Virus zeigten, dass 15 Wochen nach der Grundimmunisierung die Wirksamkeit gegenüber symptomatischen Erkrankungen so stark reduziert sei, dass nicht mehr von einem ausreichenden Schutz ausgegangen werden könne. Nach einer Auffrischimpfung sei jedoch eine gute Wirksamkeit gegenüber einer symptomatischen Infektion belegt (circa 70 %). Eine Studie aus Dänemark habe zudem gezeigt, dass es nach der Auffrischimpfung zu einer nur noch reduzierten Übertragung von Omikron-Infektionen komme. Die Effektivität der Auffrischimpfung gegen jegliche Infektion werde im Beobachtungszeitraum von zehn Wochen erneut auf 50 bis 60 % angehoben. Nach der Vergabe von drei Impfstoffdosen sei das Infektionsrisiko und damit auch das Transmissionsrisiko reduziert. Welches Ausmaß diese Transmissionsreduktion habe, sei derzeit jedoch unbekannt."

Am 18.3.2022 schreibt das RKI auf seiner Homepage so gut wie das Gegenteil:

"Wie hoch das Transmissionsrisiko unter Omikron ist, kann derzeit noch nicht bestimmt werden. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass Menschen nach Kontakt mit SARS-CoV-2 trotz Impfung PCR-positiv werden und dabei auch Viren ausscheiden und infektiös sind. Dabei können diese Menschen entweder Symptome einer Erkrankung (die zumeist eher milde verläuft) oder überhaupt keine Symptome entwickeln."

Die geänderte Einschätzung zum 18.3.2022 hatte das RKI dem BVerfG offensichtlich nicht mitgeteilt. Jedenfalls ist sie in der Entscheidung über die VB nicht berücksichtigt worden. Die Entscheidung des BVerfG beruht somit auf falschen und längst durch Omikron überholten Sachkunde über den Schutz der Impfung vor Infektion und Übertragung auf andere. Nach heute noch bestehender Erkenntnis wird das Pflegepersonal durch die Impfung nicht vor Infektionen geschützt und kann das Virus auf die vulnerablen Personen übertragen. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht, die der Gesetzgeber zum Schutz der Vulnerablen eingeführt hat, ist durch Omikron zu einem untauglichen Mittel geworden. Hätte das RKI seine Stellungnahme an das BVerfG mit dem Inhalt seiner Homepage erst am 18.3.2022 abgegeben, dann wäre die Entscheidung des BVerfG über die VB anders ausgefallen.

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