BGH: Ein wenig über die Haft zu quatschen ist auch ein vollwertiger HV-Termin

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.10.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1474 Aufrufe

Die Hauptverhandlung darf nur 3 Wochen unterbrochen werden...bei langen Verfahren gelten Abweichungen:

 

§ 229 StPO

 

Höchstdauer einer Unterbrechung

 

(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.

 

(2) Eine Hauptverhandlung darf auch bis zu einem Monat unterbrochen werden, wenn sie davor jeweils an mindestens zehn Tagen stattgefunden hat.

 

(3) Hat eine Hauptverhandlung bereits an mindestens zehn Tagen stattgefunden, so ist der Lauf der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen gehemmt, solange  

 

1. ein Angeklagter oder eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen Krankheit oder

 

2. eine zur Urteilsfindung berufene Person wegen gesetzlichen Mutterschutzes oder der Inanspruchnahme von Elternzeit

 

nicht zu der Hauptverhandlung erscheinen kann, längstens jedoch für zwei Monate. 2Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen enden frühestens zehn Tage nach Ablauf der Hemmung. 3Beginn und Ende der Hemmung stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluß fest.

 

(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. Ist der Tag nach Ablauf der Frist ein Sonntag, ein allgemeiner Feiertag oder ein Sonnabend, so kann die Hauptverhandlung am nächsten Werktag fortgesetzt werden.

 

(5) Ist dem Gericht wegen einer vorübergehenden technischen Störung die Fortsetzung der Hauptverhandlung am Tag nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist oder im Fall des Absatzes 4 Satz 2 am nächsten Werktag unmöglich, ist es abweichend von Absatz 4 Satz 1 zulässig, die Hauptverhandlung unverzüglich nach der Beseitigung der technischen Störung, spätestens aber innerhalb von zehn Tagen nach Fristablauf fortzusetzen. Das Vorliegen einer technischen Störung im Sinne des Satzes 1 stellt das Gericht durch unanfechtbaren Beschluss fest.

 

Kann das Gericht diese Fristen nicht einhalten, so werden üblicherweise Schiebetermine abgestimmt und festgesetzt, in denen nur wenige Miuten verhandelt wird und kleine Verfahrensförderungen stattfinden. Prominente Beispiele: Inaugenschein eine Lichtbildes in der Akte, Verlesung des BZR-Auszuges, Verlesung einer kurzen Urkunde. Viel weniger darf es aber nicht sein. Der BGH musste sich nun damit befassen, ob ein wenig "Quatschen über die Haft" ausreicht. "Ja", so der BGH:

 

 

Der zweite Hauptverhandlungstag in der Strafsache gegen die vier Angeklagten fand am 19. Januar 2021 statt. Zum nächsten Hauptverhandlungstag am 25. Januar 2021, dem ein weiterer Termin am 15. Februar 2021 folgte, waren keine Zeugen geladen. Am 21. Januar 2021 stellte der Verteidiger des Mitangeklagten D. G. einen Antrag auf mündliche Haftprüfung. Der Verteidiger des Angeklagten K. beantragte am selben Tag schriftsätzlich, den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen, und kündigte an, der Angeklagte werde im kommenden Hauptverhandlungstermin – an dem die mit seiner Begutachtung beauftragte Sachverständige verhindert war – zu seiner Person Angaben machen. Zur Sache sei beabsichtigt, eine Verteidigererklärung abzugeben. Die Staatsanwaltschaft widersprach unter dem 22. Januar 2021 einer Haftverschonung des Angeklagten K. . In der Hauptverhandlung am 25. Januar 2021 wurde diese Stellungnahme der Staatsanwaltschaft verlesen. Sodann beantragten die Verteidiger der drei inhaftierten Angeklagten, die Haftbefehle gegen ihre Mandanten außer Vollzug zu  setzen, wobei die Verteidiger des Angeklagten W. vorrangig eine Aufhebung des Haftbefehls begehrten. Im weiteren Verlauf machten die Verteidiger Angaben über die – ihrer Auffassung nach einer Fluchtgefahr entgegen stehenden – persönlichen Verhältnisse dieser Angeklagten. Ferner trugen die Verteidiger jeweils dazu vor, dass aufgrund der Haftbeeindruckung ihrer Mandanten auch keine Wiederholungsgefahr bestehe. Hierbei erläuterte der Verteidiger des Angeklagten K. die belastende Haftsituation durch dessen allein brieflich möglichen Kontakt zu den Angehörigen. Der Verteidiger des Mitangeklagten D.  G. bezog sich darüber hinaus auf seine Stellungnahme zur Haftprüfung nach § 121 StPO, in der u. a. die persönlichen Verhältnisse und die Haftsituation dieses Angeklagten näher erläutert sind. Die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft begründete ihre Auffassung, dass die Haftgründe der Flucht- und der Wiederholungsgefahr jeweils weiter vorliegen. Die Angeklagten selbst äußerten sich an diesem Tag nicht. Die Hauptverhandlung am 25. Januar 2021 währte bei einer zwanzigminütigen Unterbrechung von 10.26 Uhr bis 12.00 Uhr. Mit Beschlüssen vom selben Tag verschonte die Strafkammer – ohne Mitwirkung der Schöffen – die Angeklagten D. G. , K. und W. vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft. 2. Die zulässige Rüge hat in der Sache keinen Erfolg. Der von der Revision geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor. a) Als ein Termin, der zur fristwahrenden Fortsetzung der Hauptverhandlung nach Maßgabe von § 229 Abs. 1 und 4 Satz 1 StPO geeignet ist, gilt nach ständiger Rechtsprechung nur ein solcher, in dem zur Sache verhandelt, mithin das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch hin gefördert worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Mai 2021 – 4 StR 19/20 Rn. 8; Beschluss  vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11 Rn. 2; Beschluss vom 16. Oktober 2007 – 3 StR 254/07 Rn. 3). Dies kann etwa durch Vernehmung des Angeklagten, durch Beweisaufnahme oder sonst durch Erörterung des Prozessstoffs geschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11 Rn. 2; Urteil vom 11. Juli 2008 – 5 StR 74/08 Rn. 11; Urteil vom 25. Juli 1996 – 4 StR 172/96 Rn. 7). Es genügt jede Förderung des Verfahrens, selbst wenn weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin auch der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente (vgl. BGH, Urteil vom 3. August 2006 – 3 StR 199/06 Rn. 8; Urteil vom 18. März 1998 – 2 StR 675/97 Rn. 5). Nicht ausreichend sind hingegen sogenannte (reine) „Schiebetermine“, welche die Unterbrechungsfrist lediglich formal wahren, in denen aber tatsächlich keine Prozesshandlungen oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen vorgenommen werden, die geeignet sind, das Strafverfahren seinem Abschluss substanziell näher zu bringen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 2011 – 3 StR 61/11 Rn. 2; Beschluss vom 16. Oktober 2007 – 3 StR 254/07 Rn. 3). Derartige Schiebetermine liegen darüber hinaus auch dann vor, wenn einheitliche Verfahrensvorgänge willkürlich in mehrere kurze Verfahrensabschnitte zerstückelt und diese auf mehrere Verhandlungstage verteilt werden, nur um hierdurch die Unterbrechungsfristen einzuhalten (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2017 – 3 StR 262/17 Rn. 9). b) Hieran gemessen wurde die Hauptverhandlung am 25. Januar 2021 fortgesetzt. Die Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO ist daher im Hinblick auf den Fortsetzungstermin am 15. Februar 2021 gewahrt. Der Termin am 25. Januar 2021 hat die Klärung des im späteren Urteil zugrunde zu legenden Prozessstoffes befördert. Zwar ist die Vorbereitung einer auf die Sicherung eines geordneten Strafverfahrens abzielenden Haftentscheidung für sich genommen keine Sachverhandlung (vgl. auch § 268b StPO; s. zudem BGH, Beschluss vom 15. Februar 2022 – 4 StR 503/21 Rn. 4 zur Dolmetschervereidigung und Pflichtverteidigerbestellung; KMR/Eschelbach, StPO, 42. EL, § 229 Rn. 32). Mit den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten und ihrer Haftbeeindruckung wurden aber Umstände erörtert, die zugleich für die zu treffende Sachentscheidung im Rahmen der Strafbemessung und zudem für die bei drei Angeklagten in Rede stehende Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB von Bedeutung waren. Diese Erörterung „doppelrelevanter“ Umstände war geeignet, die Sache ihrem Abschluss materiell näher zu bringen. Den Berufsrichtern und den Schöffen wurden insbesondere durch die mündlichen Ausführungen der Verteidiger, lagen hierin auch keine Einlassungen der Angeklagten (BGH, Urteil vom 11. März 2020 – 2 StR 69/19 Rn. 20 ff. mwN), bedeutsame Umstände für die Strafzumessung und die Anordnung einer Maßregel sowie rechtliche Einschätzungen zur Gefahrenprognose vor Augen geführt (vgl. auch BGH, Urteil vom 15. Juli 1998 – 1 StR 234/98 Rn. 4 f. zur Feststellung von Haftverhältnissen und Haftdaten sowie BGH, Urteil vom 11. Juli 2008 – 5 StR 74/08 Rn. 11 zu rechtlichen Stellungnahmen). Hierdurch wie durch die bekräftigende Bezugnahme eines Verteidigers auf einen Schriftsatz konnte die Strafkammer unter Berücksichtigung der jeweiligen Replik der Staatsanwaltschaft darauf Bedacht nehmen, die entsprechenden Tatsachen nach Maßgabe von § 244 Abs. 2 StPO in die Hauptverhandlung – ggf. mithilfe von Vorhalten der Verteidigererklärungen gegenüber Vernehmungspersonen – einzuführen oder sie aufzuklären. Diese verfahrensfördernde Wirkung kommt der Entgegennahme entsprechender (ausdrücklicher) Beweisanregungen unter Gewährung rechtlichen Gehörs für weitere Verfahrensbeteiligte gleich, worin ebenfalls ein Verhandeln zur Sache liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2000 – 5 StR 613/99 Rn. 5; s. auch BGH, Urteil vom 28. Juli 2010 – 1 StR 643/09 Rn. 29; Gmel in KK-StPO, 8. Aufl.,

§ 229 Rn. 6 mwN). Dem steht auch unter Berücksichtigung der von der Revision vorgetragenen Gesamtumstände keine willkürliche Aufspaltung einheitlicher Verfahrensvorgänge entgegen.

 

BGH, Beschl. v. 19.7.2022 - 4 StR 64/22

 

 

 

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