Dooring-Unfall: Voller Schadensersatzanspruch des Radfahrers

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 20.10.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht3|3708 Aufrufe

Der Kläger fuhr mit seinem Rennrad an dem Beklagtenfahrzeug entlang. Und natürlich wurde an dem Fahrzeug die Tür geöffnet, damit auch ein Unfall stattfinden kann, der hier Blogthema werden kann. Der Fahrradfahrer wurde böse verletzt, erlitt auch materielle Schäden und klagte. 75 % Schadensersatz hatte er bereits sicher. Er wollte aber ganze 100 %. "Richtigerweise", so das LG Köln.

 

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner auch über die von ihnen anerkannte Haftungsquote von 75 % hinaus verpflichtet sind, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem aus dem Verkehrsunfall vom 31.03.2017 in Engelskirchen noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 3.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 1.089,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von weiteren 237,34 € freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 31 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 69 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in eben dieser Höhe leisten.

Tatbestand
Der Kläger befuhr am 31.03.2017 gegen 17.50 Uhr mit seinem Rennrad die P-Straße in F, auf der eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gilt. Der Beklagte zu 1. hatte sein bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichertes Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen AB-CD 0000 auf Höhe der Hausnummer 00 auf einem rechts neben der Fahrbahn befindlichen Parkstreifen abgestellt und öffnete die Fahrertür, als sich der Kläger mit einer Geschwindigkeit von über 30 km/h von hinten näherte. Durch die Kollision mit der geöffneten Tür kam der Kläger zu Fall. Dabei wurden sein Rad und der Fahrradhelm beschädigt und der Kläger verletzt.

Im Rahmen der anschließenden Untersuchungen im Vinzenz-Pallotti-Hospital wurden eine Fraktur der 1. Rippe rechts in Nähe des Sternums, eine Schultereckgelenksprengung Tossy 1 rechte Schulter, beidseitige Knieprellungen, multiple Schürverletzungen an beiden Schultern, Knien und Ellenbogen, eine Schädelprellung sowie eine HWS-Distorsion diagnostiziert. Der Kläger musste unfallbedingt im Zeitraum vom 31.03.2017 bis zum 02.04.2017 in stationärer Behandlung verbleiben.

Bei einer am 27.04.2017 durchgeführten Kernspintomographie der rechten Schulter wurden folgende Diagnosen gestellt:

"AC-Gelenksprengung nach Rockwood 3 mit subtotaler Ruptur der korakoklavikulären Ligamente und totaler akromioklavikularer Ruptur. Begleitende Bursitis subacromialis und Serom/Hämatom."

Mit Schreiben vom 26.04.2017 wurde die Beklagte zu 2. von den Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Abgabe eines 100%igen Haftungsanerkenntnisses dem Grunde nach aufgefordert. Die Beklagte zu 2. leistete am 28.09.2017 eine Akontozahlung in Höhe von 2.000,00 € sowie gemäß Schreiben vom 05.12.2019 weitere 2.320,38 € (Rechnung Dr. C 20,38 €, Fahrrad Vorschuss 300,00 €, Schmerzensgeld (Vorschuss) 2.000,00 €.) Auf ein weiteres Schreiben der Prozessbevollmächtigten des Klägers erkannte die Beklagte zu 2. mit Schreiben vom 19.12.2019 die Haftung auf Basis einer Quote von 75 % an.

Der Kläger behauptet, er sei mit einem Seitenabstand von 90 cm an dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. vorbeigefahren.

Bei dem Unfall habe er auch ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades erlitten, das auch zu einer kurzen Bewusstlosigkeit am Unfallort geführt habe.

Nach der stationären Behandlung habe sich der Heilungsverlauf unter analgetischer und physiotherapeutischer Behandlung zunächst über ca. acht Wochen erstreckt. Diese seien durch viele Schmerzen, Bewegungs- und Tätigkeitseinschränkungen geprägt gewesen. Der Kläger habe täglich Schmerzmittel in Form von Ibuprofen 800mg und Tilidin 100/8mg einnehmen müssen. Seine Schulter habe er kaum bewegen können. Außerdem habe die Fraktur an der ersten Rippe am Sternum sehr geschmerzt.

Zudem habe der Kläger Tätigkeiten des Alltags wie z.B. seinen Anteil am Haushalt nicht verrichten können. Diese hätten vielmehr von seiner Lebensgefährtin zusätzlich zu ihrem Vollzeitjob als Zahnärztin über ca. acht Wochen vollständig übernommen werden müssen. Zudem hätten insbesondere in den ersten zehn Tagen auch Kopf- und Genickschmerzen durch das erlittene Schädel-Hirn-Trauma Grad 1 im Vordergrund gestanden.

Nach ca. zehn Wochen habe der Kläger, der einmal Weltmeister der Triathleten der Mediziner gewesen sei, versucht, sich langsam und stetig an sportliche Übungen heranzuwagen, nachdem er gute Fortschritte bei der Physiotherapie gemacht habe. Hier habe er jedoch feststellen müssen, dass er aufgrund immer wieder zunehmender Schmerzen und einer Schwellneigung mit schmerzhaften Knochenkrepitationen (Knochenreiben) an den betroffenen Gelenken und einer verbliebenen Instabilität sein geliebtes Schwimmtraining habe aufgeben müssen. Dies bedeute eine sehr große Einschränkung des Wohlbefindens und der Lebensqualität des zuvor ambitionierten Triathleten.

Außerdem habe dies dem als Mediziner tätigen Kläger auch gezeigt, dass er lange, kraftaufwendige Operationen wie z.B. Hüft- und Knieendoprothetik nicht mehr durchführen konnte und er sich somit auch vom Operieren verabschieden musste. Nun arbeite der Kläger ausschließlich konservativ in seinem Beruf als Orthopäde und Unfallchirurg, was auch kaum zu beziffernde finanzielle Einbußen bedeute, wenn er als Unfallchirurg nicht mehr operieren könne.

Aktuell habe der Kläger erfreulicherweise zwar grundsätzlich den vollen Bewegungsumfang im rechten Schultergelenk erreicht. Er werde jedoch nach wie vor regelmäßig durch Schmerzen und Schwellneigung des Gelenks in seine Schranken verwiesen, sollte er im Alltag anstrengendere Dinge wie Rasenmähen oder Heckeschneiden verrichten wollen. Auch sei durch die Zerreißung der akromioklavikulären Bänder und die nicht verheilte Trümmerfraktur der ersten Rippe am Sternum mit einer verfrühten Arthrose und dadurch weiteren Einschränkungen zu rechnen. Bei passiver Bewegung des Gelenks sei im Übrigen bereits eine deutliche Krepitation spürbar, so dass davon auszugehen sei, dass sich im Gelenk bereits eine Arthrose entwickle.

Durch das Unfallgeschehen sei dem Kläger zudem ein erheblicher Sachschaden an seinem hochwertigen Rennrad entstanden. Ein zwischenzeitlich eingeholter Kostenvoranschlag weise einen Nettobetrag in Höhe von 2.489,58 € in Bezug auf Reparaturkosten aus. Auch der Fahrradhelm im Wert von 289,00 € sei bei dem Sturz irreparabel beschädigt worden. Das zum Unfallzeitpunkt ca. ein Jahr alte Rennrad habe der Kläger zu einem Wert von ca. 4.600,00 € bezogen und selbst die Laufräder Carbon Hochprofilfelgen für ca. 3.200,00 € ausgetauscht ebenso wie die Kurbel Sram Red Carbon für 439,00 € sowie zusätzlich an die Pedale ein Wattmesssystems Garmin Vector 2 im Wert von 799,00 € angebaut.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner auch über die von ihnen anerkannte Haftungsquote von 75 % hinaus verpflichtet sind, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die diesem aus dem Verkehrsunfall vom 31.03.2017 in Engelskirchen entstanden sind bzw. noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergegangen sind oder noch übergehen werden;

2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch einen Betrag in Höhe von weiteren 3.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen;

3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger einen weiteren Betrag in Höhe von 2.478,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.02.2020 zu zahlen;

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, den Kläger von den durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von weiteren 383,61 € freizustellen;

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie sind der Ansicht, dass sich der Kläger ein 25 %-iges Mitverschulden an der Unfallentstehung anrechnen lassen müsse.

Der Kläger habe zum einen vor dem Unfall wahrnehmen können, dass das Beklagtenfahrzeug im Begriff gewesen sei einzuparken, so dass auch damit gerechnet werden konnte, dass die Tür möglicherweise geöffnet würde. Zum anderen hätten unfallunabhängige Zeugen sowie der Kläger selbst bestätigt, dass er durchaus gesehen habe, dass sich die Türe eines in einer Parktasche am Fahrbahnrand geparkten Pkw einen Spalt breit geöffnet habe. Der Seitenabstand könne maximal 45 cm betragen haben. Bei Einhaltung eines ausreichenden Seitenabstandes wäre es zu einem Unfallereignis nicht gekommen.

Ein Schädel-Hirn-Trauma habe zu keinem Zeitpunkt bestanden; neurologische Auffälligkeiten hätten ausgeschlossen werden können. Die bei der am 27.04.2017 durchgeführten Kernspintomographie diagnostizierten Verletzungsbilder seien nicht unfallbedingt.

Zum Fahrradschaden sowie zum Helmschaden erklären sich die Beklagten mit Nichtwissen. Jedenfalls sei davon auszugehen, dass ein Fahrrad, welches bereits häufig genutzt worden sei, allenfalls noch die Hälfte des vorgestellten Betrages als Zeitwert innehabe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Die Akten StA Köln 972 Js 3622/17 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 02.11.2021. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen I vom 12.04.2022 verwiesen.

Gründe
Die Klage ist insoweit teilweise unzulässig, als der Kläger mit dem Antrag zu 1. die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für bereits entstandene Schäden begehrt. Wie nicht zuletzt die Anträge zu 2. und 3. zeigen, ist ihm eine Bezifferung der Ansprüche aus dem Verkehrsunfall, der im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits mehr als drei Jahre und acht Monate zurücklag, ohne Weiteres möglich.

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie im erkannten Umfang begründet.

Der Kläger hat dem Grunde nach Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG, 1 Satz 1 PflVG.

Gegen den Beklagten zu 1. spricht der Beweis des ersten Anscheins, den Unfall verschuldet zu haben, weil die Kollision mit dem Fahrrad des Klägers im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Öffnen der Fahrertür erfolgte. Gemäß § 14 Abs. 1 StVO hatte sich der Beklagte zu 1. dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war (OLG Celle, r+s 2019, 286 Rn. 15, beckonline). Dass der Beklagte zu 1. gegen diese Sorgfaltspflicht verstoßen hat, stellen die Beklagten nicht in Abrede, welche die Haftung grundsätzlich anerkannt haben und lediglich meinen, der Kläger müsse sich ein 25 %-iges Mitverschulden anrechnen lassen.

Nach ständiger Rechtsprechung führt ein Verstoß gegen die höchsten Sorgfaltspflichten im Straßenverkehr gemäß § 14 Abs. 1 StVO gegenüber einem nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer - Fahrradfahrer oder Fußgänger - regelmäßig zu einer Alleinhaftung des Pkw-Fahrers, -Halters und -Versicherers, wenn diesem nicht ein Verschulden nachgewiesen wird, weil auf Seiten des nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmers keine Betriebsgefahr zu berücksichtigen ist (OLG Celle aaO, Rn. 16; vgl. auch die weiteren Nachweise bei: Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 16. Auflage 2020, Rn. 389, beckonline).

Ein Mitverschulden des Klägers (§§ 9 StVG, 254 BGB) ist demgegenüber aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles nicht anzunehmen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass dem Kläger der Vorwurf eines nicht ausreichenden Seitenabstandes zu machen war.

Wie groß der Abstand im konkreten Fall zu sein hat, ist eine Frage des Einzelfalles. Dabei kommt es auf die Verkehrslage, Geschwindigkeit und die bauliche Situation, insbesondere die Breite der Straße, sowie die Art der beteiligten Fahrzeuge an. Auf einer breiteren Straße ist ein größerer Abstand zu erwarten, wobei bei großen Fahrzeugen, wie Lastkraftwagen, die unter Umständen einen Luftsog verursachen, auch ein größerer Abstand erforderlich sein kann. Der Seitenabstand soll in der Regel so bemessen sein, dass ein geringfügiges Öffnen einer Fahrzeugtür noch möglich ist. 34 Zentimeter reichen hierfür nicht aus. 50 Zentimeter haben schon genügen können (OLG Celle, aaO, Rn. 22 m.w.N.).

Ausweislich der beigezogenen Ermittlungsakte hatte die Polizei zur Unfallörtlichkeit folgende Feststellungen getroffen, die auch von den Parteien des Rechtsstreits nicht bestritten worden sind:

"Bei der Unfallörtlichkeit handelt es sich um die gut ausgebaute L 136 in der Ortslage F. Die gesamte Fahrbahn ist 5,70m breit und hat je einen Fahrstreifen pro Fahrtrichtung. Die Fahrstreifen sind durch unterbrochene Leitlinien getrennt und die Fahrbahn besteht aus Schwarzdecke, welche trocken war. Beidseitig der Straße sich Parkstreifen angeordnet. Diese waren zum Zeitpunkt der Unfallaufnahme überwiegend belegt und es herrschte hohes Verkehrsaufkommen."

Dem ebenfalls in der Beiakte befindlichen Luftbild lässt sich außerdem entnehmen, dass die beiden Fahrstreifen bis kurz vor der Unfallstelle durch eine Verkehrsinsel getrennt waren, die eine leichte Verschwenkung der Fahrstreifen mit sich brachte (vgl. das Lichtbild Bl. 9 der Beiakte).

Des Weiteren ist aufgrund der eigenen Angaben des Klägers davon auszugehen, dass er mit seinem Rad über 30 km/h schnell gefahren ist, die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit jedoch nicht überschritten hat.

Ferner mag davon ausgegangen werden, dass der Beklagte zu 1. den Einparkvorgang erst kurz zuvor abgeschlossen hatte, bevor sich der Kläger mit seinem Fahrrad annäherte, und dass er die Fahrertür zunächst einen Spalt weit geöffnet hatte.

Die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe einen Seitenabstand von lediglich 45 cm eingehalten, konnte in der durchgeführten Beweisaufnahme nicht bestätigt werden. Der Sachverständige I hat in seinem sorgfältig erarbeiteten Gutachten mit nachvollziehbarer Begründung dargelegt, warum mit technischen Mitteln nicht aufklärbar war, ob der Radfahrer einen Seitenabstand von 45 cm oder von maximal 65 cm zu dem parkenden PKW einhielt, wobei es sich jeweils um den Abstand des äußersten rechten Endes des Fahrradlenkers zur linken Seitenwand des Fahrzeuges handelte. Laut dem Sachverständigengutachten sei aufgrund der Schadensbilder und wegen fehlender ortsfester Spuren, insbesondere des Fahrradreifens, sowohl ein Seitenabstand von 45 cm als auch ein solcher von 65 cm plausibel. Letzterer ergebe sich aus der maximalen Öffnungsweite der Pkw-Tür, die bei 95 cm liege. Auch in diesem Fall habe der Radfahrer den asphaltierten Bereich der Fahrbahn rechts orientiert befahren.

Selbst unter Berücksichtigung des gefahrerhöhenden Umstandes, dass der Kläger mit seinem Rennrad deutlich schneller gefahren ist als die durchschnittliche Geschwindigkeit von Fahrrädern, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden, keinen so großen Seitenabstand zum Fahrzeug des Beklagten zu 1. eingehalten zu haben, dass er selbst bei einer vollständigen Öffnung der Fahrertür nicht mit dieser kollidiert wäre. Jedenfalls mit seiner solch groben Unachtsamkeit durch den Beklagten zu 1. musste der Kläger nicht rechnen, selbst wenn ihm die Umstände Anlass zu der Annahme gaben, die Fahrzeugtür könne geöffnet werden.

Der Höhe nach hält das Gericht ein Schmerzensgeld von insgesamt 7.500,-- € für angemessen, auf das die Beklagten bereits 4.000,-- € gezahlt haben. Dem liegen sowohl die in dem Arztbrief des Vinzenz-Pallotti-Hospitals vom 02.04.2017 (Anlage K 3) niedergelegten unstreitigen Befunde als auch die sich aus dem Bericht der Praxis im Köln Triangle vom 28.04.2017 (Anlage K 4) ergebenden Diagnosen zugrunde. Warum letztere nicht unfallbedingt sein sollen, legen die Beklagten nicht substantiiert dar. Immerhin fand die zugrunde liegende Untersuchung nur vier Wochen nach dem Unfall statt und kommt zu ähnlichen Feststellungen wie der Arztbrief vom 02.04.2017. Die Abweichungen in der Beurteilung lassen sich ohne weiteres durch die unterschiedlichen Untersuchungsmethoden erklären: Während anlässlich des stationären Aufenthaltes Röntgen- und CT-Bilder gefertigt wurden, wurde am 27.04.2017 eine Kernspintomographie durchgeführt.

Auch die vom Kläger geschilderten Beschwerden während des Heilungsprozesses sind plausibel und können zu seinen Gunsten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zugrunde gelegt werden.

Dagegen findet die Behauptung des Klägers, ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten zu haben und nach dem Unfall kurz bewusstlos gewesen zu sein, in den schriftlichen Befunden keine Stütze und ist daher ihrerseits nicht ausreichend substantiiert.

Da Verdienstausfall oder Ersatz eines Haushaltsführungsschadens nicht geltend gemacht werden, bedurfte es insofern keiner weiteren Aufklärung.

Was den Sachschaden betrifft, hält das Gericht den Vortrag des Klägers grundsätzlich für schlüssig. Dass sowohl das Rad als auch der Fahrradhelm bei dem schweren Unfall erheblich beschädigt wurden, ist vollkommen plausibel und ergibt sich auch aus den Feststellungen der Polizei vor Ort. Das beklagtenseitige - zulässige - Bestreiten mit Nichtwissen ist angesichts dessen nicht erheblich.

Allerdings schätzt das Gericht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO die Höhe des Vorteilsausgleichs ("neu für alt"), den sich der Kläger anrechnen lassen muss, auf 50 %, so dass sich noch ein Anspruch in Höhe von 1.089,29 € ergibt (2.489,58 € + 289,-- € x 50 % ./. 300,-- €).

 

LG Köln, Urteil vom 02.08.2022 - 5 O 372/20, openJur 2022, 16586

 

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3 Kommentare

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Dass man da noch immer klagen muss ... § 14 StVO ist doch selten klar formuliert. Da kann doch eigenlich nur noch darum gehen, wie hoch der Schaden ist. Aber natürlich ist es für Radfahrer klüger, einen Meter Abstand von geparkten Kfz zu halten. Denn ein Unfall tut erst mal weh und kann durch Folgeunfälle sogar tödlich sein (z.B. gab es schon das Überrollen des auf der Fahrbahn liegenden Unfallopfers durch einen Lkw). 

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" Und natürlich wurde an dem Fahrzeug die Tür geöffnet, damit auch ein Unfall stattfinden kann, der hier Blogthema werden kann." Eine sehr verwirrende Bemerkung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Radfahrer einen Unfall herausfordert und sich dabei verletzten wird. Bei aehnlichen Unfaellen ist der Bericht in der SZ, Porsche rammt Taxi - schuld ist der Fahrgast, sehenswert,  wahrlich eine richterliche Fehlentscheidung.

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