Verkehrsrechtliche Anordnung von Verkehrszeichen gibt es nicht!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 22.10.2022
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht9|3985 Aufrufe

Bei Geschwindigkeitsverstößen wird häufig problematisiert, ob die maßgeblichen Verkehrszeichen auch wirklich angeordnet wurden. Hintergrund sind Fälle, in denen vor allem in Baustellenbereichen etwa die ausführenden Firmen falsche Beschilderungen aufstellten. Die Rechtsprechung hat natürlich Schwierigkeiten mit Anträgen dahin, die maßgeblichen Anordnungen beizuziehen. Dabei scheint die Beiziehung eines jedenfalls überprüften Beschilderungsplanes  - wie der vorstehend verlinkte Fall oder dieser hier zeigen - nicht wirklich fernliegend. Das AG St. Ingbert sieht (gestützt von OLG-Rechtsprechung) keinen Anlass, derartigen Anträgen nachzukommen:

Wird wie vorliegend von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen, bedarf es der Hinzuziehung eines Beschilderungsplanes bzw. der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 05.05.2020 - Az. 1 OWi SsBs 94/19, juris Rn. 19). Die Messörtlichkeit einschließlich der Beschilderung ist durch das Messprotokoll in der Akte ausreichend dokumentiert, so dass es der Überlassung der verkehrsrechtlichen Anordnung nicht bedarf (OLG Koblenz, Beschluss vom 17.11.2020 - Az. 1 OWi 6 SsRs 271/20, juris Rn. 56). Verkehrszeichen stellen Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen dar, vgl. § 35 VwVfG (BVerwG, Urt. v. 11.12.1996 - Az. 11 C 15/95, NJW 1997, 1021, 1022). Sie sind nach §§ 43 III, 44 VwVfG nur unwirksam, wenn sie nichtig sind, ansonsten ist ein Verwaltungsakt zu befolgen, auch wenn er fehlerhaft ist (OLG Koblenz, Beschluss vom 17.11.2020 - Az. 1 OWi 6 SsRs 271/20, juris Rn. 57). Ein Verwaltungsakt ist nach § 44 I VwVfG nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommender Umstände offenkundig ist, darüber hinaus nur unter den Voraussetzungen des § 44 II VwVfG (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.11.1990 - Az. 5 Ss (OWi) 384/9, NVZ 1994, 204).

AG St. Ingbert Urt. v. 15.9.2022 – 65 Js 667/22, BeckRS 2022, 24322 

Also: Derartige Fragen müssen von der Verteidigung im Zweifel schon im Verfahren bei der Verwaltungsbehörde geklärt werden, notfalls mithilfe des Antrags nach § 62 OWiG.

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9 Kommentare

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Hallo Herr Krumm,

ob eine verkehrsrechtliche Anordnung vorliegt oder da einfach nur ein Schild hängt, kann meiner Ansicht nach sicher nicht über § 62 OWiG geklärt werden. Das ist keine "...Anordnung..., die von der Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren getroffen..." worden ist. Das "...Verkehrzeichen Verwaltungsakte..." sind, meint das BVerwG so sicher nicht. Ein Verkehrszeichen ist ein Verkehrszeichen und sonst gar nichts. Mehr gibt auch die Dokumentation der Messörtlichkeit nicht her. In Fällen, in denen womöglich Angestellte von Baufirmen ohne Sinn und Verstand und vor allem ohne Rücksprache mit der Straßenverkehrsbehörde Schilder aufgestellt haben, ist m. E. entgegen der Auffassung des AG St. Ingbert im Owi-Verfahren zu klären, ob eine straßenverkehrsrechtliche Anordnung vorliegt. Es fehlt sonst am objektiven Tatbestand. Nötig, aber wohl auch ohne Vorlage der Akte ausreichend ist, dass die zuständige Straßenverkehrsbehörde erklärt, dass sie die entsprechende Verkehrsbeschränkung angeordnet hat.

Ggf. meinte Herr Krumm in Bezug auf § 62 OWiG, dass dieser Rechtsbehelf ergriffen werden kann, falls die Verwaltungsbehörde sich weigert, Einsicht in die verkehrsrechtliche Anordnung zu gewähren? Das betrifft nicht die Sachaufklärung, sondern die Verteidigungsrechte und die Rechtslage ist ja auch bei sonstigen "aktenfremden" Unterlagen nicht anders.

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"Ein Verkehrszeichen ist ein Verkehrszeichen".

Ja, und außerdem ist es ein Verwaltungsakt in Gestalt einer Allgemeinverfügung, wenn es Ge- oder Verbote regelt. Ein immer wieder bemühtes Paradebeispiel für die Allgemeinverfügung. An der öffentlich-rechtlichen Natur ändert sich in der Regel auch nichts, wenn es von privaten Baufirmen an einer Baustelle aufgestellt wird. Die Mitarbeiter dieser Baufirmen handeln beim Aufstellen des Verkehrszeichens als Beliehene oder als Verwaltungshelfer öffentlich-rechtlich.

Verwaltungsakte wie Allgemeinverfügungen und Verkehrszeichen können rechtsfehlerhaft und rechtswidrig sein. Gleichwohl sind sie wirksam und von ihren Adressaten zu befolgen. Es sein denn, sie sind nichtig - wie das AG St. Ingbert in seiner Entscheidungsbegründung zutreffend angemerkt hat. Sollte die Anordnung ( § 45 StVO) auch fehlen oder fehlerhaft sein, dann führt das nicht zur Nichtigkeit des Verkehrszeichens.

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Gast schrieb:
Ja, und außerdem ist es ein Verwaltungsakt in Gestalt einer Allgemeinverfügung, wenn es Ge- oder Verbote regelt.

 

Nein, eben nicht. Ein Verkehrsschild allein ist ein Stück Blech. Wenn alles richtig läuft, stellt es die Bekanntgabe einer straßenverkehrsrechtlichen Anordnung = Allgemeinverfügung dar. 

Also: Ein standardisiertes Messverfahren hat natürlich nichts mit der Richtigkeit der Beschilderung zu tun. Ich denke, dass durchaus Bedarf an einer Überprüfung bestehen kann. Im Rahmen des Anspruchs auf Informationsparität, den das BVerfG ja zuletzt betont hat, wird der Verteidiger sicher einen Anspruch auch auf die verkehrsrechtliche Anordnung haben. Ob bei Nichtzurverfügungstellung dann stets eine Rechtsbeschwerde erfolgreich sein wird, mag bezweifelt werden können. Jedenfalls dann, wenn der Verteidiger frühzeitig und insistierend die Anordnungsherausgabe beantragt hat, spricht schon einiges dafür, dass es rechtsfehlerhaft wäre, ohne die Anordnungsherausgabe zu verurteilen. Wird natürlich erstmals ohne jeden Anlass bei einer seit Jahren existierenden Messtelle in der Hauptverhandlung eine verkehrsrechtliche Anordnung verlangt, so kann es vielleicht sein, dass das Gericht wegen § 77 OWiG einem Antrag auf Beiziehung nicht mehr nachkommen muss. Bei einer vorübergehenden Baustelle mag dies wieder anders sein. Wie so oft also, wird das Verfahrensergebnis vom Einzelfall bestimmt werden....

Wenn Bauarbeiter planlos gewürfelt Verkehrszeichen verwenden, muss man schon prüfen können, wer das angeordnet hat. Bei größeren Baustellen oder Baustellen an Hauptverkehrsstraßen kann man aber davon ausgehen, dass die Beschilderung von einer Straßenverkehrsbehörde angeordnet wurde, weil Fehler (z.B. Anordnung Tempo 80, wo man schon mit Tempo 60 ins Schleudern kommt) schwerwiegende Konsequnzen haben können. Manchmal liegt die Kompentenz aber auch bei der Straßenbaubehörde (§ 45 Abs. 2 StVO).

Aber man muss vor der Prüfung erst einmal das Verkehrszeichen beachten, wenn es nicht ganz unsinnig ist (z.B. Mindestgeschwindigkeit 80 km/h in der Baustelle). Allerdings gibt es wirklich Grenzfälle: Baustelle auf dem Bürgersteig eine Tempo 30-Zone. Vor der Baustelle ein Z 240 rechts neben der Fahrbahn. Ist jetzt die Fahrbahn wirklich ab hier ein gemeinsamer Geh- und Radweg? Ich fragte den Vorarbeiter auf der Baustelle im Bezirk Hamburg-Altona. Antwort: "Das hat ein Bearbeiter des Bezirksamts Hamburg-Wandsbek so verlangt." Gegenfrage: "Was hat der hier zu melden?". Ergebniswar, dass der Betrieb das Schild vor ein paar Monaten anschaffen musste, weil es an einer Baustelle auf einem Radweg im Bezirk Wandsbek an einer Hauptverkehrsstraße gebraucht wurde, um dem Radverkehr die Möglichkeit zum Befahren des angrenzenden (breiten) Gehweges zu ermöglichen. Und wo man es schon mal hat, wird es jetzt vor jeder Baustelle aufgestellt. Damit ist das Schild für mich unbeachtlich.

Es gibt aber auch Straßenverkehrsbehörden, die es nicht geregelt bekommen: z.B. Anordnung eines Zweirichtungsradwegs über eine unübersichtliche Grundstücksausfahrt, an der schon mehrere schwere Unfälle zwischen ausfahrenden Lkw (Lkw-Fahrer meist ortsunkundig, da Messegelände) und Geisterradlern passiert sind, weil der Radweg gegenüber jahrelang unter einer Baustelle begraben wird. Hier hat ein Widerspruch bzw. der vorläufige Rechtsschutz das Schild beseitigt.

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Gast schrieb:

Aber man muss vor der Prüfung erst einmal das Verkehrszeichen beachten...

Nein, eben nicht. Beachtung verdienen nicht die Verkehrszeichen, sondern die verkehrsrechlichen Anordnungen, die sie bekannt machen. Wenn Du ein Verkehrszeichen ignorieren willst, solltest Du Dir aber sicher sein, dass das Schild keine verkehrsrechtliche Anordnung (& sei sie fehlerhaft) bekannt macht. Daran dürfte es oft fehlen, so dass Dein Rat im Ergebnis dann doch wieder sinnvoll ist...

Rechtsprechung zur Bedeutung der verkehrsrechtlichen Anordnungen:

VGH Mannheim, Urteil vom 16.12.2009 - 1 S 3263/08

Eine Halteverbotszone mit dem damit verbundenen - sofort vollziehbaren (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO; § 2 Nr. 2 LVwVG) - Wegfahrgebot (vgl. Urteil des erk. Senats vom 27.06.2002 - 1 S 1531/01 -, ESVGH 52, 232 m.N.) ist durch das Aufstellen der entsprechenden Verkehrszeichen nicht wirksam eingerichtet worden. Dem Vorgehen des Umzugsunternehmens lag eine verkehrsrechtliche Anordnung, die die Merkmale eines Verwaltungsakts in Gestalt einer Allgemeinverfügung nach § 35 Satz 2 LVwVfG erfüllt (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.1979 - 7 C 46.78 -, BVerwGE 59, 221), nicht zugrunde. Es fehlt bereits am Handeln einer Behörde (§ 1 Abs. 4 LVwVfG). Die Verkehrszeichen sind deswegen als bloße Schein-Verwaltungsakte (Nichtakte) einzustufen, die jedenfalls insoweit rechtliche Wirkungen nicht entfalten (vgl. etwa Bettermann in: Bachof u.a. , Festgabe BVerwG, 1978, S. 61 ; v. Mutius, VerwArch 62 300 ; U. Stelkens in: Stelkens u.a. , VwVfG, 7. Aufl. 2008, § 35 Rn. 62; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 16.03.1976 - Ss 53/76 -, VerkMitt 1977, Nr. 5). Auf die im erstinstanzlichen Verfahren aufgeworfenen Fragen, wann und wie im Einzelnen die Verkehrszeichen aufgestellt worden sind und ob sie als nichtig i.S.v. § 44 LVwVfG einzustufen wären (siehe dazu Janker in: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, § 39 StVO Rn. 10 f.; König in: ders./Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 39 StVO Rn. 31, § 41 Rn. 246 , jeweils m.N.), kommt es demnach nicht an.

OLG Brandenburg, NZV 1997, 481
Ein Verkehrszeichen, das ohne Anordnung der Straßenverkehrsbehörde von einem privaten Grundstückseigentümer aufgestellt wurde, ist ungültig und nichtig.

Klaus Weber, Regierungsdirektor a.D.

www.hansklausweber.de

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Na toll. Stelle ich mein Auto 100 Mal in temporäre Parkverbot und erziele 10 Mal Erfolg mit dem Hinweis "Nichtakt". Dummerweise zahle ich dann trotzdem 90 Mal das "Ticket" und verliere meinen Führerschein wegen nachweislich fehlender charakterlicher Eingnung, wenn diese 90 Verstöße sich auch noch zeitlich ballen (So sahe es einst zu Recht das VG Berlin). Oder sind zu Recht aufgestellte Schilder neuerdings sio gesiegelt, dass ich zwischen Nichtakten und Verwaltungsakten auch nach Dienstschluss der sachlich und örtlich zuständigen Behörde sauber unterscheiden kann?

Machen wir uns nichts vor. Solche Urteile belohnen Zufallstreffer, mehr nicht.

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