EuGH erneut zum Kopftuchverbot

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 25.10.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1927 Aufrufe

Nachdem der EuGH in der Vergangenheit bereits mehrfach auf Vorlage französischer, belgischer und deutscher Gerichte mit der Frage befasst war, ob Arbeitgeber das Tragen eines islamischen Kopftuches untersagen können, hatte er jetzt erneut über einen solchen Fall zu entscheiden.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens wendet sich dagegen, dass ihre Initiativbewerbung um einen Praktikumsplatz nicht berücksichtigt wurde, weil sie während des Bewerbungsgesprächs angegeben hatte, dass sie sich weigere, ihr Kopftuch abzunehmen. Die Beklagte (S.C.R.L.) verwaltet Sozialwohnungen und verfolgt in ihrer Arbeitsordnung eine Neutralitätspolitik. Nachdem die Klägerin ihre Bewerbung erneuert und angeboten hatte, eine andere Kopfbedeckung zu tragen, teilte man ihr mit, dass in den Geschäftsräumen von S.C.R.L. überhaupt keine Kopfbedeckung erlaubt sei, sei es eine Mütze, eine Kappe oder ein Kopftuch.

Die Klägerin zeigte daraufhin bei der für die Bekämpfung der Diskriminierung zuständigen unabhängigen öffentlichen Einrichtung eine Diskriminierung an und erhob sodann beim französischsprachigen Arbeitsgericht von Brüssel eine Unterlassungsklage. Das Arbeitsgericht hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die in der Richtlinie 2000/78/EG verwendeten Begriffe „Religion oder … Weltanschauung“ als zwei Facetten ein und desselben geschützten Merkmals oder vielmehr als zwei verschiedene Merkmale anzusehen sind. Zudem möchte es vom Gerichtshof wissen, ob das in der Arbeitsordnung von S.C.R.L. niedergelegte Verbot, ein konnotiertes Zeichen oder Bekleidungsstück zu tragen, eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion darstellt.

Der EuGH hat seine bisherige Linie fortgesetzt und entschieden:

  1. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass die darin enthaltenen Begriffe „Religion oder … Weltanschauung“ einen einzigen Diskriminierungsgrund darstellen, der sowohl religiöse als auch weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen umfasst.
  2. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass eine Bestimmung in einer Arbeitsordnung eines Unternehmens, die es den Arbeitnehmern verbietet, ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, welche diese auch immer sein mögen, durch Worte, durch die Kleidung oder auf andere Weise zum Ausdruck zu bringen, gegenüber Arbeitnehmern, die ihre Religions‑ und Gewissensfreiheit durch das sichtbare Tragen eines Zeichens oder Bekleidungsstücks mit religiösem Bezug ausüben möchten, keine unmittelbare Diskriminierung „wegen der Religion oder der Weltanschauung“ im Sinne dieser Richtlinie darstellt, wenn diese Bestimmung allgemein und unterschiedslos angewandt wird.
  3. Art. 1 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass nationale Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie in das nationale Recht, die dahin ausgelegt werden, dass religiöse und weltanschauliche Überzeugungen zwei verschiedene Diskriminierungsgründe darstellen, als „Vorschriften …, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vorschriften sind“, im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 berücksichtigt werden können.

EuGH, Urt. vom 13.10.2022 - C-344/20, BeckRS 2022, 27254

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