OLG München: Wie lange sind die Vorschriften für börsennotierte Unternehmen nach einem Delisting anwendbar?

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 09.11.2022

Das OLG München hat mit Beschluss vom 29. Juni 2022 (7 AktG 2/22; BeckRS 2022, 17306) u. a. zu der Frage Stellung genommen, welche Regeln für eine Hauptversammlung gelten, wenn die Börsennotierung in der Zeit zwischen der Einberufung und dem Tag der Hauptversammlung wegfällt.

Wegfall der Börsennotierung kurz nach HV-Einladung

Die Entscheidung betrifft eine zunächst börsennotierte AG, deren Aktien per Übernahmeangebot mehrheitlich von einer erfolgreichen Bietergesellschaft erworben wurden. Die AG beantragte darauf bei den Börsen Frankfurt und München den Widerruf ihrer Zulassungen zum regulierten Markt. Die Frankfurter Zulassung endete zum 20. Dezember 2021; die Münchener Zulassung wurde mit Schreiben vom 30. November 2021 und Wirkung zum 30. Dezember 2021 widerrufen. Am 23. Dezember 2021 wurde im Bundesanzeiger die Einladung zur Hauptversammlung am 3. Februar 2022 veröffentlicht. Die Hauptversammlung fasste u. a. mit den Stimmen der Bieterin Beschluss.

Aktionärsrechterichtlinie ab Wirksamwerden des Delistings nicht mehr maßgeblich

Der Senat hatte im Freigabeverfahren über die Eintragungsfähigkeit der Beschlussfassung zu entscheiden. In seiner Entscheidung weist er zunächst Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Einladung zurück. Verschiedene Beschlussmängelkläger hatten diese auf eine sog. richtlinienkonforme Auslegung einer AktG-Norm im Einklang mit der Aktionärsrechterichtlinie 2007/36/EG gestützt. Wegen des Wegfalls der Börsennotierung zum 30. Dezember 2021, so der Senat, sei die Richtlinie – die nur für börsennotierte Gesellschaften gilt – in Bezug auf die Hauptversammlung im Februar 2022 nicht anwendbar. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass die Einladung noch vor Wegfall der Börsennotierung veröffentlicht worden sei.

Kein nachwirkender WpHG-Stimmrechtsausschluss über Delisting hinaus

Auch einen Ausschluss des Stimmrechts der Bieterin wegen Verstößen gegen Mitteilungspflichten gemäß § 33 Abs. 1, § 44 WpHG verneint der Senat. Mit Wirksamwerden des Delistings zum 30. Dezember 2021 seien auf die AG nur noch die – hier erfüllten – Mitteilungspflichten aus § 20 AktG anwendbar gewesen und sei für die Folgen eines Verstoßes ausschließlich § 20 Abs. 7 AktG maßgeblich. Die strikte Trennung zwischen WpHG- und AktG-Regelungen ergebe sich u. a. aus § 1 Abs. 1 Nr. 7 WpHG, der den Anwendungsbereich der WpHG-Regeln auf börsennotierte Gesellschaften beschränke. Selbst bei unterstelltem Verstoß gegen § 33 WpHG komme daher mit Wegfall der Börsennotierung ein nachwirkender Rechtsverlust gemäß § 44 WpHG nicht mehr in Betracht. Der Senat schließt sich damit der herrschenden Literaturansicht an, zu der sich bislang – soweit ersichtlich – noch kein anderes Gericht geäußert hatte.

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