BAG: Auch Urlaubsstunden zählen für Mehrarbeitszuschläge

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 17.11.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1819 Aufrufe

Ein BAG-Urteil, das so zu erwarten war, hatte doch bereits der EuGH die Richtung gewiesen. Konkret ging es um einen Leiharbeitnehmer, der im Jahr 2017 bei einem Verleihunternehmen in Vollzeit mit einem Bruttostundenlohn im Jahr 2017 von 12,18 Euro beschäftigt war. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien galt aufgrund beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit in der Fassung vom 17. September 2013 (MTV). § 4.1.2. MTV bestimmt, dass Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 25 % für Zeiten gezahlt werden, die im jeweiligen Kalendermonat über eine bestimmte Zahl geleisteter Stunden hinausgehen. Im Monat August 2017, auf den 23 Arbeitstage entfielen, arbeitete der Leiharbeitnehmer 121,75 Stunden und nahm 10 Tage Urlaub in Anspruch, die seine Arbeitgeberin mit 84,7 Stunden abrechnete. Mehrarbeitszuschläge leistete sie für diesen Monat nicht. Mit seiner Klage verlangt der Leiharbeitnehmer Mehrarbeitszuschläge für die über 184 Stunden hinausgehenden Stunden und meint, die für den Urlaub abgerechneten Stunden seien einzubeziehen.

Dieser Rechtsstreit führte in letzter Instanz zu einem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH (BAG Beschluss vom 17.6.2020 – 10 AZR 210/19 (A), NZA 2020, 1551). Daraufhin hatte der EuGH (Urteil vom 13.1.2022 – C-514/20, NZA 2022, 205) – entschieden, dass das Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG einer tariflichen Regelung entgegensteht, nach der für die Berechnung, ob und für wie viele Stunden einem Arbeitnehmer Mehrarbeitszuschläge zustehen, nur die tatsächlich gearbeiteten Stunden berücksichtigt werden, nicht aber die Stunden, in denen der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub in Anspruch nimmt.

Das BAG (Urteil vom 16.11.2022 – 10 AZR 210/19, PM 44/22) setzt diese Direktive jetzt um: Die tarifliche Regelung des § 4.1.2 MTV müsse bei gesetzeskonformer Auslegung so verstanden werden, dass bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nicht nur tatsächlich geleistete Stunden, sondern auch Urlaubsstunden bei der Frage mitzählten, ob der Schwellenwert, ab dem solche Zuschläge zu zahlen sind, überschritten werde. Anderenfalls wäre die Regelung geeignet, den Arbeitnehmer von der Inanspruchnahme seines gesetzlichen Mindesturlaubs abzuhalten, was mit § 1 BUrlG in seinem unionsrechtskonformen Verständnis nicht vereinbar wäre.

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