In guten Händen: Was sich mit der großen Betreuungsrecht-Reform 2023 ändern soll

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 08.12.2022
Rechtsgebiete: Bürgerliches Recht|3891 Aufrufe
Betreuungsrecht Reform 2023

Die umfassendste Reform des Betreuungsrechts und Vormundschaftsrechts seit 30 Jahren bringt 2023 wichtige Neuregelungen. Die lang erwartete Novelle zielt vor allem auf eine stärkere Autonomie und Selbstbestimmung unterstützungsbedürftiger Menschen. Wir sprachen mit Claudia Beetz, Professorin für Rechtswissenschaften in Jena und Schriftleiterin der Zeitschrift BtR - Betreuungsrecht aktuell, über die anstehenden Veränderungen, darunter auch ein automatisch eintretendes Notvertretungsrecht für Ehegatten.

Das neue Betreuungsrecht soll dem Betreuten größtmögliche Selbstbestimmung einräumen. War das nicht schon immer so?
Beetz: An sich schon. Das noch bis zum Ende des Jahres geltende Betreuungsrecht verfolgte bereits das Ziel, das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Personen so weit wie möglich zu erhalten. Sowohl die Einrichtung der Betreuung (§ 1896 BGB) als auch die Tätigkeit der Betreuerinnen und Betreuer (§ 1901 BGB) waren am Erforderlichkeitsgrundsatz zu messen, wobei die Wünsche der betreuten Person zu berücksichtigen waren. Allerdings sah das Gesetz hier Grenzen vor, wie das Wohl der betreuten Person. Außerdem sollten zur Auslegung der Erforderlichkeit von Betreuungsmaßnahmen eigentlich auch die Ziele und Inhalte der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die Deutschland 2009 als Bundesrecht ratifiziert hat, mit herangezogen werden. In der Praxis hat sich diese Anforderung - wie auch die zur Vorbereitung des Gesetzgebungsverfahrens durchgeführten Forschungsvorhaben zur Umsetzung des Erforderlichkeitsgrundsatzes in der betreuungsrechtlichen Praxis gezeigt haben - jedoch nicht hinreichend durchgesetzt.

Wie soll das Selbstbestimmungsrecht durch die Neuregelungen nun gesichert werden?
Das neue, ab 1.1.2023 geltende Betreuungsrecht, enthält zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts mehrere Bausteine, von denen ich den vielleicht wichtigsten, die sogenannte Magna Charta des neuen Betreuungsrechts, vorstellen möchte. Danach ist die unterstützende Entscheidungsfindung, wie sie in der UN-Behindertenrechtskonvention beschrieben ist, nun ausdrücklich umzusetzen.

Art. 12 UN-BRK sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt Rechts- und Handlungsfähigkeit genießen und diesen die Unterstützung zu verschaffen ist, die sie bei der Ausübung ihrer Rechts- und Handlungsfähigkeit gegebenenfalls benötigen. In der zukünftigen Fassung des § 1821 § Abs. 1 BGB - das Betreuungsrecht beginnt nunmehr ab dem § 1814 BGB n.F. und wurde neu gegliedert - wird in Satz 2 folglich ausdrücklich geregelt, dass die Betreuerinnen und Betreuer die betreuten Personen dabei zu unterstützen haben, ihre Angelegenheiten rechtlich selbst zu besorgen. Sie sollen ihnen also helfen, durch Erläuterungen, Beispiele und Ähnliches rechtliche Entscheidungen selbst zu treffen. Das Stellvertretungsrecht aus § 1823 BGB n.F. dürfen sie nur wahrnehmen, wenn die betreute Person dies nicht selbst kann, z.B. weil sie geschäftsunfähig ist. Aber auch in dieser Situation sind die Betreuerinnen und Betreuer an geäußerte Wünsche der betreuten Personen gebunden. Von diesen Wünschen können die Betreuerinnen und Betreuer - anders als früher - nicht mehr abweichen, weil sie meinen, das wäre nicht gut für die betreuten Personen.

Der Wohlbegriff, der an verschiedenen Stellen im Gesetz als Grenze der Wunschbeachtungspflicht auftauchte, ist als Relikt aus der Zeit der Vormundschaft gestrichen worden. Nun ist eine Nichtbeachtung der Wünsche - egal, für wie unsinnig sie der Betreuer oder die Betreuerin halten mag - nur noch möglich, wenn durch die Umsetzung die Person oder das Vermögen des Betreuten erheblich gefährdet und dieser die Gefahr aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung nicht erkennen oder nicht nach dieser Erkenntnis handeln kann oder wenn eine Durchsetzung der Betreuerin bzw. dem Betreuer nicht zuzumuten ist.

Der Fremdbetreuung haftet teilweise ein negativer Beigeschmack an. Fälle von finanziellem Missbrauch oder Verwahrlosung gelangen immer mal wieder in die Schlagzeilen. Was kann das neue Betreuungsrecht an
dieser Stelle bewirken?

Das ist ein heikles Thema. Zunächst möchte ich aber eine Lanze für die Vielzahl von engagierten und qualitativ hochwertig arbeitenden Berufsbetreuerinnen und -betreuer brechen. Es ist aber zutreffend, dass es Missbrauchsfälle gibt. In den bisherigen Regelungen existierten keine fachlichen Mindestanforderungen oder Zulassungsverfahren, um als berufliche Betreuerin und Betreuer tätig zu sein. Im noch geltenden § 1897 Abs. BGB wird lediglich die Eignung gefordert, die Angelegenheit der betreuten Person rechtlich zu besorgen und diese in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen. Dass die Betreuung berufsmäßig geführt wird, wird in dem Bestellungsbeschluss durch das Betreuungsgericht festgestellt. Angeknüpft wird hierbei an die Voraussetzung, dass die jeweilige Person zehn Betreuungen führt (§ 1 VBVG). In der Neuregelung ist in § 1816 Abs. § 1 BGB ein ähnlicher Wortlaut zu finden, der auf die Eignung abstellt - stärker hervorgehoben wird aber die Fähigkeit, den persönlichen Kontakt zur betreuten Person zu halten.

In dem neu geschaffenen Betreuungsorganisationsgesetz (BtOG), das das Betreuungsbehördengesetz ablöst,
aber auch neue Regelungskomplexe enthält, ist nunmehr in § 19 2 Abs. 2 BtOG geregelt, dass berufliche Betreuerinnen und Betreuer bei der sogenannten Stammbehörde registriert werden müssen. Für diese in §§ 23, 24 BtOG geregelte Registrierung sind folgende Voraussetzungen nachzuweisen: die persönliche Eignung und Zuverlässigkeit, der Abschluss einer ausreichenden Berufshaftpflichtversicherung sowie eine ausreichende Sachkunde für die Tätigkeit als beruflicher Betreuer oder Betreuerin. In § 23 Abs. 2 BtOG sind Regelbeispiele aufgeführt, in denen es an der erforderlichen Zuverlässigkeit fehlt, unter anderem, wenn Berufsverbote nach § 70 StGB bestehen, wenn die Person in den letzten drei Jahren rechtskräftig wegen eines Verbrechens oder eines vorsätzlich begangenen, für die Führung der Betreuung relevanten Vergehens verurteilt wurde, aber auch, wenn eine Registrierung als Berufsbetreuer bzw. -betreuerin in den letzten drei Jahre widerrufen wurde oder bei ungeordneten Vermögensverhältnissen. Über diese Regelungen hinaus, finden sich noch weitere Normen im neuen Betreuungsrecht, um Missbrauch zu verhindern, so etwa die Möglichkeit von Berufsgeheimnisträgern anonym Anzeigen zu erstatten.

Wie ist denn in diesem Zusammenhang der aktuelle Stand zum künftig erforderlichen Sachkundenachweis für Betreuerinnen und Betreuer?
Für den Sachkundenachweis sind Kenntnisse in den relevanten rechtlichen Regelungen, der Kommunikation mit Personen mit Erkrankungen und Behinderungen sowie von Methoden zur Unterstützung der Entscheidungsfindung erforderlich - dies war bereits in § 23 BtOG geregelt. Welche Kenntnisse dies genau umfasst, bestimmt nunmehr die »Verordnung über die Registrierung von beruflichen Betreuern - Betreuerregistrierungsverordnung (BtRegV)«. Hiernach sind Nachweise der Sachkunde insbesondere durch den erfolgreichen Abschluss eines Sachkundelehrgangs im Umfang von 270 Stunden zu erbringen. Ausführlich beschäftigt sich damit Holger Marx in einem zweiteiligen Aufsatz in der neuen Beck-Zeitschrift BtR (Heft 4 und 5). Ein Sachkundenachweis muss übrigens, wie in letzter Minute vom Bundesrat noch in die Verordnung eingefügt wurde, von Volljuristinnen und -juristen nicht erbracht werden.

Diese vollständige Privilegierung ist aus meiner Sicht aufgrund der gestiegenen Kommunikationsanforderungen nicht unproblematisch, da die nachzuweisende Sachkunde nebenrechtlichen Kenntnissen auch Grundlagen der betreuungsspezifischen Kommunikation und Methoden zur Unterstützung bei der Entscheidungsfindung umfasst.

»Der Wohlbegriff, der an verschiedenen Stellen im Gesetz als Grenze der Wunschbeachtungspflicht auftauchte, ist als Relikt aus der Zeit der Vormundschaft gestrichen worden.«
Prof. Dr. Claudia Beetz

Für Ehegatten tritt im Zuge der Reform ein Notvertretungsrecht in Kraft. Bedarf es da noch einer Vorsorgevollmacht?
Da ist meine Antwort ganz klar: Ja, der Bedarf besteht noch - vielleicht sogar gerade deshalb. Ich möchte dies zunächst damit begründen, dass es sich lediglich um ein »Not«vertretungsrecht handelt, das sowohl zeitliche als auch inhaltliche Grenzen hat. Dieses ab 1.1.2023 in § 1358 BGB - also im Eherecht - geregelte Vertretungsrecht bezieht sich zunächst nur auf gesundheitliche Angelegenheiten sowie damit im Zusammenhang stehende vertragliche Regelungen. Insbesondere für die Vermögenssorge wurde das Notvertretungsrecht nicht eingeführt - hier ist noch immer eine Betreuung bzw. Vollmacht erforderlich, wenn z.B. auf Konten zugegriffen werden muss. Es gilt zudem nur für Ehegatten, nicht für sonstige Angehörige oder sogar Freunde. Nach Ablauf der zeitlichen Grenze von sechs Monaten und weiterhin bestehendem Betreuungsbedarf ist die Einrichtung einer Betreuung erforderlich, so dass auch deshalb eine Vorsorgevollmacht sinnvoll ist. 

Sie fragen sich vielleicht, in welchen Fallgestaltungen das Notvertretungsrecht dann hilfreich ist: Ich denke im Wesentlichen für akute Notfälle, etwa nach Unfällen, wenn der vertretene Ehegatte nicht mehr einwilligungsfähig ist, zum Beispiel wenn er im Koma liegt. Es entsteht dann automatisch. Bisher hatten Ehegatten in solchen Fällen keinerlei Vertretungsbefugnis, obwohl es in der Gesellschaft wohl die Vorstellung gibt, dass ein solches Recht besteht. Dies war auch der Anlass für dieses und bereits frühere Gesetzesvorhaben zur Einführung eines Vertretungsrechts für Ehegatten. Die vertretenden Ehegatten dürfen dann, wenn die vertretenen Ehegatten aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit ihre Angelegenheiten der Gesundheitssorge rechtlich nicht besorgen können, in die Durchführung von medizinischen Maßnahmen einwilligen oder diese ablehnen, Behandlungsverträge etc. schließen, aber auch in freiheitsentziehende Maßnahmen, zum Beispiel auch Fixierungen einwilligen. Zum Teil erfordern die Entscheidungen aber - wie auch bei Betreuerinnen und Betreuern sowie Vorsorgebevollmächtigten - eine Genehmigung durch das Betreuungsgericht.

»Ein Sachkundenachweis muss übrigens von Volljuristinnen und -juristen nicht erbracht werden. Diese vollständige Privilegierung ist aus meiner Sicht aufgrund der gestiegenen Kommunikationsanorderungen nicht unproblematisch«
Prof. Dr. Claudia Beetz

Das hört sich zunächst einmal sinnvoll an.
Ja. Problematisch ist aus meiner Sicht aber, wie die Berechtigung zum Vertretungsrecht geprüft werden soll. Hierzu müssen sich die Ärztinnen und Ärzte von dem vertretenden Ehegatten schriftlich versichern lassen, dass das Vertretungsrecht bisher nicht ausgeübt wurde und kein Ausschlussgrund vorliegt. Ausschlussgründe sind zum Beispiel das Getrenntleben der Ehegatten oder wenn dem Ehegatten bekannt ist, dass der vertretene Ehegatte die Vertretung ablehnt oder bereits eine Vollmacht erteilt bzw. eine Betreuung eingerichtet ist.

Eine Missbrauchskontrolle ist nicht vorgesehen; nach der Begründung im Gesetzentwurf der Bundesregierung haben sowohl der vertretende Ehegatte als auch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte keine spezifische Prüf- oder Nachforschungspflicht herauszufinden, ob der andere Ehegatte eine Vertretung ablehnt oder ob eine Vorsorgevollmacht vorliegt. Ärztinnen und Ärzte können jedoch das Vorsorgeregister einsehen.

Im Rahmen der Reform sollen auch die Rechte von Kindern und Pflegeeltern gestärkt werden. Können Sie uns hierzu zum Abschluss noch die wesentlichen Punkte erläutern?
Neben dem Betreuungsrecht wurde auch das Vormundschaftsrecht reformiert, das in Teilen noch aus dem Jahr 1896 stammte. Hierbei stand vor allem im Vordergrund, dass das Mündel - den Begriff hat der Gesetzgeber leider nicht aufgegeben - nunmehr als Rechtssubjekt im Vordergrund steht. Dies zeigt sich unter anderem in den Neuregelungen der §§ 1788, 1790 BGB n.F., in denen die Rechte der Kinder und die Aufgaben der Vormünder nunmehr ausdrücklich und zusammengefasst geregelt sind. In § 1788 BGB n.F. wird die Achtung des Willens des Mündels hervorgehoben, der damit auch an die UN-Kinderrechtskonvention anknüpft.

Vielen Dank für das Gespräch.

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