Weinjahr 2022 – Traubensaft kein alkoholfreier Wein

von Michael Else, veröffentlicht am 28.12.2022

LG Berlin, Urteil vom 19.5.2022 – 52 O 273/21 (nicht rechtskräftig)

Der Dachverband der Verbraucherzentralen hat einen Unterlassungsanspruch gegen einen französischen Hersteller erwirkt, der unter der Bezeichnung „Zera Chardonnay, Alkohol Free“ ein Produkt vertreibt, das in der Aufmachung einem Wein täuschend ähnlich sieht, allerdings nur aus Extrakten und Traubensaft besteht.

Hintergrund

Nach dem Zutatenverzeichnis besteht das beanstandete Produkt aus Traubenkernextrakt, Hefeextrakt und Traubensaft aus Chardonnay-Trauben. Abgefüllt war das Getränk in einer Burgunderflasche (gebräuchliche Form einer Weinflasche). Auf dem Etikett der Flaschenvorderseite befindet sich die Bezeichnung „Zera Chardonnay" und unter anderem der Hinweis „Alcohol free, sans alcool“. Auf der Flaschenrückseite befindet sich ein Etikett, auf dem es ua heißt: „Alkoholfreies Getränk aus Traubenkernextrakt, Hefeextrakt und Chardonnay Traubensaft unfermentiert".

Die Verbraucherzentralen haben darin einen Versuch des Herstellers gesehen, durch die Gestaltung der Flaschen den Eindruck zu erwecken, es handele sich um einen alkoholfreien Wein. Dies verstoße gegen die Vorschriften der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV), wonach Lebensmittel nicht irreführend sein dürfen.

 

aus den Gründen

Das Gericht schloss sich der Rechtsansicht der Klägerin an und sah in dem Produkt einen Verstoß gegen Artikel 7 der LMIV (bzw. Verordnung (EU) 1169/2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel, um genau zu sein).

„Gemäß Art. 7 Abs. 1 LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein. Eine Information über Lebensmittel ist irreführend, wenn sie zur Täuschung geeignet ist. Zur Täuschung geeignet ist eine Information dann, wenn sie den tatsächlichen Gegebenheiten nicht entspricht und daher geeignet ist, bei den angesprochenen Verkehrskreisen zumindest auch unrichtige Vorstellungen über das Produkt zu erwecken (Voit/Grube, LMIV, 2. Aufl., Rn. 46 zu Art. 7, OLG Karslruhe, LMuR 2012, 104). Dies kann auch dann der Fall sein, wenn eine Lebensmittelinformation mehrere Deutungsmöglichkeiten zulässt und nur eine dieser Deutungsmöglichkeiten nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt. Die Gesamtaufmachung des Lebensmittels ist entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob eine lrreführungseignung gegeben ist (Voit/Grube a.a.O., Rn. 47, EuGH LMuR 2015, 125; BGH, GRUR 2003, 631). Hierzu gehören neben dem Wortlaut werblicher Aussagen auch Bilder bzw. Grafiken. Potenziell irreführende Angaben oder Abbildungen können durch erläuternde Zusatzangaben relativiert werden (BGH, GRUR 2003, 631 ). Auch die Informationen des Zutatenverzeichnisses sind heranzuziehen, wenn die Zusammensetzung des Lebensmittels für die Kaufentscheidung des Verbrauchers relevant ist (vgl. EuGH, Rs. C-51/94, Slg. 1 1995, 3599 = ZLR 1995, 667). Allerdings ist nicht jede klarstellende Angabe geeignet, eine lrreführungsgefahr zu beseitigen (vgl. z.B. OLG Köln, LMRR 2004, 90 = GRUR-RR 2005, 94).“

Das Gericht sah sich selbst als angesprochener Verbraucherkreis an und ist der Überzeugung, dass ein relevanter Teil der Verbraucherschaft bei dem konkreten Produkt einen alkoholfreien Wein erwarte, nicht aber ein Produkt aus Traubensaft und weiteren Zutaten.

Das Gericht führt zu seinen Erwägungen unter anderem aus:

  • Die verwendete Burgunderflasche sei als Weinflasche bekannt und wir für Rotwein und Weißwein (meist Chardonnay) verwendet. Es komme nicht darauf an, ob die Flaschenform auch in anderer Weise gebraucht werde.
  • Die Flasche sei so mit Etiketten versehen und auch im Bereich des Flaschenhalses so gestaltet, wie der Verbraucher es von Weinflaschen kenne.
  • Auf dem Etikett werde zudem der Begriff „Chardonnay“ verwendet, die Bezeichnung einer sehr bekannten und populären weißen Rebsorte. Zwar sei der Name einer Rebsorte nicht nur einem Wein vorbehalten. Konkret werde dieser aber in einer Weise auf dem Etikett und ohne Hinweis auf ein anderes Produkt als Wein verwendet, dass der Verbraucher auf einen Wein schließe.
  • Der Hinweis „alcohol free“ führe allein zu der Erwartung, dass das Produkt keinen Alkohol enthalte. Dies bestärke auch der Begriff „Zera“, der eine Assoziation an „zero“ wecke, welches die Alkoholfreiheit nochmals in den Fokus stelle.
  • Werde die Vorstellung vermittelt, es handele sich um einen alkoholfreien Wein, dann könne der veranlassten Irrtum durch einen klaren und unmissverständlichen Hinweis ausgeschlossen werden, wenn dieser an prominenter Stelle angebracht werde. Die schwer erfassbare Angabe auf der Rückseite der Flasche, dass es sich um einen Traubensaft handele, reiche nicht aus.

 

Artikel 7 LMIV, Lauterkeit der Informationspraxis

(1)   Informationen über Lebensmittel dürfen nicht irreführend sein, insbesondere

a) in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung;

b) indem dem Lebensmittel Wirkungen oder Eigenschaften zugeschrieben werden, die es nicht besitzt;

c) indem zu verstehen gegeben wird, dass sich das Lebensmittel durch besondere Merkmale auszeichnet, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Merkmale aufweisen, insbesondere durch besondere Hervorhebung des Vorhandenseins oder Nicht-Vorhandenseins bestimmter Zutaten und/oder Nährstoffe;

d) indem durch das Aussehen, die Bezeichnung oder bildliche Darstellungen das Vorhandensein eines bestimmten Lebensmittels oder einer Zutat suggeriert wird, obwohl tatsächlich in dem Lebensmittel ein von Natur aus vorhandener Bestandteil oder eine normalerweise in diesem Lebensmittel verwendete Zutat durch einen anderen Bestandteil oder eine andere Zutat ersetzt wurde;

(2)   Informationen über Lebensmittel müssen zutreffend, klar und für die Verbraucher leicht verständlich sein.

(3)   Vorbehaltlich der in den Unionsvorschriften über natürliche Mineralwässer und über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, vorgesehenen Ausnahmen dürfen Informationen über ein Lebensmittel diesem keine Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen.

(4)   Die Absätze 1, 2 und 3 gelten auch für

a) die Werbung;

b) die Aufmachung von Lebensmitteln, insbesondere für ihre Form, ihr Aussehen oder ihre Verpackung, die verwendeten Verpackungsmaterialien, die Art ihrer Anordnung und den Rahmen ihrer Darbietung. 

 

Entscheidung

Das Gericht sieht einen klaren Verstoß gegen Art. 7 LMIV, gemäß 7 Abs. 1 LMIV dürfen Informationen über Lebensmittel nicht irreführend sein. Eine irreführende Aufmachung ist unzweifelhaft gegeben, so dass dem Unterlassungsanspruch stattzugeben war.

Dabei hat sich das Gericht noch nicht einmal mit den Verbotsbeständen aus §§ 25, 26 des Weingesetzes befasst und einen möglichen Verstoß offengelassen. Zwar gilt das Weingesetz nicht für das Verarbeiten und Inverkehrbringen von Traubensaft (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 WeinG). §§ 25, 26 WeinG beinhalten aber einen Schutz vor Täuschung, Bezeichnungsschutz und Schutz vor Verwechslung. In § 26 Abs. 2 WeinG ist das ausdrückliche Verbot des Inverkehrbringens von Getränken normiert, die mit einem „Erzeugnis“ verwechselt werden können. Wein, bzw. alkoholfreier Wein sind „Erzeugnis“ im Sinne des Weinrechts. Auch unter diesem Gesichtspunkt wäre das Produkt „Zera Chardonnay“ ohne Weiteres von einem Verkehrsverbot erfasst.

Es kommt also auf die Bewertung des individuellen Einzelfalls an, somit auf die Zusammensetzung des Produkts, die gesamte Aufmachung und Ausstattung der Flasche als Verkaufsbehältnis. Allein die Abfüllung des Produkts in einer üblichen Flaschenform von Weinflasche führt noch nicht zu einer Irreführung. Selbst im Fall irreführender Angaben könnte dies grundsätzlich noch durch erläuternde Zusatzangaben relativiert werden.

 

Anmerkung zum Schluss

Das Gericht hat wie selbstverständlich angenommen, dass es sich bei „Zera Chardonnay“ tatsächlich um einen Traubensaft mit weiteren Zutaten handele.

Das Getränk darf allerdings nicht als „Traubensaft“ bezeichnet werden.

Traubensaft ist ein Fruchtsaft. Hierfür findet die Verordnung über Fruchtsaft, Fruchtnektar, koffeinhaltige Erfrischungsgetränke und Kräuter- und Früchtetee für Säuglinge und Kleinkinder (Fruchtsaft- und Erfrischungsgetränke- und Teeverordnung - FrSaftErfrischGetrTeeV) Anwendung.

Zur Herstellung darf nur die Frucht selbst verwendet werden, ggf. durch den Zusatz von Aroma. Dem dürfen unter Umständen noch Zuckerarten, Zitronensaft, Vitamine und Mineralstoffe sowie einige Gewürze zugefügt werden – nicht aber Hefeextrakt, von der Einordnung von Traubenkernextrakt einmal abgesehen.

 

Das Urteil ist im Volltext noch nicht veröffentlicht. Es ist abrufbar auf der Webseite des Bundesverbandes der Verraucherzentralen. Nach der dortigen Aussage (Abruf vom 28.12.2022) ist die Gegenseite in Berufung gegangen, die Entscheidung ist also noch nicht rechtskräftig.

https://www.vzbv.de/urteile/traubensaft-darf-nicht-fuer-alkoholfreien-wein-ausgegeben-werden

mit Download des Urteils im Volltext

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen