Von unseren Nachbarn: Französisches "Barème Macron" mit der ESC unvereinbar
von , veröffentlicht am 05.01.2023In vielen Mitgliedstaaten der EU führt die Unwirksamkeit einer Kündigung - anders als in Deutschland - nicht zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Vielmehr kann der Arbeitnehmer lediglich eine Abfindung beanspruchen. In Frankreich haben die Parteien ein Wahlrecht. Hat das Gericht erkannt, dass eine Kündigung "ohne wirklichen und schwerwiegenden Grund" erfolgt und daher ungerechtfertigt ist, können sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung verlangen.
Für diese Abfindung gibt es feste Tabellen mit Mindest- und Höchstgrenzen, die nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit und der Größe des Unternehmens unterscheiden. Sie lauten auszugsweise (voller Text - in französischer Sprache - hier):
Dauer der Unternehmen mit weniger als 11 Mitarbeitern Unternehmen mit 11 Mitarbeitern und mehr
Betriebszugehörigkeit Monatsgehälter Monatsgehälter
in Jahren Minimum Maximum Minimum Maximum
0 0 1 0 1
1 0,5 2 1 2
2 0,5 3,5 3 3,5
3 1 4 3 4
5 1,5 6 3 6
10 2,5 10 3 10
15 3 13 3 13
20 3 15,5 3 15,5
25 3 18 3 18
30 3 20 3 20
Gegen diese Regelung haben die französischen Gewerkschaftsbünde Confédération générale du travail (CGT) und Confédération générale du travail – Force ouvrière (CGT-FO) Beschwerde zum Europäischen Ausschuss für soziale Rechte des Europarats eingelegt. Während sie vor dem Conseil d’Etat, dem Conseil constitutionnel und der Cour de Cassation in Frankreich erfolglos blieben, hat der Ausschuss den Gewerkschaften Recht gegeben: Die im "Barème Macron" festgelegten Obergrenzen für die Abfindungen könnten "auf der Grundlage einer Kosten-Nutzen-Analyse" einen Anreiz für rechtswidrige Kündigungen bieten. Sie seien zudem "nicht hoch genug, um den erlittenen Schaden des Opfers auszugleichen und den Arbeitgeber abzuschrecken". Mit dieser Begründung hat der Ausschuss bereits am 23.3.2022 (veröffentlicht am 26.9.2022) entschieden, dass die Abfindungstabellen gegen Artikel 24 der Europäischen Sozialcharta verstoßen (Entscheidung in englischer Sprache, deutsche Pressemitteilung).
Art. 24. Das Recht auf Schutz bei Kündigung
Um die wirksame Ausübung des Rechts auf Schutz bei Kündigung zu gewährleisten, verpflichten sich die Vertragsparteien:
a) das Recht der Arbeitnehmer, nicht ohne einen triftigen Grund gekündigt zu werden, der mit ihrer Fähigkeit oder ihrem Verhalten zusammenhängt oder auf den Erfordernissen der Tätigkeit des Unternehmens, des Betriebs oder des Dienstes beruht;
b) das Recht der ohne triftigen Grund gekündigten Arbeitnehmer auf eine angemessene Entschädigung oder einen anderen zweckmäßigen Ausgleich
anzuerkennen.
Zu diesem Zweck verpflichten sich die Vertragsparteien sicherzustellen, daß ein Arbeitnehmer, der der Auffassung ist, daß seine Kündigung ohne triftigen Grund erfolgte, das Recht hat, diese bei einer unparteiischen Stelle anzufechten.
Die Entscheidung des Ausschusses ist für Frankreich nicht bindend.
Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
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