BGH: Interessenschutzklausel und Stimmrechtszurechnung im Rahmen des § 30 WpÜG („Postbank“)

von Andreas Müller, veröffentlicht am 06.02.2023

In zwei weitgehend parallel formulierten Urteilen vom 13. Dezember 2022 (II ZR 9/21 und II ZR 14/21; BeckRS 2022, 40857, und BeckRS 2022, 40853) hat der BGH erneut einige Fragen der übernahmerechtlichen Stimmrechtszurechnung aufgrund einer sog. Interessenschutzklausel beantwortet.

Vereinbarungen zwischen Deutscher Bank und Deutscher Post

Gegenstand der Entscheidungen sind Vereinbarungen zwischen der Deutschen Bank und der Deutschen Post aus den Jahren 2008 und 2009 im Vorfeld der Übernahme der Postbank durch die Deutsche Bank. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob u. a. die in den Vereinbarungen enthaltenen Interessenschutzabreden über die Ausübung bestimmter Aktionärsrechte durch die Deutsche Post bereits vor Vollzug der Transaktion dazu führten, dass Stimmrechte der Deutschen Post gemäß § 30 WpÜG der Deutschen Bank zuzurechnen waren. Nach dieser Vorschrift sind dem Bieter eines Übernahmeverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen auch solche Stimmrechte zuzurechnen, die nicht von ihm selbst gehalten werden. Vorliegend hätte sich durch eine solche Zurechnung der Zeitpunkt des Kontrollerwerbs durch die Deutsche Bank und damit auch der Referenzzeitraum für die Regeln über die den anderen Postbank-Aktionären geschuldete Gegenleistung zugunsten dieser Aktionäre verschoben.

Zweite Zurückverweisung nach 2014

In seiner Entscheidung bezieht der Senat zu einigen in den Vorinstanzen aufgeworfenen Fragen (siehe zuletzt der Beitrag von Achim Kirchfeld vom 6. Januar 2021) Stellung und verweist die Sache nach seiner ersten zurückverweisenden Entscheidung vom 29. Juli 2014 (II ZR 353/12; NZG 2014, 985) erneut an das OLG Köln zurück.

Acting in Concert: Zurechnung auch bei bloßer Status-Quo-Erhaltung möglich

Im Hinblick auf eine Zurechnung gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 Alt. 1, S. 2 Alt. 1 WpÜG – also eine Verhaltensabstimmung durch eine Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten (sog. Acting in Concert) – stellt der Senat zunächst Folgendes fest: Es kommt nicht darauf an, ob die Interessenschutzklausel (i) darauf gerichtet ist, bei der Zielgesellschaft nur den Status Quo zwischen Abschluss und Vollzug der Transaktion aufrechtzuerhalten und/oder (ii) keine über die allgemeine Leistungstreuepflicht hinausgehende Einflussnahme vorsieht und sich darin erschöpft, die sich bereits aus § 242 BGB ergebende Verpflichtung abzubilden, den Vertragszweck nicht zu gefährden. Beides hatte die Vorinstanz und verbreitet auch das Schrifttum anders gesehen.

Erforderlich sei aber, so der Senat, dass die Verständigung über die Ausübung von Stimmrechten auf eine tatsächliche und konkrete Einflussnahme gerichtet sei. Das sei hier in Bezug auf die in den Vereinbarungen enthaltenen Zustimmungsvorbehalte zwar nicht der Fall gewesen. In einer Gesamtschau der Vereinbarungen komme eine Zurechnung aber in Betracht. Von der Vorinstanz seien hierzu noch Feststellungen zu treffen.

Für-Rechnung-halten: Auch tatsächliche Umstände zu berücksichtigen

Möglich sei auch eine Zurechnung aufgrund von § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpÜG. Danach werden einem Bieter Stimmrechte zugerechnet, die von einem Dritten für seine Rechnung gehalten werden. Die hierfür maßgebliche Zuordnung der wirtschaftlichen Chancen und Risiken, so der Senat, könne auch auf tatsächlichen Umständen beruhen – etwa darauf, dass die Inanspruchnahme der Dividendenchance dem Rechtsinhaber zwar rechtlich möglich, aber aufgrund anderer (hier von der Vorinstanz möglicherweise nicht hinreichend gewürdigter) Umstände wirtschaftlich ineffizient sei.

Für-Rechnung-halten: Zurechnung nur bei möglichem Einfluss auf Stimmrechte

Dem Zweck der Zurechnung werde ein rein wirtschaftliches Verständnis des § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 WpÜG nicht gerecht. Die Zurechnung setze daher auch voraus, dass es dem Bieter möglich sei, die Stimmrechtsausübung durch den Aktieneigentümer zu beeinflussen. Voraussetzung für eine solche Möglichkeit sei nicht zwingend ein Weisungsrecht oder eine aktive rechtliche Einflussmöglichkeit. Es genüge, dass der Eigentümer bei der Ausübung der Stimmrechte das Interesse des Bieters hinsichtlich der von diesem übernommenen wirtschaftlichen Chancen und Risiken wahren müsse. Nicht ausreichend sei eine nur auf tatsächlichen Umständen beruhende Einflussnahmemöglichkeit. Auch insofern seien von der Vorinstanz noch Feststellungen zu treffen.

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