BGH kippt Freisprüche in Sachen VW-Betriebsratsvergütung

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 20.02.2023

Wirklich überrascht worden sein kann eigentlich niemand, schon gar nicht in Wolfsburg. Jahrzehntelang hatte Volkswagen seine Betriebsratsmitglieder üppig honoriert. Das hatte schon vor über 10 Jahren zu ersten Verurteilungen wegen Untreue zu Lasten des Unternehmens geführt (BGH, Urt. vom 17.9.2009 - 5 StR 521/08, BGHSt 54, 148 = NJW 2010, 92). Schon damals hatte der BGH den Autobauern ins Stammbuch geschrieben, dass eine Vergütung von Betriebsratsmitgliedern auf dem Niveau von Vorstandsmitgliedern ausgeschlossen ist, weil diese keine Arbeitnehmer iSv. des BetrVG sind, siehe § 5 Abs. 2 BetrVG (Rn. 32 des Urteils a.E.). Dasselbe gilt naheliegenderweise für eine Vergütung analog derer leitender Angestellter (§ 5 Abs. 3 BetrVG). Mit dem Aufstieg in den Kreis eines leitenden Angestellten endet kraft Gesetzes das Betriebsratsamt (§ 24 Nr. 4 iVm. §§ 8 und 7 BetrVG).

So richtig ernst genommen worden ist das offenbar nicht. Mit freundlicher Unterstützung von Gutachtern, die "rechtlichen Flankenschutz für die tatsächliche Handhabung" (BGH, Urt. vom 10.1.2023 - 6 StR 133/22, BeckRS 2023, 143) gegeben haben, sind Betriebsratsmitgliedern auch weiterhin üppige Vergütungen gewährt worden. Ausweislich des Tatbestands des BGH-Urteils geht es allein bei vier Betriebsratsmitgliedern während des Zeitraums 2011 bis 2016 um insgesamt 4,5 Mio. Euro.

Erstinstanzlich hat das LG Braunschweig die Angeklagten von dem Vorwurf, sie hätten als Personalverantwortliche in den Jahren 2011 bis 2016 fünf Betriebsräten, u.a. dem ehemaligen Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrats, zu hohe Vergütungen und Boni bewilligt, und sich damit der Untreue (§ 266 StGB) zu Lasten von Volkswagen strafbar gemacht, freigesprochen. Zwar sei der objektive Tatbestand verwirklicht. Die Angeklagten hätten jedoch ohne Vorsatz gehandelt. Sie seien irrig davon überzeugt gewesen, pflichtgemäß und gesetzeskonform zu handeln. Dies stelle einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 StGB) dar (LG Braunschweig, Urt. vom 28.9.2021 – 16 KLs 406 Js 59398/16, BeckRS 2021, 47174).

Diese Freisprüche sind mit einem jetzt veröffentlichten Urteil des BGH aufgehoben worden. Der BGH äußert sich erfreulich klar zur zulässigen Vergütung von Betriebsratsmitgliedern:

Demnach schließt die gesetzliche Regelung des § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG – wonach das einem Betriebsrat zu zahlende Arbeitsentgelt nach der Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung zu bemessen ist – eine Bewertung der Betriebsratstätigkeit für Vergütungszwecke aus (...). Das gilt auch für im Betriebsratsamt erworbene Qualifikationen, soweit sie nicht im Zusammenhang mit der bisherigen Arbeitstätigkeit stehen (...). Denn die Betriebsratstätigkeit ist unentgeltlich auszuüben, wobei im Interesse der Unabhängigkeit ein strenger Maßstab anzulegen ist (...). Dieser verbietet es, auf die hypothetische Gehaltsentwicklung des Betriebsrats bei einer Sonderkarriere abzustellen. Vergleichbar ist vielmehr nur, wer im Zeitpunkt der Amtsübernahme ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt hat und dafür in gleicher Weise wie der Betriebsrat fachlich und persönlich qualifiziert war (...). Üblich ist eine Entwicklung, wenn die überwiegende Anzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer eine solche typischerweise bei normaler betrieblicher und personeller Entwicklung genommen hat. Diese Regeln gelten auch für Beförderungen (...). Ein Aufstieg ist insbesondere nur dann betriebsüblich, wenn die Mehrzahl der vergleichbaren Arbeitnehmer einen solchen erreicht hat (...). Die Zahlung einer höheren Vergütung setzt voraus, dass der Betriebsrat nur infolge der Amtsübernahme nicht in die entsprechend vergütete Position aufgestiegen ist (...). Darüber hinaus gehende Vergütungserhöhungen verstoßen gegen das Begünstigungsverbot aus § 78 Satz 2 BetrVG (...).

Ebenfalls zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die für die Bewilligungen maßgeblichen Vergleichspersonen nicht diesen Grundsätzen entsprechend ausgewählt wurden. Denn diese haben zum Zeitpunkt der Amtsübernahme weder ähnliche Tätigkeiten wie die betreffenden Betriebsräte ausgeführt, noch waren sie in gleicher Weise qualifiziert. Unzutreffend ist die von den Angeklagten in Anspruch genommene Auffassung, wonach es bei besonderen Umständen abweichend von den vorbezeichneten Grundsätzen auf eine individuelle hypothetische Ausnahmekarriere des Betriebsrats als Manager ankomme und dementsprechende Vergleichspersonen zu bestimmen seien. Hieran ändert nichts, dass die betreffenden Betriebsräte nach ihrer Amtsübernahme die unternehmenseigene Managementprüfung bestanden oder mit Vorständen und Managern „auf Augenhöhe verhandelt“ (...) und als Betriebsrat komplexe Aufgaben wahrgenommen hätten (...), in „unternehmerische Entscheidungskomplexe eingebunden“ gewesen seien (...), Angebote zum Wechsel in Managementpositionen erhalten oder in der Zusammenarbeit vergütungsrelevante Leistungen gezeigt hätten (...). Erst recht kann aus der Betriebsratstätigkeit als solcher nicht geschlussfolgert werden, der Betriebsrat habe „den Marschallstab im Tornister“ (...) und könne fortan mit Führungskräften verglichen werden. Denn diese Maßstäbe knüpfen in unzulässiger Weise an die Bewertung der Betriebsratstätigkeit als solcher an und finden keine Stütze im Betriebsverfassungsgesetz (...).

In ersten Reaktionen aus Wolfsburg heißt es, man werde jetzt die Vergütung sämtlicher Betriebsratsmitglieder überprüfen und die Zahlungen ggf. bereits zum nächstmöglichen Zeitpunkt Ende Februar 2023 entsprechend reduzieren. Betroffen sind nach Schätzungen rund ein Drittel der gut 250 Betriebsratsmitglieder des VW-Konzerns (siehe etwa den Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung). Es liegt nahe, dass die Betroffenen sich gegen die drohenden massiven Einschnitte ihres Einkommens vor den Arbeitsgerichten zur Wehr setzen werden. Auf das ArbG Braunschweig rollt eine Klagewelle zu.

BGH, Urt. vom 10.1.2023 - 6 StR 133/22, BeckRS 2023, 143

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