GDolmG: Die Verfassungsbeschwerde kommt

von Peter Winslow, veröffentlicht am 20.02.2023

Das Gerichtsdolmetschergesetz (GDolmG) – ein bedenklicheres Gesetz kann man sich kaum vorstellen. Nicht deswegen ist das GDolmG bedenklich, weil es dem eignen Zweck, einheitliche Standards für Gerichtsdolmetscher:innen festzulegen, nicht gerecht werden könne, wie der Bundesrat ausführt.[1] Nicht deswegen, weil es einen Vereinheitlichungsgedanken »nur halbherzig« umsetze.[2] Nicht deswegen, weil das neue Gesetz eine neue Verwirrung in das Gesellschaftsleben einführt, eine Vereinheitlichung ohne Einheitlichkeit. Nicht deswegen, weil es ein Nebeneinander von Bundes- und Landesrecht für ein und dieselbe historisch gleich behandelte Berufsgruppe bewirkt.[3] Nein, das GDolmG ist nicht wegen gesetzesinterner Unschlüssigkeit noch wegen halbherziger Umsetzung eines Gedankens noch wegen der Einführung einer neuen Verwirrung noch wegen unnötiger Ungleichbehandlung einer Berufsgruppe bedenklich. Dumme Gesetze darf es vermutlich geben. Das GDolmG ist bedenklich, weil es mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht verfassungsmäßig ist.

»Das Gerichtsdolmetschergesetz«, führt der Bundesrat aus, »begegnet umfassenden verfassungsrechtlichen Bedenken, da der Bund nicht über die erforderliche Gesetzgebungskompetenz verfügt«.[4] Laut dem Bundesrat bestehen erhebliche Zweifel, ob sich der Bund – wie im Gesetzentwurf – auf Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 GG stützen kann, nach dem sich die konkurrierende Gesetzgebung unter anderem auf die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren erstreckt. Denn Gerichtsdolmetscher:innen seien »keine Organe der Rechtspflege« und somit nicht Teil der Gerichtsverfassung; noch zielt das GDolmG »auf eine Regelung zum gerichtlichen Verfahren ab«.[5]

Vielmehr stellt der Gesetzentwurf in erster Linie auf berufsrechtliche Regelungen, insbesondere Ausbildungs- und Qualifikationserfordernisse ab. Solche sind jedoch nur in Ausnahmefällen Gegenstand der konkurrierenden Bundesgesetzgebung (vergleiche Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes – Rechtsanwaltschaft, Artikel 74 Absatz 1 Nummer 19 des Grundgesetzes – Heilberufe). Für die Dolmetscher existiert eine derartige Sonderzuweisung nicht. Die umfassenden Vorgaben zu den Ausbildungs- und Qualifikationsstandards der Dolmetscher stellen damit letztlich einen Eingriff in die Bildungshoheit der Länder dar.[6]

Wenn verfassungsrechtliche Bedenken von einem der fünf ständigen Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland geäußert werden, sollten sie nicht ignoriert werden. Aber sie wurden ignoriert. Soweit ersichtlich, wurde das Bundesverfassungsgericht bisher nicht berufen, etwa über eine Meinungsverschiedenheit oder Streitigkeit zwischen Bund und Ländern im Sinne des Artikels 93 GG oder im sonstigen Sinne zu entscheiden. Und mit dem Inkrafttreten des GDolmG am 1. Januar 2023 wuchs das Ignorieren zur Ignoranz; ohne eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des GDolmG weiß man nicht, ob die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrats begründet sind. Vielleicht meinen Sie, die Demokratie in Deutschland ist noch robust genug, diese Ignoranz nachhaltig auszuhalten oder die Folgen dieser Ignoranz langfristig abzufedern.

Vielleicht haben Sie auch recht. Ich weiß es nicht. Ich bin aber optimistisch; es könnte nur schlimmer werden. Ich wünschte mir eine vereinigte Front des Berufsstands zur Sicherung unserer Zukunft. Fakt ist aber, dass die Front alles andere ist als vereinigt. Diese Ignoranz hat den Berufsstand gespalten. Auf der einen Seite teilt eine Anzahl der Berufsverbände ausdrücklich die verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrats, allen voran der ADÜ Nord und das BFJ. Auf der anderen Seite scheint es einen einzigen Berufsverband zu geben, den BDÜ, der »die Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nicht« teilt. Rein zahlenmäßig ist der BDÜ »the odd man out«. Er meint also, das GDolmG begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, geschweige denn umfassenden verfassungsrechtlichen Bedenken, und der Bund verfüge nicht nicht über die erforderlichen Gesetzgebungskompetenz. Unklar ist, ob er auch meint, dass Dolmetscher:innen Organe der Rechtspflege seien oder dass das GDolmG keinen Eingriff in die Bildungshoheit der Länder darstelle. Zwar sind Doppelverneinungen meistens schwierig und Unklarheiten selten wünschenswert, klar ist dennoch, dass sich der BDÜ als eine Art Ja-Sager, eine Art positiver Stimme, in der berufsverbandlichen Landschaft der Nein-Sager darstellen will.

Wohl, der BDÜ unterscheidet sich von anderen Berufsverbänden durch seine positive Stimme. Positiv heißt aber nicht immer gut oder gut begründet. Durch seine Positivität in Sachen GDolmG offenbart er sein Unwissen in Sachen Argumentation. Wenn man mit einer Meinungsverschiedenheit unterschiedlicher Verfassungsorgane zur Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes konfrontiert wird, wie im vorliegenden Fall, kann diese Meinungsverschiedenheit nicht durch Positionspapiere, nicht durch nicht öffentliche »Ausführungen zu [] Überlegungen«, nicht durch Doppelverneinungen oder Unklarheiten oder eine positive Stimme bewältigt werden. Man kann für oder gegen das GDolmG sein. Man kann dem Bundesrat oder einem anderen Verfassungsorgan zustimmen oder widersprechen. Das steht jeder und jedem zu. In jedem Fall muss man aber dafür sein, dass die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland – als Ausländer will ich sagen, dass unsere Gesetze – verfassungsmäßig sind; ob man im vorliegenden Fall von der Verfassungsmäßigkeit des GDolmG überzeugt ist oder sich von den durch den Bundesrat geäußerten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit des GDolmG überzeugen lässt, besteht die einzig verantwortungsvolle Haltung zu den verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrats in der Befürwortung einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des GDolmG durch das Bundesverfassungsgericht.

Soweit die Meinungsverschiedenheit zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht etwa nach Artikel 93 GG auf Antrag der dort genannten Regierungen, Verfassungsorgane etc. geprüft wird, bleibt nur noch ein Weg zur Bewältigung dieser Meinungsverschiedenheit, nämlich: die Einreichung einer Verfassungsbeschwerde durch eine oder mehrere Einzelpersonen mit der begründeten Behauptung, dass das GDolmG ein bestimmtes Grundrecht oder ein anderes relevantes Recht verletzt [7] – oder anders gesagt: dass die Folgen des durch das GDolmG geschaffenen Paradigmenwechsels im Dolmetscherrecht ein bestimmtes Grundrecht oder ein anderes relevantes Recht verletzen.[8]

Wie die Leserschaft der beck-community bereits aus dem Interview mit Herrn Jörg Schmidt, dem amtierenden 1. Vorsitzenden des ADÜ Nords, weiß, besteht Grund zu der Annahme, dass eine solche Verfassungsbeschwerde bestimmte Aussichten auf Erfolg hat. Nun haben zahlreiche Kolleg:innen dem ADÜ Nord zugestimmt. Die vom ADÜ Nord im Herbst 2022 angefangene Spendenkampagne … nun hat Herr Schmidt bereits alles gesagt. In einem Kommentar unter dem oben genannten Interview schreibt er:

Liebe Leserinnen und Leser,

als neuen Sachstand möchte ich heute mitteilen, dass wir die zur Finanzierung des Verfassungsbeschwerdeverfahrens erforderlichen Geldmittel bis Ende des Jahres 2022 durch eine sehr erfolgreiche Spendenkampagne einsammeln konnten. Inzwischen haben wir mit drei Kolleginnen eine Vereinbarung über die Durchführung des Beschwerdeverfahrens abgeschlossen und die uns betreuende Anwaltskanzlei mit der Ausarbeitung und Einreichung der Beschwerdeschrift mandatiert. Wir sind selbstverständlich sehr gespannt, ob das BVerfG die Beschwerde zur Entscheidung annehmen wird. Drücken Sie uns die Daumen! […]

Die Verfassungsbeschwerde gegen das GDolmG kommt. Ich freue mich.

Verweise

[1] Seite 5 der Drucksache 532/19 vom 8. November 2019.
[2] Seite 6 der genannten Drucksache vom 8. November 2019.
[3] Siehe den Beitrag hier in der beck-community.
[4] Seite 4 der oben genannten Drucksache 532/19 vom 8. November 2019.
[5] Seite 5 der oben genannten Drucksache vom 8. November 2019.
[6] Seite 5 der oben genannten Drucksache vom 8. November 2019.
[7] Vergleiche Artikel 93 Absatz 1 Nummer 4a GG.
[8] Seite 6 der Drucksache 532/19 vom 8. November 2019.

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