Nachtarbeitszuschläge

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 23.02.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|1532 Aufrufe

Beim BAG war zuletzt eine große Anzahl von Verfahren anhängig, die Nachtarbeitszuschläge zum Gegenstand hatten. Das hatte das Gericht in gewisser Weise selbst zu verantworten, weil es Differenzierungen der Tarifvertragsparteien zwischen vorhersehbarer (geplanter) und nicht vorhersehbarer (ungeplanter) Nachtarbeit für unzulässig erklärt hatte. Da der weit überwiegende Teil von Nachtarbeit regelmäßig geleistet wird, erhofften sich viele Arbeitnehmer nun höhere Zuschläge, die tarifvertraglich eigentlich nur für ungeplante Nachtarbeit vorgesehen sind.

Nach längerer Prozessgeschichte einschließlich eines Vorabentscheidungsersuchens zum EuGH hat der Zehnte Senat des BAG nunmehr die Klagen abgewiesen und damit die tarifvertraglichen Differenzierungen bestätigt:

Eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss. Ein solcher kann darin liegen, dass mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen.

Die Klägerin ist in einem Unternehmen der Getränkeindustrie beschäftigt. Sie leistete dort im Rahmen eines Wechselschichtmodells Nachtarbeit. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag zwischen dem Verband der Erfrischungsgetränke-Industrie Berlin und Region Ost e.V. und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Hauptverwaltung vom 24.3.1998 (MTV) Anwendung. Dort ist bestimmt, dass der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit 20 % und für unregelmäßige Nachtarbeit 50 % beträgt. Die Klägerin erhielt für die von ihr geleistete regelmäßige Nachtschichtarbeit den Zuschlag von 20 %. Sie meint, die tarifvertragliche Differenzierung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, ihr stünde deshalb ein Zuschlag von 50 % zu. Mit ihrer Klage macht sie die Differenz geltend.

Das ArbG Berlin hat die Klage abgewiesen. Das LAG Berlin-Brandenburg hat auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage teilweise stattgegeben. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des BAG (Beschl. vom 9.12.2020 – 10 AZR 332/20 (A), NZA 2021, 1121) hat der EuGH entschieden, dass die Regelung von Nachtarbeitszuschlägen in Tarifverträgen keine Durchführung von Unionsrecht ist (Urt. vom 7.7.2022 – C-257/21, NZA 2022, 971). Daraufhin hat der Zehnte Senat des BAG die klageabweisende Entscheidung des ArbG Berlin wiederhergestellt:

Die Regelung im MTV zu unterschiedlich hohen Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Arbeitnehmer, die regelmäßige bzw. unregelmäßige Nachtarbeit im Tarifsinn leisten, sind zwar miteinander vergleichbar. Auch werden sie ungleich behandelt, indem für unregelmäßige Nachtarbeit ein höherer Zuschlag gezahlt wird als für regelmäßige Nachtarbeit. Für diese Ungleichbehandlung ist vorliegend aber ein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund gegeben. Der MTV beinhaltet zunächst einen angemessenen Ausgleich für die gesundheitlichen Belastungen sowohl durch regelmäßige als auch durch unregelmäßige Nachtarbeit und hat damit Vorrang vor dem gesetzlichen Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Daneben bezweckt der MTV aber auch, Belastungen für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, wegen der schlechteren Planbarkeit dieser Art der Arbeitseinsätze auszugleichen. Den Tarifvertragsparteien ist es im Rahmen der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie nicht verwehrt, mit einem Nachtarbeitszuschlag neben dem Schutz der Gesundheit weitere Zwecke zu verfolgen. Dieser weitere Zweck ergibt sich aus dem Inhalt der Bestimmungen des MTV. Eine Angemessenheitsprüfung im Hinblick auf die Höhe der Differenz der Zuschläge erfolgt nicht. Es liegt im Ermessen der Tarifvertragsparteien, wie sie den Aspekt der schlechteren Planbarkeit für die Beschäftigten, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, finanziell bewerten und ausgleichen.

BAG, Urt. vom 22.2.2023 - 10 AZR 332/20 und mehrere Parallelverfahren, auch zu vergleichbaren anderen Tarifverträgen, Pressemitteilung des BAG hier

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen