Irrtum über den Wegfall des Grundes einer Geschwindigkeitsbegrenzung: Tatbestandsirrtum = Fahrlässigkeit

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 04.03.2023
Rechtsgebiete: Verkehrsrecht|1853 Aufrufe

Der Betroffene ist ein Raser. Eine vorgetrichterte Geschwindigkeitsbegrenzung hat er ignoriert. Grund für die Beschränkung war eine unebene Fahrbahn, die der Betroffene nicht bemerkt haben will. Die Vorsatzverurteilung des AG hat das OLG gekippt:

 

1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen und die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

 2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Cottbus vom 25. Mai 2022 dahin geändert, dass

 der Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit verurteilt und

 die Geldbuße auf 120 € festgesetzt wird.

 Das weitergehende Rechtsmittel wird als unbegründet verworfen.

 Die Gebühr für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird um ein Drittel ermäßigt. Von den Kosten der Rechtsbeschwerde und den insoweit entstandenen Auslagen fallen ein Drittel der Staatskasse zur Last. Im Übrigen trägt sie der Betroffene.

 Gründe: 

 I.

 Das Amtsgericht Cottbus verhängte gegen den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 35 km/h eine Geldbuße von 240 €.

 Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 17. Juli 2021 mit einem Pkw außerorts die Bundesautobahn 15 in Fahrtrichtung Osten/Grenze und überschritt in Höhe Kilometer 40,2 die zuvor in Trichterform und durch beidseitige Beschilderung mit Zusatzzeichen 112 („unebene Fahrbahn“) angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 35 km/h. Er beschleunigte vor der Messstelle bewusst von 100 km/h auf 135 km/h, weil er keine Fahrbahnschäden mehr feststellen konnte, auch andere Verkehrsteilnehmer wieder beschleunigten und er davon ausging, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung nicht mehr galt. Tatsächlich bestand die Gefahr von Fahrbahnaufwölbungen noch fort. Das Amtsgericht hat das Verhalten des Betroffenen als vorsätzlich gewertet. „Seine völlig eigenmächtige Auslegung“ könne „nicht als Irrtum zu seinen Gunsten gewertet werden.“

 Der Betroffene hat durch seinen Verteidiger zur Fortbildung des Rechts die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil beantragt, 

 die Verletzung materiellen Rechts gerügt und beanstandet, dass das Amtsgericht rechtsfehlerhaft eine vorsätzliche Tatbegehung zu Grunde gelegt habe.

 Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, 

 den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

 II.

 1. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG). Die entscheidungserhebliche Frage, inwieweit eine Fehlvorstellung über das Ende einer streckenbezogenen Geschwindigkeitsbeschränkung eine vorsätzliche Tatbegehung begründet, hat grundsätzliche Bedeutung, weil in gleich gelagerten Fällen mit vergleichbaren Entscheidungen des Amtsgerichts zu rechnen ist (vgl. hierzu Göhler/Seitz/Bauer, OWiG 18. Aufl. § 80 Rn. 4, 5). Die Sache wird insoweit dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 OWiG).

 2. Die zugelassene Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge insoweit Erfolg, als eine Überprüfung des angefochtenen Urteils hinsichtlich der subjektiven Tatseite einer Nachprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht standhält.

 Das Amtsgericht ist rechtsfehlerhaft von einem vorsätzlichen Verhalten des Betroffenen ausgegangen. Der Betroffene hat nach den getroffenen Feststellungen die Beschilderung zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h zwar wahrgenommen und sich sodann auch bewusst - in der irrigen Annahme, diese gelte nicht fort - zur Beschleunigung auf 135 km/h entschlossen. Er hat sich insoweit jedoch nicht über die geltende Geschwindigkeitsregelung an sich geirrt, was einen - vermeidbaren - Verbotsirrtum zur Folge hätte (§ 11 Abs. 2 OWiG) und der Annahme von Vorsatz nicht entgegenstünde. Sein Irrtum betraf vielmehr äußere Umstände, die zum Tatbestand gehören und die er falsch beurteilt hat, so dass ein Vorsatz entfällt (§ 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG).

 Ein Streckenverbot, das wie hier zusammen mit einem Gefahrenzeichen angeordnet ist, entfällt auch ohne Aufhebungszeichen (Zeichen 282) dann, wenn sich aus der Örtlichkeit zweifelsfrei ergibt, von wo an die angezeigte Gefahr nicht mehr besteht (Erläuterung Nr. 55 Satz 2 der Anlage 2 zu § 41 StVO; vgl. OLG Celle, Beschl. v. 8. November 2018 - 3 Ss [OWi] 190/18, zit. nach Juris). Über diesen Regelungsgehalt der geltenden Norm und deren rechtliche Bedeutung hat der Betroffene sich nach den Urteilsgründen nicht geirrt. Sein Irrtum bezieht sich vielmehr auf den äußeren, die Örtlichkeit betreffenden Umstand, dass die Gefahrenstelle hier entgegen seiner Annahme nicht zweifelsfrei geendet hatte, sondern die Gefahr weiterhin bestand und die streckenbezogene Geschwindigkeitsbeschränkung deshalb noch fort galt. Dem liegt eine fahrlässige Fehleinschätzung der Örtlichkeit und damit eines Umstandes zugrunde, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Bei dieser Sachlage ist für die Annahme vorsätzlichen Verhaltens kein Raum (§ 11 Abs. 1 Satz 1 OWiG). Der Betroffene handelte vielmehr fahrlässig (§ 11 Abs. 1 Satz 2 OWiG).

 Die aufgrund der Sachrüge veranlasste Überprüfung der angefochtenen Entscheidung hat ansonsten materiell-rechtliche Fehler zum Nachteil der Betroffenen nicht ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

 Da weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, kann der Senat selbst abschließend entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG) und den Schuldspruch ändern sowie den Rechtsfolgenausspruch entsprechend dem hier geltenden Regelsatz für fahrlässiges Verhalten festsetzen (Anhang Nr. 11.3.6 BKatV a.F.).

 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG. Im Hinblick auf den Teilerfolg der zugelassenen Rechtsbeschwerde ist aus Gründen der Billigkeit eine Kostenermäßigung und Auslagenverteilung gemäß § 473 Abs. 4 StPO varanlasst; ausweislich der Rechtsmittelbegründung spricht Überwiegendes dafür, dass der Betroffene eine Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht beantragt hätte, wenn bereits das Amtsgericht auf Fahrlässigkeit erkannt hätte (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Auflage § 473 Rdnr. 26 m.w.N.).

OLG Brandenburg Beschl. v. 17.11.2022 – 2 OLG 388/22, BeckRS 2022, 37857 

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