Streitthema BEM: Was schief läuft – und wie es besser geht

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 06.03.2023
Rechtsgebiete: Arbeitsrecht|3043 Aufrufe
Streitthema BEM: Was schief läuft – und wie es besser geht

BEM – diese drei Buchstaben sorgen immer wieder für Streit. Egal, ob in Betrieben oder vor Gericht. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement, kurz BEM, ist bei Arbeitsrechtlern allgegenwärtig. Auch weil krankheitsbedingte Kündigungen in den vergangenen Jahren zugenommen haben 

Dabei sollte das vor knapp 20 Jahren eingeführte BEM doch gerade ein Präventionsmittel sein, damit es gar nicht erst oder zumindest nicht zu so vielen krankheitsbedingten Kündigungen kommt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die länger als sechs Wochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, soll geholfen werden, wieder im Betrieb arbeiten zu können.  

Doch das läuft häufig nicht so rund, wie es sich der Gesetzgeber vorgestellt hat. Aber warum eigentlich nicht? Ein Anruf bei Rechtsanwältin Bettina Schmidt, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Fachanwältin für Sozialrecht und Autorin eines praxisnahen Buches Gestaltung und Durchführung des BEM“, das nun bei C.H.BECK in 3. Neuauflage erscheint.    

Guten Tag Frau Schmidt. Was läuft schief beim BEM? 
Bettina Schmidt: Wir haben kein Regelungsproblem, sondern ein Umsetzungsproblem. Deshalb hakt es. Gesetzlich ist alles geregelt. In vielen Unternehmen wird  eine Betriebsvereinbarung einmal verfasst  und dann gehen Arbeitgeber davon aus, dass so ein BEM schon laufen wird. Ich muss den Inhalt aber umsetzen – und nicht in der Schubladen verschwinden lassen. Die Personalabteilung muss intern alle Beteiligten mitnehmen, und gemeinsam die auftretenden Probleme bei der Umsetzung klären. Wenn z.B. auffällt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich nicht auf ein BEM einlassen, dann hat dies in der Regel Gründe, etwa dass der Ablauf des BEM-Verfahrens nicht ausreichend transparent ist. Außerdem ist vielen Unternehmen noch nicht bekannt, welche Förderungsmöglichkeiten es gibt, etwa dass ich als Arbeitgeber vom Integrationsamt Geld bekommen kann. Tipps zu diesen Umsetzungsproblemen und zu Finanzierungsmöglichkeiten skizziere ich im Buch. Und natürlich auch die Vorteile eines BEM, die noch nicht allen Unternehmen klar sind! 

Dann klären wir das an dieser Stelle doch gleich. Welche Vorteile hat das BEM Ihrer Meinung nach 
Schmidt: Es gibt seriöse Untersuchungen, die berechnet haben, dass BEM zu Kosteneinsparungen führt und große wie kleine Unternehmen gleichermaßen vom BEM profitieren. Unternehmen sparen, weil sie keine neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einarbeiten müssen, die derzeit auch nicht so leicht zu finden sind. Allein die demografische Entwicklung zeigt doch, wie wichtig ein gutes BEM ist. Ich bin selbst im geburtenstarken Jahrgang 1961 geboren. Viele Menschen in unserem Land sind jetzt über 60 und gehen in Rente, einige in Frühverrentung, und andere sind nicht mehr so gesund, und Nachwuchs fehlt überall. Und trotz der immer älter werdenden Belegschaft geht es in vielen Unternehmen nur um Effizienz: Wenn da jemand nicht mehr reinpasst, dann muss er wegnach dem Motto: Wir machen jetzt irgendwie ein BEM und bringen das möglichst schnell hinter uns! Aber genau dieses „möglichst schnell hinter sich bringen“ ist rechtlich gefährlich, weil das Bundesarbeitsgericht so etwas nicht billigt. Das BEM ist Bestandteil vom SGB IX. Es geht um Rehabilitation. Darum, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück in die Betriebe kommen. Das BAG macht mit seiner Rechtsprechung deutlich:„Wir geben als Gesellschaft so viel Geld für Reha-Leistungen aus, dieses Prinzip darf dann nicht an der Türschwelle zum Arbeitsverhältnis enden.  

Wie könnte eine Lösung aussehen?  
Schmidt: Arbeitgeber müssen sich intensiver mit dem BEM beschäftigen. Wer eingearbeitete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, die gesundheitlich angeschlagen sind, muss kreativ werden, um sie zu halten: sie in Teilzeit beschäftigen oder sich über andere passendere Arbeitsplätze Gedanken machen. Mit einem guten Willen und einem guten BEM kann ein Unternehmen – unter Einbeziehung der Integrationsämter und der Reha-Träger – zu guten Lösungen kommen. Auch unser Buch soll helfen, die rechtlichen Rahmenbedingungen aufzuzeigen und den Prozess zu skizzieren. Es enthält eine vollständige Muster-Betriebsvereinbarung, die jeder abwandeln kann, inklusive vieler detaillierter Anlagen. Die Betriebsvereinbarung im Buch ist das Ergebnis eines moderierten Prozesses zwischen einem größeren Arbeitgeber und dem Betriebsrat. Die Vereinbarung ist bei drei Unterbetrieben im Einsatz und sie laufen heute noch. Alle sind damit zufrieden. Außerdem gebe ich im Buch viele best-practice-Tipps. 

Können Sie uns ein Beispiel nennen?  
Schmidt: Der Tipp mag jetzt banal klingen, aber er ist leider in der Praxis ein häufiger Fehler: Es ist wichtig, wo ein BEM-Gespräch stattfindet und wer daran teilnimmt. Wenn das Gespräch beim Chef gemacht wird und dem Arbeitnehmer fünf Leute entgegensetzt werden, und er sitzt da hilflos allein auf der anderen Seite, hat der Arbeitgeber eine Barriere aufgebaut. Wie soll da noch ein gutes Gespräch stattfinden?  

Kann ein BEM auch in kleinen Unternehmen gelingen? 
Schmidt: Selbstverständlich. Ein Unternehmen benötigt nicht unbedingt eine Betriebsvereinbarung. Kleine Unternehmen können mit dem Prozessablauf, der im Buch geschildert wird, starten. Dort ist Schritt für Schritt aufgelistet: Wer macht was bis wann? Außerdem haben wir auch Angebote wie ein Muster für ein Erstgespräch oder für die Entbindung der Schweigepflicht.  

Was sind die größten rechtlichen Stolpersteine eines BEM-Verfahrens?  
Schmidt: Es gibt zwei zentrale BAG-Entscheidungen, die nachwirken. Am 20.11.2014 hat der zweite Senat des BAG  
(2 AZR 755/13) entschieden: Es reicht nicht, wenn Unternehmen ohne ausreichende Informationen mal einfach den Betriebsarzt fragen, was ja heute immer noch passiert. So in der Art: Soll der mal gucken, was mit dem Arbeitnehmer los ist. Und das war jetzt mein BEM! Ein weiterer Aspekt des Urteils: Ein BEM ohne medizinische Reha ist eigentlich kein ordnungsgemäßes BEM.   

Und die zweite Entscheidung?  
Schmidt: Wieder der zweite Senat des BAG, diesmal vom 18.11.2021 (2 AZR 138/21). Es war umstritten, ob das BEM ein Haltbarkeitsdatum hat. Wenn ich Arbeitgeber vertreten habe, haben die oft gesagt: ‚Aber letztes Jahr haben wir doch schon ein BEM angeboten, da hat der Mitarbeiter doch nicht gewollt.‘ Doch das reicht nicht! Das BAG sagt: BEM hat kein Mindesthaltbarkeitsdatum. Wenn ein Arbeitgeber ein BEM angeboten hat und der Mitarbeiter es ablehnt oder es zu keinem Ergebnisführt und der Arbeitgeber kündigen will, muss er erneut ein Jahr zurückschauen. Wenn dort wieder sechs Wochen Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgelaufen sind, muss er noch einmal ein neues BEM anbieten und bei Zustimmung der Mitarbeiterin bzw. des Mitarbeiters durchführen. Auch wenn der Arbeitnehmer das letzte Mal abgelehnt hat. Es kann sich etwas verändert haben, argumentiert das Gericht und durch die erneute Nachfrage werde dem Arbeitnehmer vor Augen geführt, dass das Ziel einer Überwindung seiner Arbeitsunfähigkeit noch nicht erreicht ist. Das Gleiche gilt, wenn ich einen formalen Fehler gemacht habe. Arbeitgeber müssen sich also nach einem erfolglosen BEM mit der Kündigung beeilen, denn, wenn wieder sechs Wochen Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgelaufen sind, muss nochmals ein BEM angeboten werden 

Und wann ist ein BEM rechtssicher beendet?  
Schmidt: Das war lange ein Problem – bis es vom BAG in dieser Entscheidung vom 18.11.2021 (2 AZR 138/21) geklärt wurde. Ein BEM endet, wenn man sich einig ist, dass es zu Ende ist oder wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Unsere Muster im Buch entsprechen der BAG-Entscheidung. Ideal ist ein Abschlussgespräch, das vom Arbeitnehmer bestätigt werden muss und indem abgefragt wird, ob es noch irgendetwas gibt, dass Arbeitgeber oder Arbeitnehmer machen können.   

Welche Konstellationen können einen Schadensersatzanspruch des Beschäftigten begründen?  
Schmidt: Wenn ein BEM nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde, kommt es sehr häufig zu dieser KonstellationWenn Mitarbeiter nach eineinhalb Jahren immer noch krank sind, und kein BEM angeboten wird – der Arbeitgeber die Sache zum Beispiel aussitzen will –erhalten die Mitarbeiter nur noch das niedrigere Arbeitslosengeld. Das Krankengeld liegt bei 70 Prozent vom Brutto, begrenzt auf 90 Prozent vom Netto. Das Arbeitslosengeld beträgt aber nur 60 beziehungsweise 67 Prozent vom Netto. Das ist ein riesiger finanzieller Verlust. Spätestens dann kommen Arbeitnehmer auf mich zu und sagen, dass sie zu wenig Geld haben. Die Rechtsprechung sagt: Arbeitgeber, die keinen leidens- oder behinderungsgerechten Arbeitsplatz im Wege eines BEM suchen, machen sich schadensersatzpflichtig. Der Schadenersatz geht dann auf die Differenz zwischen Nettoentgelt und dem Arbeitslosengeld des Mitarbeiters. Als Arbeitgeber läuft man also Gefahr, dass man zum einen nicht krankheitsbedingt wirksam kündigen kann und zum anderen – wenn die Gegenseite ausgeschlafen ist – drohen Schadensersatzprozesse. Ich habe das mal bei einem großen Unternehmen durchgezogen. Wenn es um zehn Nettogehälter geht, bewegt sich bei Arbeitgebern dann meist doch etwas. Das muss nicht sein! Man kann vorbeugen. Zum Beispiel unser Buch lesen! 

Was ist neben der Aktualisierung der Rechtsprechung neu im Buch? 
Schmidt: Beim Thema Datenschutz gibt es große Unsicherheit in Unternehmen. Maximilian Plote hat mir beim Buch geholfen. Er ist ausgewiesener Experte für das Thema Datenschutz im Arbeitsrecht und wir haben das entsprechende Kapitel umfassend erneuert, zum Beispiel die BEM-Datenschutzerklärung im Buch überarbeitet und aktualisiert. Und wir haben eine Entscheidung des LAG Baden-Württemberg genauer angeschaut und gehen der Frage nach, ob ArbeitgeberGesundheitsdaten, die sie aus einem BEM-Prozess haben, für ein späteres Kündigungsverfahren verwenden dürfen und unter welchen Voraussetzungen. Die im Rahmen eines BEM erhobenen Gesundheitsdaten dürfen vom Arbeitgeber nicht für eine nachfolgende Kündigung genutzt werden und ohne ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Person darf der Arbeitgeber – und auch jede andere kündigungsberechtigte Person – nur Zugang zu solchen Daten haben, die für den Nachweis der Erfüllung der Pflicht zum BEM erforderlich sind. Wir haben daher in das Buch eine Aufstellung aufgenommen, welche Daten Arbeitgeber zur Personalakte nehmen dürfen.  

An wen richtet sich Ihr Buch?  
Schmidt: Zum Beispiel an Personalabteilungen, bei kleineren Unternehmen an Geschäftsführer, aber auch an Betriebsräte, Betriebsärzte, an Mitarbeiter von Sozialversicherungsträgern oder an die vielen Kolleginnen und Kollegen in der Anwaltschaft, die zum BEM beraten. Unser Buch ist ein echtes Praxisbuch geworden und weniger ein klassisches juristisches Fachbuch. Es enthält viele Tipps und Muster, aktuelle rechtliche Einschätzungen und es ist verständlich geschrieben.   

(Interview: Tobias Fülbeck, C.H.BECK) 

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