Vorsicht: Strafzumessung!

von Dr. Jörn Patzak, veröffentlicht am 11.03.2023

Ich berichte mal wieder über durchgreifende Fehler in der Strafzumessung. Der 2. Strafsenat des BGH hob das Urteil eines Landgerichts im Rechtsfolgenausspruch auf, weil es folgende nicht anerkannte Strafzumessungsmilderungsgründe strafmildernd berücksichtigt hat (BGH Urt. v. 28.9.2022 – 2 StR 127/22, BeckRS 2022, 43374):

1. Berücksichtigung einer polizeilichen Beobachtung der Taten mittel TKÜ und Observation

Rechtsfehlerhaft ist hinsichtlich aller Angeklagten als strafmildernd gewertet worden, dass die Taten unter polizeilicher Beobachtung mittels Telekommunikationsüberwachung, teilweise auch durch technische Überwachung und Observation, stattfanden. Zwar kann eine engmaschige und lückenlose polizeiliche Überwachung eines Betäubungsmittelgeschäfts ein bestimmender Strafzumessungsgrund zugunsten des Angeklagten sein, dem neben einer Sicherstellung der Drogen eigenes Gewicht zukommt, wenn durch die Überwachungsmaßnahmen eine tatsächliche Gefährdung der Gesundheit der Allgemeinheit durch das Rauschgift ausgeschlossen war (vgl. BGH, Urteile vom 22. Juni 2022 – 5 StR 9/22; vom 6. Januar 2022 – 5 StR 2/21, NStZ-RR 2022, 140, 141; Senat, Beschluss vom 19. August 2020 – 2 StR 257/20, NStZ 2021, 54, 55 mwN). Hier sind die Betäubungsmittel aber – außer in den Fällen 8 und 9 der Urteilsgründe – in den Verkehr gelangt, sodass sich die Gefahr für das durch die Straftatbestände des BtMG geschützte Rechtsgut realisiert hat. Ein Anspruch des Straftäters darauf, dass die Ermittlungsbehörden rechtzeitig gegen ihn einschreiten, besteht nicht (vgl. BGH, Urteile vom 6. Januar 2022 – 5 StR 2/21 aaO; vom 7. Februar 2022 – 5 StR 542/20, NJW 2022, 1826, 1827 Rn. 118).

2. Berücksichtigung der Untersuchungshaft

Rechtlichen Bedenken begegnet es ferner, dass die Strafkammer strafmildernd den erstmaligen Vollzug von Untersuchungshaft eingestellt hat. Der – auch erstmalige – Vollzug von Untersuchungshaft ist regelmäßig für die Strafzumessung ohne Bedeutung, weil sie nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Oktober 2018 − 4 StR 312/18 mwN). Zwar kann es einen strafmildernden Umstand darstellen, wenn die erlittene Untersuchungshaft mit über die üblichen hinausgehenden Beschwernissen für einen Angeklagten verbunden ist (vgl. MüKo-StGB/Maier, 4. Aufl., § 46 Rn. 344 ff. mwN). Solche können sich beispielsweise – wie der Senat bereits mit Beschluss vom 12. April 2022 – 2 StR 507/21, entschieden hat – auch aus pandemiebedingten Einschränkungen resultieren. Konkrete über die üblichen hinausgehenden Beschwernisse hat die Strafkammer jedenfalls hinsichtlich der Angeklagten W. und R. Wr. nicht festgestellt.

3. Berücksichtigung, dass der Angeklagte auf die Rückgabe von Asservaten verzichtet hat

Soweit die Strafkammer zugunsten des Angeklagten G. Wr. gewertet hat, dass dieser „im Rahmen der Hauptverhandlung auf die Asservate“ verzichtet habe, ist auch dies nicht ohne Rechtsfehler. Denn es nicht ersichtlich, ob es sich um Gegenstände mit strafzumessungsrelevantem Wert oder um solche handelte, die der Angeklagte – wie etwa Betäubungsmittel – ohnedies nicht hätte behalten dürfen (vgl. Senat, Urteil vom 24. November 2021 – 2 StR 158/21).

4. Berücksichtigung der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB neben der Strafe

Nicht unbedenklich ist es ferner, dass das Landgericht die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB beim Angeklagten W. strafmildernd berücksichtigt hat. Zwischen diesen Rechtsfolgen besteht grundsätzlich keine “Wechselwirkung”. Strafe und Maßregel sollen unabhängig voneinander bemessen bzw. verhängt werden (vgl. Senat, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 365; vgl. auch BGH, Urteil vom 6. März 2008 – 3 StR 538/07 Rn. 3 mwN).

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen