BAG bestätigt: Altersgrenze "65" meint in Wahrheit "65 + X"

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 20.04.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht|2303 Aufrufe

Seit 1916 war die Regelaltersgrenze in der Gesetzlichen Rentenversicherung der Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer das 65. Lebensjahr vollendet. Dies änderte sich erst 2012, seitdem wird die Altersgrenze stufenweise auf das 67. Lebensjahr angehoben. In zahlreichen Arbeitsverträgen aus der Zeit vor dem RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz findet sich die Formulierung, das Arbeitsverhältnis ende mit Erreichen des 65. Lebensjahres. Das BAG hatte bereits 2015 entschieden, dass eine solche Vertragsklausel der Auslegung zugänglich sei und an die Stelle des "65. Lebensjahres" - abhängig vom Geburtsjahrgang - die neue Altersgrenze "65 + X" trete (Urt. vom 9.12.2015 - 7 AZR 68/14, NZA 2016, 695). Dies hat der Senat nun noch einmal bekräftigt:

Der Senat hat zu einer mit der zweiten Alternative von § 10 Satz 7 des Arbeitsvertrags vergleichbaren Klauselformulierung bereits entschieden, dass das Tatbestandsmerkmal „Vollendung des 65. Lebensjahres“ als Beschreibung des Zeitpunkts zu verstehen ist, in dem der Arbeitnehmer nach seinem Lebensalter zum Bezug einer Regelaltersrente berechtigt ist (vgl. BAG 9. Dezember 2015 – 7 AZR 68/14 – Rn. 16). Vorliegend gilt nichts Anderes. Das Regelrentenalter wurde seit dem 1. Januar 1916 von den in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Beschäftigten mit der Vollendung des 65. Lebensjahres erreicht (vgl. auch § 35 SGB VI idF vom 18. Dezember 1989). Bei der Abfassung von Verträgen – so auch im Zeitpunkt des Arbeitsvertrags der Parteien vom 24. Juni/19. Juli 1993 – gab es aus damaliger Sicht keine Veranlassung zu abweichenden Formulierungen, wenn an die in der Sozialversicherung geltende Altersgrenze von 65 Jahren angeknüpft werden sollte. Ein verständiger Arbeitnehmer musste daher die Formulierung „Vollendung des 65. Lebensjahres“ als Anknüpfung an den Zeitpunkt des Erreichens der Regelaltersgrenze verstehen (vgl. BAG 9. Dezember 2015 – 7 AZR 68/14 – Rn. 16). Die Vollendung des 65. Lebensjahres war das Synonym für die Vollendung des gesetzlichen Regelrentenalters. Dies hat sich erst aufgrund des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007 (BGBl. I S. 554 ff.) geändert. Die Regelaltersgrenze wird nach § 35 Satz 2 SGB VI nunmehr mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht. Der Kläger fällt unter die Sonderregelung des § 235 SGB VI, da er im Januar 1954 und somit vor dem 1. Januar 1964 geboren ist. Er hat die Regelaltersgrenze mit Vollendung von 65 Jahren und 8 Monaten erreicht, worüber die Parteien auch nicht streiten

BAG, Urt. vom 21.12.2022 - 7 AZR 489/21, BeckRS 2022, 45819

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